# taz.de -- Vormarsch des Militarismus: Vom Mythos der Reife | |
> Ist politisch erst erwachsen, wer Truppen ins Ausland schickt? Ein | |
> törichtes Narrativ, von den Grünen erfunden, bedrängt nun die | |
> Linkspartei. | |
Bild: Ein Bundeswehr-Soldat bei einem Einsatz in Afghanistan | |
Ein Jüngling zieht hinaus in die Welt, bewährt sich in Kampf und Krieg, auf | |
dass er bei seiner Heimkehr als erwachsen gelte und sich fortpflanzen darf. | |
Die Bereitschaft, einen anderen zu töten als Beweis von Reife, das ist eine | |
archaische Vorstellung. Und doch hat dieser Atavismus einen festen Platz in | |
der modernen Politik. Eine Partei gilt als erwachsen, wenn sie bereit ist, | |
Soldaten in die Welt zu schicken. | |
Die Grünen erlagen dem seltsamen Narrativ schon vor Jahren. In ihren Reihen | |
entstand überhaupt die Idee dieser Art des Heranwachsens, eine Waffe (sic!) | |
im Strömungskampf, und irgendwann blickten die Gereiften dann mit Schaudern | |
zurück auf die friedenspolitischen Utopien ihrer nun entrückten Adoleszenz. | |
Ähnliche Geister plagen nun die Linkspartei, wenn sie in diesen Wochen eine | |
neue Führung bestimmt und einen Kurs berät, der – oh nimmermüdes | |
Zauberwort! – regierungsfähig machen soll. Erneut kennt die begleitende | |
öffentliche Beschallung nur eine Richtung: Wer ernst genommen werden will, | |
muss zu auswärtigen Einsätzen der Bundeswehr stehen, das beweise | |
Pragmatismus und einen als „gesund“ apostrophierten Willen zur Macht. | |
Zunächst: Wer spricht da eigentlich? Eine Mehrheitsmeinung der Wählenden | |
jedenfalls nicht. Die Deutschen seien in ihrer Grundorientierung eher | |
antimilitaristisch, befand 2019 erneut eine Untersuchung der Bundeswehr; | |
eine klare Mehrheit lehne auswärtige Kampfeinsätze ab. | |
Im politischen Raum haben sich derweil andere, eigenständige Prioritäten | |
entwickelt. Sie basieren weder auf den Wünschen der hiesigen Gesellschaft | |
noch haben sie unmittelbar mit konkreten Erfordernissen an den Einsatzorten | |
zu tun. Es handelt sich vielmehr um strategische Projekte des außen- und | |
sicherheitspolitischen Establishments, und sie speisen sich jeweils aus | |
verschiedenen Erwägungen. Etwa: Was bringt Deutschland dem begehrten | |
ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat näher? Wie werden bündnispolitische | |
Interessen und Konkurrenzen austariert? Und wie viel globale Präsenz der | |
Bundeswehr ist nötig für die Marktstellung deutscher Rüstungsexporte? | |
Was immer dabei herauskommt, findet in der Regel eine so wohlwollende | |
publizistische Begleitung, dass man sie embedded nennen sollte. An der | |
Aufgabe, Militäreinsätze kritisch zu spiegeln, versagen Medien und | |
Parlament gleichermaßen. Das Beispiel [1][Mali] ist dafür der jüngste | |
Beleg. Als dort nach sieben Jahren westlicher Intervention Putschisten zum | |
Wiederaufbau des Landes aufrufen, herrscht hier zunächst betretenes | |
Schweigen, gefolgt von der Losung: Weitermachen, als wäre nichts gewesen! | |
Im bitterarmen Mali werden pro Tag 4 Millionen Euro für eine militärisch | |
verstandene Sicherheit aufgewendet, während das Leben der Malier jeden Tag | |
unsicherer wird. Studien, die seit Langem auf falsche Prioritäten | |
hinweisen, wurden geflissentlich ignoriert. Und die EU trainiert weiter | |
eine Armee, die für mehr zivile Opfer verantwortlich ist als der | |
dschihadistische Terror. Kann mehr schiefgehen? | |
Wenn man fragt, warum die Bundeswehr überhaupt in Mali ist, lautet die | |
Antwort: Erst, um Frankreich einen Gefallen zu tun, und dann kam die | |
Migrationsabwehr hinzu. | |
Wer heutzutage nach Argumenten gegen eine militärische Einmischung in die | |
inneren Angelegenheiten anderer Länder sucht, muss sich nicht mehr auf | |
Pazifismus berufen. Die Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte liefern | |
allen Grund, Interventionen mit höchster Skepsis zu betrachten: vom | |
Experiment Kosovo, wo 60.000 Nato-Soldaten in einem Gebiet von der halben | |
Größe Schleswig-Holsteins eingesetzt wurden, über die Kriege in Irak und | |
Libyen bis zum Desaster in Afghanistan. Keine Entsendung, ob mit oder ohne | |
deutsche Beteiligung, hat auch nur im Entferntesten jene Ziele erreicht, | |
die zu Beginn versprochen wurden. | |
Wären Fakten von Bedeutung, müsste es heute leichter sein, gegen | |
[2][Waffengänge] zu plädieren. Dennoch ist das Nein geächtet. Weil es kaum | |
mehr abweichende Welterklärungen gibt, kaum Alternativen zu den | |
allgegenwärtigen sicherheitspolitischen Mythen, die – grob umrissen – den | |
Planeten aufteilen in ein aggressives Russland, ein herrschsüchtiges China, | |
einen schiitischen Krisenbogen und ein migrationswütiges Afrika. | |
Erstmals wurde dieses Jahr das Nato-Manöver „Steadfast Noon“, bei dem auch | |
deutsche Piloten den Einsatz US-amerikanischer Atomwaffen trainieren, nicht | |
mehr geheim gehalten. Nuklearwaffen offensiv zu bewerben gehört zur neuen | |
Ausrichtung der Nato; die Öffentlichkeit nimmt es hin. | |
In keinem anderen Bereich ist die Unterwerfung unter herrschende Ideologien | |
so still und so umfassend. Der rumorenden zivilgesellschaftlichen | |
Ermächtigung in Fragen von Klima, Verkehr oder Agrarpolitik steht eine | |
erschütternde Entmächtigung bei dem Thema Sicherheit gegenüber. Selbst die | |
Rüstungsindustrie wird von Kritik weitgehend verschont – als wären | |
Waffensysteme, neben allem anderen, nicht auch Klimakiller. Deutschland ist | |
viertgrößter Rüstungsexporteur, doch der Einfluss der entsprechenden | |
Konzerne wird kaum behelligt. Die SPD will nun [3][bewaffnete Drohnen]. | |
Automatisiertes Töten als sozialdemokratische Ethik – warum schreit da kaum | |
jemand auf in der Partei? | |
Während das kritische linke antirassistische Spektrum vollauf mit dem | |
Ringen um die inneren gesellschaftlichen Verhältnisse beschäftigt ist, | |
verbreitet sich in der Außenpolitik und in den Fragen von Krieg und Frieden | |
ungestört eine rechtsgewirkte Hegemonie. Der flagrante Rechtsextremismus im | |
[4][Kommando Spezialkräfte] müsste alarmieren. Ausgerechnet den | |
Elitesoldaten, die weltweit operieren sollen, wird die Verfassung zu eng. | |
Die Annahme liegt nahe, dass sie aus der Flasche mit dem Etikett „globale | |
Präsenz der Bundeswehr“ ein paar Schluck zu viel genommen haben. | |
28 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Charlotte Wiedemann | |
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