| # taz.de -- Univerbot für afghanische Frauen: Gefährliches Halbwissen | |
| > Die Taliban in Afghanistan verwehren Frauen jetzt auch die | |
| > Hochschulbildung – und setzen die Kontakte zur internationalen | |
| > Gemeinschaft aufs Spiel. | |
| Bild: Bildungslücke: In diesem Vorlesungssaal in der Provinz Kandahar sitzen k… | |
| Afghanistans Taliban haben [1][für Frauen nun auch die Universitäten | |
| geschlossen.] Das Land hat etwa 20 öffentliche und über 80 private | |
| Universitäten. In einem Brief von Hochschulminister Scheich Neda Muhammad | |
| Nadim vom Dienstag wiesen sie mitten in den Jahresabschlussprüfungen alle | |
| Hochschulen „bis auf Weiteres“ an, jegliche Bildung für Frauen zu | |
| suspendieren, dies „sofort“ umzusetzen und seinem Ministerium Vollzug zu | |
| melden. Die Verbotspolitik der Taliban in Afghanistan erreicht damit einen | |
| weiteren Tiefpunkt. | |
| [2][Bereits seit Schuljahresbeginn im Frühjahr sind Mädchen ab der Pubertät | |
| von der Schulbildung ausgeschlossen.] Es folgte der Ausschluss von Frauen | |
| und Mädchen, selbst im Familienverband, von der Nutzung von Parks, | |
| Fitnessklubs und öffentlicher Badehäuser. | |
| Der Brief von Minister Nadim bezieht sich auf einen öffentlich nicht | |
| zugänglichen „bestätigten“ Beschluss des Taliban-Kabinetts, der offenbar | |
| bereits Anfang April gefasst worden war. Die Bestätigung ist offenbar ein | |
| Hinweis darauf, dass der erzreaktionäre Taliban-Emir Hebatullah Achundsada | |
| den Beschluss gebilligt hat. | |
| Am Mittwochmorgen schritten die Taliban zur Tat, um das Verbot umzusetzen. | |
| Aus der Hauptstadt Kabul wurde berichtet, dass ihre Kämpfer Studentinnen | |
| entweder aus Vorlesungssälen herausschickten oder gar nicht erst | |
| hineinließen. Videos davon kursieren in sozialen Medien und sehen | |
| authentisch aus. Tamana Aref von der privaten Kardan-Universität in Kabul | |
| berichtete auf Twitter, dass am Morgen die Studenten hereingelassen wurden, | |
| „aber auf uns richteten sie ihre Waffen und sagten: 'Geht nach Hause.’“ Es | |
| gibt auch ein Video, das angeblich zeigt, wie Studentinnen auch aus ihrem | |
| Wohnheim geworfen werden. | |
| ## Protest auch von männlichen Studierenden | |
| Oppositionsmedien und afghanische Studentinnen berichten zudem, dass sie | |
| auch nicht in private Bildungszentren gelassen wurden. Selbst der Zugang zu | |
| Nähkursen sei versperrt worden. Ähnliche Berichte kamen auch aus den | |
| Provinzen Tachar und Ghasni. In Masar-i-Scharif und Maimana, den | |
| Hauptstädten der Provinzen Balch und Farjab im Norden des Landes, | |
| stationierten die Taliban Bewaffnete vor Hochschulen und an wichtigen | |
| Straßenkreuzungen, um Proteste zu unterbinden. | |
| [3][Das neue Verbot] löste Proteste im Land selbst aus. An der | |
| medizinischen Fakultät der Universität in Dschalalabad, im Osten des | |
| Landes, sowie an der Universität Kandahar, im Kernland der Taliban, | |
| verließen männliche Studenten ihre Prüfungen. Studentinnen und Studenten | |
| protestierten gemeinsam auf dem Uni-Campus von Dschalalabad. An der | |
| Universität Kabul legte mindestens ein Mitglied des Lehrkörpers seine | |
| Dozentur nieder. | |
| Die im Exil lebende frühere Parlamentsabgeordnete Raihana Asad und die aus | |
| Afghanistan stammende Dozentin an der Australischen Nationaluniversität | |
| Farchondeh Akbar nannten das Verbot übereinstimmend einen neuen Schritt zu | |
| einer „Gender-Apartheid“. Shaharzad Akbar, die frühere Vorsitzende der | |
| afghanischen Menschenrechtskommission, tweetete, die Taliban seien dabei, | |
| Afghanistan in ein “Massengrab für die Wünsche der Frauen und Mädchen zu | |
| verwandeln“. | |
| UN-Generalsekretär Antonio Guterres bezeichnete die Maßnahme der Taliban | |
| als „sehr beunruhigend“. Es sei „schwer vorstellbar, wie ein Land mit all… | |
| diesen Problemen sich ohne die aktive Beteiligung der Frauen entwickeln | |
| kann“. Guterres’ Afghanistan-Sondergesandte, die frühere kirgisische | |
| Außenministerin Rosa Otunbajewa, sagte, die Schließung der Universitäten | |
| habe das Verhältnis der Taliban zur internationalen Gemeinschaft | |
| „unterminiert“. Die Organisation Islamische Konferenz, der auch Afghanistan | |
| angehört, verurteilte das Verbot. Taliban-Unterstützer Pakistan und Katar | |
| äußerten sich „besorgt“. Afghanische Kommentator:innen warfen dem | |
| Westen aber auch vor, das Land erst den Taliban ausgeliefert zu haben. | |
| ## Es gehe „nur um Macht“ | |
| Es sei schwierig zu erklären, was die Taliban mit dem Verbot bezweckten, | |
| sagte die langjährige Afghanistan-Beobachterin Susanne Schmeidl von der | |
| Schweizer Organisation Swisspeace der taz. Sie sehe möglichen Einfluss | |
| „konservativer gesellschaftlicher Werte, wo Männer als Hüter der Frauenehre | |
| angesehen werden, was für viele oft am einfachsten durch eine strikte | |
| Begrenzung von Frauen auf den häuslichen Bereich erreicht werden kann.“ | |
| Zudem priorisierte die Taliban-Führung „religiöses über weltliches Wissen�… | |
| Es gehe nicht um „Religion oder Kultur“, meint hingegen Laura Cesaretti, | |
| eine weitere Afghanistan-Forscherin, sondern „nur um Macht“ über Frauen. | |
| Ein afghanischer Analyst, der inzwischen in Deutschland lebt und seinen | |
| Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sprach gegenüber der taz von einem | |
| internen Machtkampf zwischen dem ultrakonservativen inneren | |
| Taliban-Führungszirkel um Hebatullah und den Moderateren, „die gute | |
| Beziehungen mit der Welt wollen“. In der Tat waren gerade in Bildungsfragen | |
| unterschiedliche Ansichten in der weiteren Taliban-Führung zu Tage | |
| getreten. Im Oktober musste Hochschulminister Abdul Baki Hakkani gehen, der | |
| sich beschwert hatte, dass er sich „nicht schuldig am Islam und der | |
| Menschheit“ machen wolle. | |
| Die Hardliner unter den Taliban wie Hakkanis-Nachfolger Nadim scheinen | |
| derzeit die Oberhand zu haben. Der US-Afghanistan-Analyst Jonathan Schroden | |
| meint, „wir können mit Sicherheit zu diesem Zeitpunkt schließen, dass, | |
| während internationale Anerkennung ein Ziel einiger hoher | |
| Taliban-Mitglieder ist, das für jene Anführer, die das letzte Wort haben, | |
| vollkommen unbedeutend ist“. | |
| 21 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Ruttig | |
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