# taz.de -- Versteckte Knotenpunkte des Internets: Auf der Suche nach der Cloud | |
> Die Infrastruktur von Internetfirmen ist aus Sicherheitsgründen fast | |
> unsichtbar. Eine Tour zeigt die (Un-)Orte moderner Kommunikation in | |
> Berlin. | |
Bild: Hier entstehen zwei riesige Rechenzentren: Vantage Data Center im branden… | |
BERLIN taz | „There is no there there“, dekretierte in den 1990er Jahren | |
der Internet-Guru John Perry Barlow über die neue Onlinewelt, die damals | |
noch als „Cyberspace“ bezeichnet wurde. Das Netz sollte man sich als | |
ortlosen Ort vorstellen, der unsere physische Welt hinter sich ließ und nur | |
noch aus immateriellen Daten bestand. Heute steckt im Begriff von der | |
„Cloud“, in die wir unsere Fotos, Videos und Sprachnachrichten hochladen, | |
eine ähnlich Vorstellung von einer frei flottierenden Ansammlung von Bits | |
und Bytes. | |
Die höchst sehenswerte Ausstellung „Songs of the Sky. Photography & the | |
Cloud“ bei C/O Berlin in Charlottenburg bringt analoge Fotos von den Wolken | |
am Himmel aus den 19. Jahrhundert zusammen mit digitalen Wolkenbildern, die | |
ihre Existenz oft genau der Verbreitung und Bearbeitung in dieser | |
virtuellen Cloud verdanken. Kuratorin Kathrin Schönegg hat dabei einen | |
Schwerpunkt auf Arbeiten gelegt, welche die technische Infrastruktur | |
thematisieren, die solche digitalen Bilder überhaupt erst möglich macht. | |
Bei einer Stadtrundfahrt am Wochenende konnte man im Rahmen der Ausstellung | |
einige der Installationen und Anlagen entdecken, dank deren wir E-Mails | |
schicken, Netflix-Filme gucken oder uns bei Zoom-Konferenzen langweilen | |
können. Und so ging es – im bequemen Reisebus – am Samstag in | |
gottverlassene Berliner Vororte und gesichtslose Gewerbegebiete. | |
Für „Songs of the Sky“ hatte der spanische Künstler Mario Santamaria, der | |
in der Ausstellung mit einer Arbeit vertreten ist, zwei Wochen nach der | |
physischen Hardware in Berlin recherchiert, die die virtuelle Realität erst | |
ermöglicht. Schnell wurde bei der Tour klar, dass sich die Infrastruktur | |
des Internets entlang von Netzwerken rankt, die oft viel älter sind als das | |
Internet. | |
Für die industrielle Revolution entstanden im 19. Jahrhundert Straßen, | |
Gleis-Trassen und Kanäle, welche die Vernetzung zwischen Fabriken und | |
Städten, zwischen Produzenten und Konsumenten sicherten. An diesen Routen | |
standen und stehen auch die Kraftwerke, die die Energie für die Produktion | |
und Distribution der industriellen Güter lieferten. Heute kommt von ihnen | |
der Saft für die energieintensiven Datencenter und Netzknotenpunkte, in der | |
postindustriellen und globalisierten Welt den Betrieb am Laufen halten und | |
Macht und Profite sichern. | |
## Graue Fassade ohne Beschriftung | |
In Siemensstadt liefert zum Beispiel das mit Steinkohle betriebene | |
Heizkraftwerk Reuter West nicht nur Strom für eine Million Haushalte. Auch | |
das größte Datencenter Berlins, das sich in einem gesichtslosen Gebäude am | |
Nonnendamm befindet und von dem japanischen Telekommunikationsunternehmen | |
NTT betrieben wird, deckt seinen hohen Energiebedarf aus dem Kraftwerk an | |
der Spree. Dass hinter einer grauen Fassade ohne irgendeine Beschriftung | |
Social-Media-Posts, Youtube-Videos und Amazon-Bestellungen zirkulieren, | |
würde man nie ahnen. Zum Geschäftsmodell der Internet-Unternehmen gehört | |
es, ihre Infrastruktur möglichst unsichtbar zu machen, um deren Sicherheit | |
zu gewährleisten. | |
Auch das Colt Berlin Data Centre in Moabit hat nur ein kleines Firmenschild | |
an einer Tür in einem Hinterhof, in dem sich zudem ein Cateringservice und | |
eine Baklava-Bäckerei befinden. Hinter den schmutzig braunen Wänden | |
verbergen sich freilich nicht nur 5.300 Quadratmeter voller | |
Internet-Hardware, sondern auch ein eigenes, mit Benzin betriebenes | |
Kraftwerk, das bei Stromausfall den Betrieb für drei Tage sicherstellt. In | |
Mariendorf sind von dem alten Gaswerk aus dem 19. Jahrhundert nur ein paar | |
kleine Gründerzeit-Verwaltungsgebäude aus rotem Backstein übrig geblieben, | |
die neben dem riesigen Rohbau des neuen Global Data Centers wie | |
Dekorationselemente einer Modelleisenbahn wirken. | |
Das Vantage Data Center im brandenburgischen Ludwigsfelde, der letzte Stopp | |
der Standrundfahrt, ist dann der totale Unort: Es sind zwei halbfertige | |
Gebäudeklötze auf der grünen Wiese, die aber bereits an die Autobahn | |
angeschlossen sind. Während man zur Zeit der industriellen Revolution die | |
Produktionsanlagen noch mit einem Minimum architektonischer Gestaltung | |
ausstattet, fließen die Daten der postindustriellen Gegenwart durch Bauten | |
ohne jede Formgebung. | |
10 Apr 2022 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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