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# taz.de -- Umstrittener Neubau in Frankfurt: Kulturmeile in der Innenstadt
> Die Architektur des Schauspiel- und Opernhauses in Frankfurt signalisiert
> Transparenz. Weil technisch aber veraltet, soll der Bau weg.
Bild: Erhellt die städtische Nacht: Theater und Oper in Frankfurt am Main
Sie verweigere sich der Repräsentation wie kein anderer Theaterneubau,
urteilte einst der Architekturkritiker Dieter Bartetzko über die sogenannte
Frankfurter Doppelanlage. Der 1963 eingeweihte Gebäudekomplex, zwischen
Hauptwache, Mainufer und Hauptbahnhof gelegen, vereint Schauspielhaus, Oper
und Kammerspiele.
Da Theater sowie ihre jeweilige Architektur Spiegel der Gesellschaft sind,
standen die Zeichen in Frankfurt damals augenscheinlich auf Offenheit und
Demokratisierung. Auch heute noch verbindet die Anlage inmitten der
Bankentürme kühle Noblesse mit funktionaler Eleganz. Ihre ökologisch
bedenkliche, 120 Meter breite Glasfassade setzt bis heute ein Zeichen der
Transparenz.
Die Doppelanlage steht am Willy-Brandt-Platz, früher Theaterplatz: ein
zugiger, unwirtlicher Ort, der den Vorteil besitzt, dass die Straßenbahn
hier ebenso Halt macht wie die U-Bahn. Ein Platz mitten in der Stadt, aber
ohne Flair. Für all diejenigen, die mit der Doppelanlage in die Jahre
gekommen sind, ist es freilich auch ein nostalgischer Ort:
Theaterinitiationsriten wurden dort vollführt, Familientraditionen
fortgesetzt.
Doch wie so viele Theaterbauten in Deutschland ist auch die Frankfurter
Anlage technisch überholt, marode und sanierungsbedürftig. Eine von der
Stadt in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie kam 2017 zu dem Schluss, dass
sich die Kosten eines Neubaus und die einer Sanierung jeweils auf rund 900
Millionen Euro belaufen würden. Seither wird nicht nur über die Frage
Neubau oder Sanierung gestritten, sondern auch über mögliche Standorte.
Zumindest das Thema Sanierung scheint erst einmal vom Tisch, im Januar
dieses Jahres hatten sich die in der Stadt regierenden Parteien CDU, SPD
und Grüne in einem gemeinsamen Antrag einmütig gegen eine Sanierung
ausgesprochen und wussten sich dabei einig mit den Intendanten von
Schauspiel und Oper, Anselm Weber und Bernd Loebe. Weber plädierte in einem
Interview dafür, den Fokus auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Bühnen zu richten. Jeder dort wünsche sich einen Neubau.
Im März organisierten sich dann namhafte Sanierungsbefürworter, darunter
der Architekturprofessor Philipp Oswalt und der Theaterwissenschaftler
Nikolaus Müller-Schöll. Sie starteten eine Petition, die der Politik
„Geschichtsvergessenheit“ vorwirft und eine offene Debatte über das
weitere Vorgehen fordert.
In ihren Augen entspricht die Entscheidung für den Abriss einer
„Baupolitik, die identitätsstiftende Bauten der Stadtgeschichte auslöscht
und neue Surrogate schafft, welche vornehmlich der Vermarktungslogik eines
globalisierten Standortwettbewerbs folgen.“ Mittlerweile haben mehr als
5.800 Menschen diese Petition unterzeichnet.
Im April hat dann auch noch das Hessische Landesdenkmalamt dem Foyer der
Doppelanlage mit der auch nach Außen hin gut sichtbaren Wolkenskulptur
des ungarischen Bildhauers Zoltán Kemény Denkmalwert bescheinigt. Die
Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD) reagierte gelassen, weil für sie
ohnehin außer Frage stand, die Skulptur und auch das riesige Chagallgemälde
„Commedia dell’arte“ in einen Neubau zu integrieren, wie sie sagte.
Bleibt also die Frage des Standorts. Wer gegen den Willy-Brandt-Platz
votiert, steht im Verdacht, das Filetgrundstück in Eins-a-Lage zu viel Geld
machen zu wollen.
Die Frankfurter CDU um ihren Baudezernenten Jan Schneider hat am Osthafen
der Stadt ein geeignetes Areal entdeckt, weg vom Zentrum, nah am Fluss.
Nicht unattraktiv, aber randständig. Das neue Gebäude könnte dort, so die
Idee, als architektonisches Wahrzeichen trumpfen.
Lustigerweise dient die Hamburger Elbphilharmonie in der Frankfurter
Debatte sowohl als leuchtendes Vorbild, wenn es darum geht, einen
Veranstaltungsort als Wahrzeichen und Touristenattraktion zu etablieren,
als auch als Schreckgespenst, was die gern explodierenden Kosten solcher
Neubauten angeht.
Ina Hartwig hat sich von Anfang an für den Verbleib von Schauspiel und Oper
im Herzen der Stadt ausgesprochen. Kultur gehöre in die Innenstadt, ließ
sie verlauten. Anfang Juni brachte sie dann einen neuen Vorschlag ins
Spiel. Demnach könnte das Schauspiel am jetzigen Standort und die Oper
unweit davon, an der oberen Neuen Mainzer Straße, neu gebaut werden.
Die beiden Häuser würden sich dann gemeinsam mit dem Jüdischen Museum, der
Komödie, den Dependancen des Museums für Moderne Kunst und des
Weltkulturenmuseums bis zur Alten Oper zu einer Art Kulturmeile verbinden.
Das erinnert nicht zufällig an die Erfindung „Frankfurter Museumsufer“ des
legendären Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann. Die FAZ attestiert Hartwig
einen kulturpolitischen Coup und auch Philipp Oswalt teilt mit, dass der
neue Vorschlag eine Bereicherung der Debatte sei, der interessante
Möglichkeiten eröffne.
Weiterhin im Gespräch ist die Lösung, die Oper am alten Standort zu
belassen und das Schauspiel schräg gegenüber der Alten Oper am Opernplatz
neu zu errichten sowie die sogenannten Spiegellösungen: Die Oper entstünde
auf dem Standort des Schauspiels und das Schauspiel würde direkt gegenüber
auf dem Grüngürtel Wallanlagen neu entstehen, oder umgekehrt.
Gegner*innen des Abrisses besänftigen diese Vorschläge nicht vollends. Sie
wünschen sich weiterhin eine wirkliche Diskussion und mehr Transparenz.
Statt den Alternativen Abriss oder Neubau stellen sie auch die Möglichkeit
eines Teilneubaus in den Raum. Und jetzt? Derzeit werden alle Alternativen,
darunter auch ein Komplettneubau auf dem jetzigen Standort, geprüft.
Während einer Podiumsdiskussion im Deutschen Architekturmuseum, die
allerdings mehr einer Präsentation ihrer neuen Pläne für eine Kulturmeile
glich, sagte Ina Hartwig zum Zeitplan, dass sie davon ausgehe, dass man in
5 Jahren den nötigen Architekturwettbewerb hinter sich habe. Spätestens im
nächsten Jahr solle der Wettbewerb ausgeschrieben werden, teilt Hartwig auf
Nachfrage mit.
Innerhalb der nächsten zehn Jahre könne dann ein Neubau für mindestens eine
Spielstätte fertiggestellt sein. Jedoch: In Frankfurt stehen im März 2021
Kommunalwahlen an, und wer dann das Sagen haben wird, steht in den Sternen.
Zu wünschen wäre, dass sich die weitere Diskussion nicht nur mit dem
Gebäude beschäftigt, sondern auch damit, was in seinem Inneren vonstatten
gehen soll. Ein Konzeptpapier zur Frage, „wie sich Theater und Oper in den
nächsten Jahrzehnten angesichts einer sich stark wandelnden
Stadtgesellschaft weiterentwickeln und erneuern wollen“, vermissen auch die
Initiatoren der Petition. Aus dem Kulturdezernat heißt es, solche Fragen
sollten in einem nächsten Schritt ins Zentrum rücken. Kurz: Die Diskussion
geht weiter.
30 Jun 2020
## AUTOREN
Shirin Sojitrawalla
## TAGS
Theater
Frankfurt am Main
Stadtplanung
München
Architektur
Kirill Serebrennikov
Matthias Lilienthal
Theater
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