# taz.de -- Video des Anschlags in Christchurch: Bild dir deinen Terror | |
> Der Attentäter hat den Anschlag medial erfolgreich verbreiten können. | |
> Dafür allein die sozialen Medien verantwortlich zu machen, greift zu | |
> kurz. | |
Bild: Trauer um die Opfer von Christchurch | |
Im Tarnanzug und mit einer Schrotflinte bewaffnet läuft Brenton Tarrant am | |
vergangenen Freitagnachmittag in neuseeländischen Christchurch auf die | |
Al-Noor-Moschee zu. Wenige Minuten später erschießt er 42 Muslim*innen, die | |
sich dort zum Freitagsgebet versammelt hatten. Kurz darauf tötet er in | |
einer zweiten Moschee acht weitere Gläubige. Der rassistische Terrorangriff | |
lässt sich in einem 17-minütigen Video Schritt für Schritt nachvollziehen. | |
Was sich nach einem fiktiven Computerspiel anhört, ist grausame Realität; | |
denn der Täter streamte den Angriff mit einer Helmkamera live bei Facebook. | |
Obwohl die Polizei sowie Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern dazu | |
aufgerufen hatten, das Video nicht zu teilen, verbreiteten Nutzer*innen es | |
vielfach bei Facebook, Reddit, Twitter und YouTube. Was daran problematisch | |
ist, wenn eine terroristische Tat massenmedial verbreitet wird, muss | |
eigentlich nicht erklärt werden. Wer das Video in Gänze oder in Teilen | |
zugänglich gemacht oder geteilt hat, folgt damit genau den Wünschen des | |
Terroristen, verschafft ihm Aufmerksamkeit und inspiriert Nachahmer. | |
Tage nach dem Attentat wird nun diskutiert, wieso die Plattformen noch | |
immer keinen Weg gefunden haben, solche Videos schneller zu löschen. So | |
ließ sich auch Stunden nach der Tat das Video noch über einfache | |
Schlagworte wie den Namen des Täters bei YouTube finden. Das Problem: Ein | |
Video, das sich schnell verbreitet, aus dem Internet verschwinden zu | |
lassen, ist nicht so einfach. | |
Mia Garlick, die neuseeländische Sprecherin von Facebook, [1][teilte am | |
Sonntag via Twitter mit], dass Facebook das Video und den Account des | |
Attentäters schnell gelöscht habe. Zusätzlich habe man innerhalb von 24 | |
Stunden 1,5 Millionen Videos des Anschlags gelöscht, 1,2 Millionen wurden | |
schon während des Uploadversuchs entfernt. Dabei arbeitet Facebook mit | |
Algorithmen, die die Videos schon vor dem Hochladen als gewaltvoll | |
identifizieren und löschen. | |
## Wenn die Algorithmen nicht greifen | |
Eine internationale Datenbank, bei der nach Facebook-Angaben das | |
Ursprungsvideo hochgeladen wird, erkennt auch Kopien und löscht diese | |
automatisch. Sobald die Videos jedoch verändert, also beispielsweise | |
spiegelverkehrt oder von einem Bildschirm abgefilmt, hochgeladen werden, | |
greifen die Algorithmen nicht mehr. Dann sind sozialen Medien auf | |
menschlichen Sichter*innen angewiesen, die traumatisierende Bilder und | |
Videos sichten müssen, um diejenigen von der Plattform zu entfernen, die | |
gegen die Richtlinien verstoßen. | |
Den Plattformen deswegen komplett ihrer Verantwortung zu entziehen, ist | |
nicht der richtige Schluss. Wer Applikationen auf den Markt bringt, ist | |
dafür verantwortlich, wie sie genutzt werden. Doch sie tragen die | |
Verantwortung auch nicht alleine. Es geht ebenso um die Nutzer*innen und | |
Medien, die das Video verbreiten. So musste sich am Montag in Neuseeland | |
ein 18-Jähriger vor Gericht verantworten, weil er den Livestream des | |
Attentäters verbreitet hatte. Doch er ist nur einer von Millionen. | |
Noch vor 15 Jahren hätte ein Terrorist sein Videomaterial nur in der Welt | |
schicken können, wenn ein Medium dazu bereit gewesen wäre, es zu | |
veröffentlichen. Doch die Zeit, in der Medien diese Gatekeeper-Funktion | |
innehatten, [2][ist vorbei]. Augenzeugenvideos von Tatorten gehen schneller | |
online als Journalist*innen vor Ort sind. Milliarden Menschen können Fotos | |
und Videos in Echtzeit veröffentlichen – auch Täter*innen. | |
Medien tragen Verantwortung, wenn sie die Videos verbreiten. So hat sich | |
beispielsweise die Bild-Zeitung dazu entschieden, ausführliche Ausschnitte | |
des Videos zu teilen. Bild-Chef [3][Julian Reichelt erklärte], sie wollten | |
das Video einordnen. Da bei dem Artikel von einer Einordnung nicht die Rede | |
sein kann, liegt die Vermutung nahe, dass Reichelt die Klicks schlicht | |
nicht den sozialen Medien überlassen wollte. | |
Weder in meiner Facebook-Timeline noch in meinem Twitter-Feed ist seit | |
Freitag das Video oder das „Manifest“ des Täters aufgetaucht. Es gibt eben | |
sehr viele Nutzer*innen, die wissen, dass sie mit dem Teilen des Videos dem | |
Täter in die Hände spielen, der auf menschliche Abgründe und unfähige | |
beziehungsweise kommerziellen Zwecken dienende Technik setzt, um seinen | |
Rassismus zu verbreitet. Zum Glück gibt es eine Vielzahl von Nutzer*innen | |
die klüger sind als Algorithmen und Julian Reichelt. | |
18 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/fbnewsroom/status/1107117981358682112 | |
[2] /Wahlkampf-in-der-Tuerkei/!5581124 | |
[3] https://www.bild.de/politik/kolumnen/kolumne/kommentar-zu-christchurch-terr… | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
## TAGS | |
Julian Reichelt | |
Schwerpunkt Facebook | |
Soziale Medien | |
Terror | |
Journalismus | |
BILD | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Türkei | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rassistischer Anschlag in Christchurch: Das Übel beim Namen nennen | |
Die neuseeländische Regierungschefin Ardern will den Namen des Attentäters | |
von Christchurch nicht nennen. Sie sendet ein wichtiges Signal. | |
Rechter Terroranschlag in Neuseeland: Sie starben, weil sie Muslime waren | |
Wer waren die wahllos ermordeten Opfer in Christchurch? Sie waren zwischen | |
drei und 71 Jahre alt, gemeinsam war ihnen ihre Religion. | |
Wahlkampf in der Türkei: Erdoğan zeigt Christchurch-Video | |
Terror auf der Großleinwand: Um die Opposition vor der Wahl in der Türkei | |
zu diskreditieren, zeigt Erdoğan ein Video des Anschlags in Neuseeland. | |
Terroranschlag in Neuseeland: Waffengesetze werden verschärft | |
Als Konsequenz aus dem Terroranschlag will die Regierung in Neuseeland die | |
Waffengesetze verschärfen. Der rechtsextreme Täter kaufte zuvor legal | |
Waffen. |