# taz.de -- Untersuchungsausschuss Walter Lübcke: Gleich vier Abschlussberichte | |
> Die hessische Koalition legt einen eigenen Bericht über den Mordfall | |
> Lübcke vor. Der ist 500 Seiten stark – und räumt Fehler der Behörden ein. | |
Bild: Walter Lübcke wurde im Juni 2019 auf seiner Veranda ermordet, hier ein A… | |
WIESBADEN taz | Geschockt von dem Mord an ihrem ehemaligen | |
Landtagskollegen, dem [1][Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke] | |
(CDU) durch einen rechtsextremistischen Gewalttäter, hatten die | |
demokratischen Fraktionen des Hessischen Landtags eigentlich ein | |
gemeinsames Signal gegen rechte Gewalt versprochen. An diesem Mittwoch, | |
nach drei Jahren Arbeit, diskutiert der Hessische Landtag die Bilanz des | |
Untersuchungsausschusses. | |
Grundlage sind allerdings gleich vier unterschiedliche Abschlussberichte. | |
Statt mit einem gemeinsamen Zeichen gegen die rechte Gefahr endet auch | |
dieser parlamentarische Untersuchungsausschuss im parteipolitischen Streit. | |
Als offizielle Bilanz haben die Regierungsparteien CDU und Grüne ihren | |
eigenen Bericht durchgesetzt. Immerhin räumen sie Fehler der Behörden ein. | |
Der einschlägig wegen Gewaltverbrechen vorbestrafte Lübcke-Mörder, Stephan | |
Ernst, und sein Waffenlieferant, Markus H., waren vor der Tat vom Radar von | |
Verfassungsschutz und Polizei verschwunden, angeblich, weil Ernst als | |
„abgekühlt“ galt. | |
## 500 Seiten mit Fehlern, ohne Namen | |
Noch 2009 hatte der damalige Präsident des hessischen Verfassungsschutzes, | |
Alexander Eisvogel, auf Ernsts Akte handschriftlich vermerkt: „ein | |
‚brandgefährlicher Mann‘ – Wie militant ist er aktuell?“ Doch die Frage | |
blieb bis zum Mord an Walter Lübcke unbeantwortet. Zeitnah zu der Notiz | |
wurde die Akte für den internen Gebrauch gelöscht und später gesperrt. | |
CDU und Grüne stellen dazu fest: „Die Gefährlichkeit von Stephan Ernst | |
steht rückblickend außer Frage. Somit war die Entscheidung, ihn nicht | |
weiter zu beobachten, aus heutiger Sicht fehlerhaft.“ Und weiter: „Die | |
Sperrung der Personenakte von Stephan Ernst 2015 erscheint rückblickend als | |
nicht sachgerecht.“ Auch dass der wegen Gewaltdelikten vorbestrafte | |
Rechtsextremist legal Waffen besitzen durfte, wird gerügt: „Es hätte nichts | |
unversucht bleiben dürfen, um Markus H. als ein im Landesamt geführter | |
Rechtsextremist den Zugang zu legalen Waffen zu verwehren“. | |
In den 500 Seiten, die CDU und Grüne vorlegen, werden Fehler benannt, aber | |
nicht die Namen der Verantwortlichen. In ihrem Minderheitenvotum sprechen | |
die Linken von eklatantem Behördenversagen und machen Hessens Innenminister | |
Peter Beuth (CDU), den Dienstherrn von Landesverfassungsschutz und Polizei, | |
verantwortlich. Über 250 Seiten dokumentiert die Linke den laschen Umgang | |
von Justiz, Polizei und Verfassungsschutz mit der starken und | |
gewaltbereiten Neonaziszene in Nordhessen. Mehrfach habe es fatale Fehler | |
und Fehleinschätzungen gegeben. | |
## Sohn: Mord hätte verhindert werden können | |
Die Radikalisierung [2][des späteren Mörders] von Walter Lübcke hatte nach | |
dessen Rede in Lohfelden im Oktober 2015 Fahrt aufgenommen. Der | |
Regierungspräsident hatte die menschenfreundliche Asylpolitik der | |
Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel verteidigt und dafür | |
Morddrohungen erhalten. | |
Stephan Ernst hatte das Video von Lübckes Rede ins Netz gestellt, mitsamt | |
den eigenen Zwischenrufen. Wären Polizei und Verfassungsschutz den | |
Drohungen konsequent nachgegangen, wären sie vielleicht auf den angeblich | |
„abgekühlten“ Ernst aufmerksam geworden, so die Lesart der Linken. | |
Stattdessen habe es ein „bleiernes Schweigen von Teilen der CDU“ zu diesen | |
gefährlichen Drohungen gegen ihren Parteifreund gegeben, so Linken-Obmann | |
Torsten Felstehausen. Die damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika | |
Steinbach habe diese Kampagne sogar noch verstärkt. Sein Fazit: „Dieser | |
Mord hätte nicht geschehen müssen!“ | |
Zum Beleg zitiert er Christoph Lübcke, [3][den Sohn des Ermordeten]: „Mit | |
100-prozentiger Sicherheit kann man das nicht wissen. Ich bin allerdings | |
überzeugt, dass sein Tod hätte verhindert werden können. Wenn man damals | |
dem Rechtsextremismus genauso viel Aufmerksamkeit gewidmet hätte wie etwa | |
dem islamistischen Terror. Aber der Staat war auf dem rechten Auge blind“, | |
so der Sohn des Opfers. | |
SPD und FDP kommen in ihrem Minderheitenvotum nicht zu einem ähnlich | |
lautenden Urteil, sondern folgen eher der Argumentation des | |
Mehrheitsberichts von CDU und Grünen. Sie kritisieren allerdings, dass die | |
hessische Landesregierung früh die Suche nach einem gemeinsamen | |
Abschlussbericht sabotiert habe. | |
Noch bevor der offiziell gewählte Berichterstatter Gerald Kummer, SPD, | |
seinen Entwurf vorgelegt hatte, hätten CDU und Grüne mit einen eigenen | |
Bericht begonnen, so SPD-Fraktionschef Günter Rudolph: „Es war das erste | |
Mal, dass die Berichterstattung von einem Abgeordneten der Opposition | |
kommen sollte. Deswegen ist eine ziemliche Unverschämtheit, so zu | |
verfahren. Leider haben die Grünen dieses unwürdige Spiel mitgemacht“, so | |
Rudolph. | |
Der Obmann der FDP, Matthias Büger, spricht sogar von Stillosigkeit: „Der | |
Bericht des offiziellen Berichterstatters begann mit einem Zitat Walter | |
Lübckes – mit jenem Zitat, mit dem Lübcke gegenüber seinem späteren Mörd… | |
seine klare Haltung demonstriert hat. Dieses Zitat wurde im schwarz-grünen | |
Bericht durch eine Aussage Volker Bouffiers ersetzt.“ Walter Lübcke zu | |
streichen und dafür die Landesregierung zu Wort kommen zu lassen, ist ein | |
Tiefpunkt, so der FDP-Abgeordnete. | |
Das Verfahren sei „nicht optimal gelaufen“, räumt Grünen-Obfrau Eva | |
Goldbach auf Anfrage ein und fügt hinzu: „Entscheidend sind jetzt aber die | |
Inhalte und Ergebnisse des Untersuchungsausschusses. Hier gibt es sehr | |
große Übereinstimmungen.“ | |
Auf die wiederholte Frage der taz, weshalb die Regierungsparteien trotz | |
„großer Übereinstimmung“ den offiziellen Berichterstatter übergehen | |
mussten, bleibt sie, wie auch ihr Koalitionspartner CDU, eine Antwort | |
schuldig. | |
17 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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