| # taz.de -- Umgang mit Rechtsextremismus: Don Otto und die AfD | |
| > Natürlich möchte man am liebsten die AfD mit einem Verbot loswerden. | |
| > Wären da nicht Konsequenzen, die möglicherweise alles noch schlimmer | |
| > machen. | |
| Bild: Die Ideologie der Intoleranz konsequent bekämpfen, Wahlkampf der AfD in … | |
| Im nordzentralen Chile kursiert im 19. Jahrhundert eine Art Legende über | |
| zwei Brüder deutscher Herkunft: [1][Otto und Fritz Scheuch]. Über sie | |
| werden unzählige wundersame Anekdoten erzählt, von denen eine besonders | |
| hervorsticht: die vom „Sillón de Don Otto“ – dem Sessel von Herrn Otto. … | |
| geht ungefähr so: Eines Tages berichtet Don Otto seinem Bruder Fritz, er | |
| habe seine Frau mit einem Liebhaber auf dem Sofa überrascht. Zornig erklärt | |
| er, dass er das nicht hinnehmen werde und eine drastische Lösung brauche. | |
| Einige Tage später treffen sich die Brüder wieder. Neugierig fragt Fritz: | |
| „Na, Otto, wie hast du das Problem gelöst?“ Don Otto grinst: „Problem | |
| gelöst: Ich habe das Sofa verkauft!“ Das Interessante an dieser Geschichte | |
| – einer Art ländlicher Parabel – ist, dass sie uns nicht nur dazu anregt, | |
| über unsere eigenen Reaktionen auf alltägliche Konflikte nachzudenken, | |
| sondern auch über die institutionellen Antworten, mit denen Gesellschaften | |
| versuchen, ihre inneren Spannungen zu bewältigen. | |
| In vielen Bereichen handeln wir noch immer wie Don Otto: Wir tauschen das | |
| Möbelstück aus, statt das eigentliche Problem anzugehen, und verkaufen | |
| kosmetische Korrekturen als tiefgreifende Reformen. Einer der Fälle, die | |
| diese Parabel aus soziopolitischer Perspektive besonders treffend | |
| verkörpern, ist der Umgang des politischen Systems mit der AfD. Die | |
| Geschichte von Don Otto eröffnet einen hilfreichen metaphorischen Zugang | |
| zur aktuellen Debatte über [2][ein mögliches Verbot dieser Partei]. | |
| Zwar ist das Problem der AfD kein moralischer Fehltritt oder bloßer | |
| Vertrauensverlust wie im Fall eines untreuen Partners; die Lage ist | |
| erheblich ernster: Ihre offene Konfrontation mit demokratischen Werten und | |
| den Grundlagen des Rechtsstaats macht sie zu einer Bedrohung für genau jene | |
| Menschen, die dieser schützen soll. [3][Wenn AfD-Funktionäre die | |
| NS-Vergangenheit verharmlosen], Minderheiten angreifen und ein | |
| ausschließendes nationales Selbstverständnis propagieren, bleibt das nicht | |
| bei bloßer Rhetorik. | |
| ## Ein Verbot löst das Problem nicht | |
| All dies stellt eine Herausforderung dar, die keine Demokratie ignorieren | |
| darf. Wenn der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert | |
| rechtsextremistisch“ einstuft, dann verlässt das Problem den Bereich bloßer | |
| subjektiver Meinungen und zeigt seine strukturelle Verankerung. Letztlich | |
| herrscht in der Partei ein [4][ethnisch-abstammungsmäßiges | |
| Volksverständnis] vor, das mit der freiheitlichen demokratischen | |
| Grundordnung unvereinbar ist. | |
| Insofern scheint dies auf den ersten Blick ein hinreichendes Argument für | |
| ein Parteiverbot zu liefern. Dennoch gibt es einen Aspekt, der im | |
| öffentlichen Schlagabtausch oft übersehen wird. Ungeachtet der objektiven | |
| Argumente, die ein mögliches Verbot der AfD stützen, darf man nicht | |
| ignorieren, dass eine solche Entscheidung Züge annehmen könnte, die uns | |
| wieder an Don Ottos alten Sessel erinnern. | |
| Denn so sehr sich die Demokratie vor jenen schützen muss, die sie | |
| gefährden, so illusorisch wäre es zu glauben, ein Parteiverbot würde | |
| automatisch beziehungsweise „per Dekret“ solche Einstellungen und Praktiken | |
| auflösen, die diese Partei prägen – seien es historischer Relativismus, | |
| Diskriminierung, kulturelle Ausgrenzung oder ethnisch definierter | |
| Nationalismus. | |
| Wie im Fall von Don Otto liegt das Problem auch hier nicht allein in der | |
| trügerischen Komfortzone dessen, der glaubt, eine unerwünschte Situation | |
| durch sein Handeln zu lösen, sondern vielmehr darin, dass gerade dadurch | |
| die eigentlichen, tiefer liegenden Probleme überdeckt bleiben. Obwohl man | |
| glaubt, das Problem an der Wurzel gepackt zu haben, ist es in Wahrheit nur | |
| oberflächlich übertüncht. | |
| ## Riskantes Terrain | |
| Das führt letztlich zu einer Verschiebung der Problemlösung und könnte das | |
| zugrunde liegende Szenario sogar weiter verschärfen. Ein anschauliches | |
| Beispiel für diese Dynamik zeigt sich bereits im Versperren des | |
| demokratischen Wegs für dieses politische Lager. Als Frage formuliert: | |
| Welche Lehre würden AfD-Wähler daraus ziehen, wenn sie feststellen, dass | |
| ihnen die Möglichkeit genommen wird, ihre Vorstellungen demokratisch | |
| einzubringen? | |
| Die Paradoxie eines Verbots liegt darin, dass man im Namen der Demokratie | |
| jene Anreize schwächen könnte, die ideologische Konflikte im | |
| institutionellen Rahmen halten. Dadurch drohen diese Konflikte in ein | |
| unvorhersehbares und riskantes Terrain abzurutschen. Episoden wie die | |
| Putschpläne der Reichsbürger deuten schon an, in welche | |
| außerinstitutionelle Richtung sich Bewegungen entwickeln können, wird ihnen | |
| der politische Weg versperrt. | |
| Gewiss könnte eine Entscheidung, die AfD zu verbieten, und dabei im | |
| Verfahren zu scheitern, noch größeren Schaden anrichten. Ein solcher | |
| Fehlschlag würde der Partei womöglich einen Märtyrerstatus verleihen, sie | |
| zur Opferfigur stilisieren und ihr damit sogar zusätzlichen Aufschwung | |
| liefern. Doch schon diese knappe Einschätzung der Erfolgsaussichten eines | |
| Verbots lädt dazu ein, über ein Problem nachzudenken, das die deutsche | |
| Gesellschaft insgesamt durchzieht und weder mit der AfD beginnt noch mit | |
| ihr endet. | |
| Gemeint ist das Beharren jener kollektiven Milieus, in denen Geschichte | |
| umgeschrieben wird, Diskriminierung zum Alltag gehört, der Wert der | |
| Menschenrechte erodiert und die Institutionen, die für ihren Schutz | |
| zuständig sind, infrage gestellt werden. Natürlich kann es verlockend sein, | |
| sich wie Don Otto des Sessels zu entledigen – der Fahne, der plakativen | |
| Propaganda. Klar ist das einfacher und billiger, als sich dem strukturellen | |
| Problem zu stellen. Am Ende kommt aber das Billige teuer zu stehen. | |
| Der Punkt besteht nicht darin, ein Verbot der AfD pauschal abzulehnen, | |
| sondern zu verstehen, dass es das Problem nicht löst und die Notwendigkeit | |
| nicht ersetzt, dem entgegenzutreten, was aus Bequemlichkeit ausgeblendet | |
| wird. Letztlich geht es darum, die Ideologie der Intoleranz konsequent zu | |
| bekämpfen – im Bewusstsein, dass es wenig nützt, den Sessel hinauszuwerfen, | |
| wenn der Verlauf jener „Beziehung“ nicht thematisiert wird, nämlich: die | |
| Erzählungen, Vorurteile und kollektive Trägheit, die ihm zugrunde liegen. | |
| 4 Dec 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://es.wikipedia.org/wiki/Otto_y_Fritz | |
| [2] /AfD-Verbot/!t6043524 | |
| [3] /Verharmlosung-von-Rechtsextremismus/!6015092 | |
| [4] /AfD-Jugend-Generation-Deutschland/!6132388 | |
| ## AUTOREN | |
| Rafael Alvear | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt AfD | |
| AfD-Verbot | |
| Reichsbürger | |
| Rechtsextremismus | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Abgrenzung zur AfD: Der Umgang der Union mit der AfD ist Ausdruck von Hilflosig… | |
| Es braucht die klare Trennlinie zwischen politischen Mitbewerbern und den | |
| Feinden der Demokratie. Ein Gastbeitrag von MdB Anton Hofreiter (Grüne). | |
| Umgang mit der AfD: Nicht normal | |
| Ausschuss-Vorsitze für die AfD? Die Frage ist überflüssig bei einem Blick | |
| auf das parlamentarische Treiben der AfD in der Vergangenheit. | |
| Umgang mit der AfD: Wir können so nicht weitermachen | |
| Fakten gehen nicht so leicht viral, die Framings und Verdrehungen von AfD | |
| und Co hingegen schon. Es ist Zeit für ein Umdenken. |