# taz.de -- Vom Ozonloch fürs Klima lernen: Keine Politik, nur Glück | |
> Die Rettung der Ozonschicht zum Vorbild für echten Klimaschutz nehmen – | |
> das wäre russisches Roulette. Denn damals regierte der absolute Zufall. | |
Bild: Gerade noch mal gut gegangen mit der Ozonschicht | |
Mein Weg zur Arbeit ging gut los und endete fast auf dem Friedhof: Den | |
kleinen Hügel runter hatte ich auf dem Rad richtig Schwung geholt. Doch der | |
Audi kam von rechts, auch er mit sportlicher Fahrweise. Meine Vollbremsung | |
in letzter Sekunde verhinderte knapp den Crash. Puuuh! Schwein gehabt. | |
Riesenschwein. | |
In diesem Bewusstsein hätten wir mal wieder den 16. September feiern | |
sollen: den Internationalen Tag für den Schutz der Ozonschicht. 1987 | |
einigten sich die UN-Staaten auf das „Montreal Protokoll“, das | |
Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) verbot, die die Ozonschicht der Erde | |
zerstören. | |
## „Es war einfach unglaubliches Glück“ | |
Das Abkommen gilt heute als Exempel für erfolgreiche globale Umweltpolitik, | |
weil es die Stoffe verbietet und die Schutzschicht bis 2050 wieder intakt | |
sein soll. Erst letztens rief wieder jemand bei mir an und jammerte, so | |
etwas würde die UNO beim Klima ja nie hinkriegen. | |
Das wollen wir auch nicht hoffen. | |
Denn einerseits war das Montreal Protokoll ein riesiger Erfolg: Es hat | |
tatsächlich die Welt gerettet vor ultravioletter Strahlung, die Mensch und | |
Natur schwer schädigte. Das klappte, weil die die Politik sich einig war, | |
die Industrie Ersatzstoffe hatte und eine republikanische US-Regierung | |
(Ronald Reagan!) noch daran glaubte, dass zwei plus zwei vier ergibt. | |
Aber wer den Vertrag zum Vorbild für eine Klimalösung macht, kann gleich | |
russisches Roulette spielen. Denn nach den Gesetzen der Logik hätte es ihn | |
niemals geben dürfen. „Es war einfach unglaubliches Glück“, sagte der | |
Chemiker Paul Crutzen, der für seine Arbeiten zum Ozonabbau 1995 den | |
Nobelpreis bekam – selten war diese Ehrung verdienter. | |
Es grenzt an ein Wunder, dass das Problem damals überhaupt erkannt wurde, | |
FCKW galt als unproblematisch und für die Chemieindustrie als Wunderwaffe. | |
Erster Glücksfall war, die dass die FCKW-Ingenieure Chlor statt Brom nahmen | |
– mit Brom wäre die Ozonschicht noch viel schneller verschwunden. | |
Dann häuften sich die glücklichen Zufälle: 1971 machte sich der britische | |
Chemiker James Lovelock mit eigenem Geld (!) und eigenen Apparaten zum | |
Südpol auf, um das Problem zu erforschen – die offizielle britische | |
Delegation wollte ihn nicht mitnehmen, weil er als Angeber galt. | |
Dann wäre noch fast alles daneben gegangen. Die erschreckenden Daten über | |
den Ozonabbau waren so dramatisch, dass sie von allen Forschern und der | |
Nasa lange als Messfehler betrachtet wurden. Die Industrie saß auf den | |
Daten, sah aber kein Problem. Erst spät schlugen Crutzen und seine | |
US-Kollegen Mario Molina und Sherwood Rowland Alarm. | |
Den dreien gebühren neben ihrem gemeinsamen Nobelpreis ein paar Denkmäler. | |
Die Geschichte hat bewiesen: Nicht immer geht alles schief, was schief | |
gehen kann. Murphys Gesetz wurde widerlegt. Zumindest einmal. | |
Verlassen sollten wir uns darauf natürlich nicht – das tun wir aber bei | |
Klima, Artenschutz und Plastikwahn heute jeden Tag: Wird schon irgendwie | |
klappen, ist das Motto. Deshalb können heute viele ForscherInnen | |
nachvollziehen, was Rowland zu seiner Frau nach einem langen Tag im Labor | |
sagte: „Wir kommen gut voran. Es sieht nach dem Ende der Welt aus.“ | |
19 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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