# taz.de -- Unterkünfte für Geflüchtete in Sachsen: Geflüchtete klagen gege… | |
> Asylsuchende haben sich zusammengetan und klagen gegen das Land Sachsen. | |
> Die Bedingungen in den Unterkünften bieten kaum Schutz vor dem | |
> Corona-Virus. | |
Bild: Einmal Flüssigseife gibt es inzwischen pro Toilettenraum in der Erstaufn… | |
LEIPZIG taz | Mohsen Farsi Zadeh ist alarmiert. Verzweifelt bittet er um | |
Antworten: Warum er noch immer im Camp sei. Warum neue Leute dorthin | |
gebracht würden. Warum sich niemand für ihn und die anderen Geflüchteten | |
interessiere. Denn nun ist eingetreten, wovor sich alle gefürchtet haben: | |
Seit Sonntag gibt es einen [1][Corona]-Verdachtsfall in der | |
Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) für Geflüchtete in Dölzig. | |
Dölzig ist ein Ortsteil von Schkeuditz, einer Kreisstadt bei Leipzig. Die | |
Unterkunft liegt trist inmitten eines Industriegebiets. Nur wenige Meter | |
entfernt liegen still ein Fahrübungsplatz und ein Großhandel. In mattem | |
gelb und mintgrün gestrichene, einsame Betonbauten ragen aus dem Nichts | |
empor, eingezäunt und durch Sicherheitspersonal bewacht. Wer sich nähert, | |
wird binnen Sekunden aufgefordert, das Grundstück zu verlassen. Als Schutz | |
vor Corona. Oder: Als wolle man nicht, dass die Außenwelt sieht, wie die | |
Menschen hier leben. | |
Zwei Wochen zuvor war Zadeh im Fernsehen. Im März hatten er und 74 andere | |
Bewohner:innen der Unterkunft einen offenen Brief an die Heimleitung und | |
das Lokalmagazin Kreuzer geschickt, in dem sie ihre Not darlegen. Anfang | |
April berichtet der Iraner einem Fernsehteam des MDR dann von Missständen | |
in der Unterkunft. Davon, dass es keine Seife und kein Toilettenpapier | |
gebe. Kein Desinfektionsmittel, kein Mundschutz, keine Handschuhe. Und | |
davon, dass Menschen hier teils zu fünft auf engstem Raum leben. | |
Videos, die der taz vorliegen, bestätigen die Vorwürfe: Kahle weiße | |
Toilettenräume, die Waschbecken und Toiletten aus Metall und ohne Sitz. Es | |
sieht aus, wie auf einem Bahnhofsklo. In drei verschiedenen Toilettenräumen | |
sind weder Seifenspender, noch Desinfektionsmittel, Papiertücher oder | |
Klopapier zu sehen. Ein Stockwerk, auf dem 50 Personen leben, hat fünf | |
Klos. In einem knapp 25 Quadratmeter großen Raum stehen fünf Betten. | |
Illegal ist das nicht: Die Asylgesetzgebung sieht solche Sammelunterkünfte | |
vor. | |
## Strafen für den Gang an die Öffentlichkeit? | |
Die Videos sind von Anfang April, zu einem Zeitpunkt, an dem das Virus | |
schon weit verbreitet und in Sachsen bereits eine Ausgangssperre verhängt | |
war. | |
Die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, Sprecherin für Flüchtlings- und | |
Migrationspolitik der Partei die Linke, schaltet sich ein, nachdem das | |
Interview mit Zadeh im Fernsehen gezeigt wird. Schon lange kritisiert die | |
Politikerin die Massenunterbringung von Geflüchteten. Nun sagt sie, die | |
Sammelunterbringung werde in der Corona-Krise erst recht zum Risiko für die | |
Gesundheit. | |
Am Tag nach dem Fernsehinterview wird Zadeh nach [2][Chemnitz] verlegt. Er | |
vermutet, dass man ihn wegbringt, weil er die Missstände öffentlich | |
angeprangert hat. Der Sächsische Flüchtlingsrat sagt, es sei eine Sanktion | |
dafür, dass er sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hatte. | |
Nach einer Woche wird Zadeh dann wieder zurück nach Dölzig gebracht. Einige | |
Tage darauf wird sein Zimmer durchsucht, berichtet er. An der | |
Unterbringungssituation habe sich jedoch nichts verändert. Lediglich, dass | |
man nun nicht mehr in einem großen Speisesaal mit allen esse, sondern | |
jede:r für sich auf dem Zimmer. | |
## “Sie behandeln uns hier wie Menschen zweiter Klasse“ | |
Den Geflüchteten, die sich per Brief an Heimleitung und Kreuzer gewand | |
hatten, reicht das nicht. Sie fordern mehr Hygiene, mehr Schutz vor dem | |
Virus, mehr Privatsphäre. Also wenden sie sich an den Flüchtlingsrat. Auch | |
aus anderen Städten in Sachsen häufen sich die Beschwerden. Um die | |
Situation zu verbessern, sehen die Geflüchteten nur eine Möglichkeit: den | |
Freistaat verklagen. Ihr Vorwurf: Die Massenunterbringung in den | |
Erstaufnahmeinrichtungen widerspreche dem Infektionsschutzgesetz und laufe | |
insbesondere den Maßnahmen gegen Corona zuwider. | |
Nur wenige Fußminuten entfernt von der Unterkunft in Dözig schlängelt sich | |
ein kleiner Fluss. Die Bewohner gehen hier gerne hin, um der Tristesse der | |
Massenunterkunft zu entkommen. Sie sitzen in der Sonne auf dem Gras, die | |
Autobahnbrücke rauscht über ihren Köpfen. Einer von ihnen ist bereits seit | |
20 Monaten in Dölzig. Zwei Jahre dürfen Geflüchtete laut sächsischem Gesetz | |
in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben. Sie alle sind verzweifelt. Ihr | |
Wunsch: “Mal wieder mit einem Lächeln im Gesicht aufwachen.“ Sie glauben, | |
dass sie so lange unter diesem Umständen im Camp gehalten werden, weil sie | |
aus Afrika kommen. | |
“Sie behandeln uns hier wie Menschen zweiter Klasse“, sagt Francois aus | |
Südafrika, der nur seinen Vornamen nennen und nicht zusammen mit der Presse | |
gesehen werden will. Den Weg vom Fluss zur Unterkunft tritt er alleine zu | |
Fuß an. Francois ist einer von den vier Geflüchteten, die nun Eilanträge | |
auf dezentrale Unterbringung bei den drei sächsischen Verwaltungsgerichten | |
eingereicht haben. Francois beim Verwaltungsgericht Leipzig, drei weitere | |
Personen bei den Gerichten in Chemnitz und Dresden. | |
Seit zehn Monaten ist der muskulöse Mann im Trainingsanzug bereits in | |
Dölzig. Francois ist verzweifelt, ringt mit den Tränen. Am meisten erzürnt | |
ihn, dass immer noch neue Bewohner:innen in die nahe an der | |
Auslastungsgrenze stehende Unterkunft gebracht werden. “Was ist, wenn sie | |
das Virus mit sich bringen und uns geben?“ | |
## “Nichts zu beanstanden“ | |
Ein Sprecher der Landesdirektion sagt gegenüber der taz, das Gesundheitsamt | |
Nordsachsen habe im Rahmen einer unangekündigten Hygienekontrolle in der | |
Dölziger Einrichtung “nichts zu beanstanden“ gehabt. Desinfektionsmittel | |
und Toilettenpapier seien in ausreichender Menge vorhanden, Seife könnten | |
die Bewohner in einem Kiosk erwerben. Außerdem stelle man Flüssigseife | |
bereit. Alle neu ankommenden Asylsuchenden werden auf Covid-19 getestet und | |
erst nach zwei Wochen und negativem Testergebnis in andere | |
Aufnahmeeinrichtungen wie Dölzig gebracht. | |
Am Montag schließlich gibt es einen Verdachtsfall. Die Landesdirektion | |
sagt, es gebe eine Person mit “erkennbaren Krankheitszeichen.“ Sie wurde | |
isoliert, ebenso wie die beiden, die mit ihr ein Zimmer teilten. Am | |
Montagnachmittag wird jedoch bekannt: Das Testergebnis ist bei allen drei | |
negativ. Zuvor bestätigte die Landesdirektion bereits zwei Corona-Fälle bei | |
Neuankünften in einer anderen Unterkunft. Die Betroffenen seien in | |
Quarantäne gekommen, es habe ein Aufnahme- und Verteilverbot für die | |
Unterkunft gegeben. | |
## Sorge vor Sanktionen | |
Dennoch bleibt bei den Bewohner:innen aus Dölzig die Angst. Die Maßnahmen | |
geben ihnen nicht genug Sicherheit. Sie fürchten, dass sich das Virus – | |
sollte es einmal in die Unterkunft gelangen – wegen der [3][Unterbringung | |
auf engstem Raum] schnell ausbreiten könnte. Die Klage ist nun die einzige | |
Möglichkeit, dass sich an der Situation etwas ändern könnte. Politikerin | |
Nagel sagt, anders werde die Regierung in Sachsen nicht für den notwendigen | |
Schutz von Geflüchteten sorgen. | |
Mohsen Zadeh meint, wenn seine Worte die Situation zum Besseren verändern | |
könnten, dann habe es sich gelohnt, an die Öffentlichkeit zu gehen. | |
Vielleicht müsse man das Opferlamm sein, damit es anderen besser geht, | |
meint Francois. Zurück im Heim angekommen patrouilliert eine Polizeistreife | |
um das Gelände. Ein Beamter spricht mit dem Sicherheitspersonal. Francois | |
und Mohsen Zadeh befürchten, dass ihre Aktion Sanktionen nach sich ziehen | |
könnten. Richtig Angst haben sie aber nur vor dem Coronavirus. | |
21 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746 | |
[2] /Rechte-Gewalt-in-Ostdeutschland/!5676492 | |
[3] /Schutz-vor-Corona-fuer-Gefluechtete/!5673786 | |
## AUTOREN | |
Sarah Ulrich | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Flüchtlinge | |
Unterbringung von Geflüchteten | |
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
Flughafen | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Urteil zu Polizeieinsatz in Ellwangen: Mit Kabelbinder gefesselt | |
Die Polizeirazzia in einer Geflüchtetenunterkunft in Ellwangen im Mai 2018 | |
war rechtswidrig, urteilt das Verwaltungsgericht Stuttgart. | |
Ausbau von Luftdrehkreuz Halle-Leipzig: Der Widerstand wächst | |
Lange galt DHL als Retter des sächsischen Flughafens. Große Pläne zur | |
Erweiterung provozieren nun den Unmut eines Aktionsbündnisses. | |
Masken-Projekt in Thüringen: Wie Migranten gegen Corona nähen | |
Mit Mundschutz und Betreung: Im thüringischen Gera helfen Flüchtlinge jetzt | |
den Deutschen aus der Coronakkrise. | |
Corona und Hilfe für Obdachlose: Der Himmel hilft | |
Ein Kreuzberger Restaurant bekocht Obdachlose. Die Hilfe wird dringend | |
gebraucht, auch wenn die HelferInnen selbst nicht wissen, wie es | |
weitergeht. | |
Bürger*innenasyl für Flüchtlinge: Untergetaucht im WG-Zimmer | |
Aktivist*innen verstecken Mai Théo in einer Berliner Wohnung, um seine | |
Abschiebung zu verhindern. So wird vielen Geflüchteten geholfen. | |
Geflüchtete in Ellwangen: „Ich verspüre Panik“ | |
Sie haben Meere überquert und es durch Wüsten geschafft. Nun fürchten sie, | |
in Schwaben an Covid-19 zu sterben. Ein Anruf bei Geflüchteten. |