| # taz.de -- Urteil im Pelicot-Prozess: Mazan ist überall | |
| > Der Aufsehen erregende Prozess gegen Gisèle Pelicots Vergewaltiger endete | |
| > mit milderen Strafen als erhofft. Hoffnung geht von diesem Fall trotzdem | |
| > aus. | |
| Bild: Gisèle Pelicot vor dem Gericht in Avignon nach dem Urteil | |
| Es gibt eine Zeit vor und eine Zeit nach dem [1][Pelicot-Prozess]. Davor | |
| dachte man, es handle sich um einen Einzelfall. Da dachte man, | |
| Vergewaltiger gestehen ihre Taten zumindest dann, wenn sie dabei gefilmt | |
| werden. Für die Zeit danach, die nun angebrochen ist, hoffte man, sie sei | |
| mit weniger Frauenhass, einer gerechten Justiz, mit einer veränderten und | |
| bewussteren Gesellschaft verbunden. | |
| Das Urteil, das in Avignon vergangenen Donnerstag nach drei Monaten und 17 | |
| Tagen Prozess ausgesprochen wurde, ist ein Sieg, der zugleich ernüchtert | |
| und enttäuscht. Von den insgesamt 652 Jahren, die die Staatsanwaltschaft | |
| für die 51 Angeklagten forderte, wurden nur 428 vergeben. 224 Jahre lösen | |
| sich in Luft auf. Bis auf Dominique Pelicots Strafe wurden die für alle | |
| anderen gemindert, sechs Angeklagte sind auf freiem Fuß. „Mon client est | |
| libre!“, „Mein Klient ist frei“, [2][ruft Maître Bruschi, Verteidiger von | |
| Joseph C.,] ins Gesicht der Demonstrierenden vor dem Gerichtssaal. Die | |
| skandieren: „Schande über die Justiz!“ | |
| Eine Vergewaltigung kann in Frankreich mit bis zu 15 Jahren Gefängnis | |
| bestraft werden. Kommen erschwerende Umstände hinzu, sind es bis zu 20 – so | |
| viel bekam nur Dominique Pelicot. 20 Jahre für die massenhafte | |
| Vergewaltigung seiner damaligen Frau, für das Filmen ohne ihr Wissen, für | |
| die Betäubung, für die Auslieferung an knapp hundert andere Männer – nur | |
| die Hälfte stand vor Gericht. | |
| 20 Jahre sind für dieses monströse Handeln ein Klaps auf die Finger. Ein | |
| Klaps mit einer absurden Konsequenz: Die Strafen der übrigen Angeklagten | |
| wurden in Relation zu seiner Strafe erwogen. | |
| Romain V. etwa vergewaltigte Gisèle Pelicot sechsmal, ohne Kondom, obwohl | |
| er HIV-positiv ist. Er bekam 15 Jahre. Warum nicht die Höchststrafe? Nur | |
| weil er nicht Dominique Pelicot ist? Oder Saifeddine G.: Auf dem Video aus | |
| dem Schlafzimmer sah man, wie seine Hüfte sich vor- und zurückbewegte, | |
| jedoch hatte er nach eigenen Angaben keine Erektion. | |
| Weil er Gisèle Pelicot nicht erfolgreich penetrieren konnte, bekam er drei | |
| Jahre. Ist es also keine Vergewaltigung, wenn der Mann seinen Spaß nicht | |
| kriegt? Philippe L. penetrierte Pelicot nur mit dem Finger und bekam | |
| deswegen fünf Jahre. Ist die Penetration mit dem Finger eine | |
| Drittelvergewaltigung? | |
| Über diese Fragen zu meditieren, ist als Frau schmerzhaft. Und sinnlos, | |
| wenn man bedenkt, dass es eine gute Studienlage dafür gibt, das härtere | |
| Strafen nicht davor abhalten, kriminell zu werden. Zudem vergisst man | |
| dabei, dass der Prozess ein riesiges Ziel erreicht hat: Keiner der 51 | |
| Angeklagten kommt unschuldig davon – auch nicht die 32 Männer, die darauf | |
| plädiert hatten. Gisèle Pelicot wollte, dass ihre Kinder und Enkelkinder | |
| diesen Nachnamen mit Stolz tragen können. „Wenn sich die Welt diesen Namen | |
| merkt, dann nicht wegen Monsieur Pelicot, sondern wegen mir.“ Auch das Ziel | |
| hat sie erreicht. | |
| Der Prozess liefert eine Diskussion, die über das bloße Bestrafen | |
| hinausgeht. Er stellte von Beginn an die Möglichkeit für ein großes | |
| Aufwachen dar, welchen Gefahren Frauen ausgesetzt sind, realen Gefahren, | |
| die es nicht nur im provenzalischen Hinterland gibt. | |
| Eine am Mittwoch [3][veröffentlichte Recherche von STRG_F] deckt ein | |
| internationales Netzwerk von Vergewaltigern auf der Messengerplattform | |
| Telegram auf. Sie geben einander in verschiedenen Chaträumen Tipps über die | |
| besten Betäubungsmittel, tauschen Bilder und Videos der Vergewaltigungen | |
| aus und lassen sich von anderen Mitgliedern Anweisungen geben, etwa | |
| darüber, in welche Körperöffnung oder mit welchem Objekt sie die betäubte | |
| Person als Nächstes penetrieren sollen. In der Gruppe sind knapp 73.000 | |
| Mitglieder, auch aus Deutschland. Man weiß also: Dominique Pelicot ist | |
| überall. Mazan ist überall. | |
| Als STRG_F diverse Behörden, darunter das New York Police Departement, das | |
| deutsche Bundesjustizministerium, aber auch Innenministerin Nancy Faeser | |
| mit den Informationen konfrontiert, zeigen die sich recht desinteressiert. | |
| Die Telegram-Gruppen gibt es weiterhin, genau wie es coco.gg – die Seite, | |
| auf der Dominique Pelicot seine Frau im Raum „à son insu“ („ohne ihr | |
| Wissen“) anderen zur Vergewaltigung anbot – noch vier Jahre lang gab, | |
| nachdem Pelicot 2020 erwischt wurde. | |
| Inadäquat, schlecht ausgestattet, gleichgültig. Eine unbequeme, aber | |
| zutreffende Beschreibung für diejenigen, die eigentlich Schutz und | |
| Gerechtigkeit für Opfer herstellen sollten. Man könnte den Eindruck | |
| gewinnen, dass den Verantwortlichen Frauen nicht wichtig genug sind. Das | |
| System ist kaputt und muss repariert werden. | |
| Doch bei aller Enttäuschung verdanken wir Gisèle Pelicot eine große | |
| Hoffnung. Als sie nach der Urteilsverkündung den Gerichtssaal verlässt und | |
| sich an die zahlreichen auf sie wartenden Medien wendet, endet sie | |
| optimistisch: „Ich habe nun Vertrauen in unsere Fähigkeit, gemeinsam eine | |
| Zukunft zu gestalten, in der Frau und Mann in Harmonie, gegenseitigem | |
| Respekt und Verständnis leben können.“ Auf dass diese Zukunft irgendwann | |
| eintritt. | |
| 20 Dec 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Vergewaltigungsprozess-um-Gisele-Pelicot/!6054526 | |
| [2] https://www.laprovence.com/article/faits-divers-justice/2017245132421114/vi… | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=GLrzyOLJUtk | |
| ## AUTOREN | |
| Valérie Catil | |
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