# taz.de -- Ukrainer in Irland: Alle Zimmer belegt | |
> Der Tourismus in Ballyvaughan bleibt seit der Ankunft ukrainischer | |
> Geflüchtete aus. Rechte Parteien missbrauchen den Unmut für ihre Zwecke. | |
Bild: Willkommen in Ballyvaughan? | |
BALLYVAUGHAN taz | Es ist furchtbar, dass man sofort in die rassistische | |
Ecke gestellt wird, wenn man sich kritisch äußert“, sagt Pauline, eine | |
40-jährige Arzthelferin aus Ballyvaughan, einem Dorf an der [1][irischen | |
Westküste]. „Ich bin keine Rassistin, aber das Verhältnis von drei | |
Geflüchteten auf einen Einheimischen geht einfach nicht. Die | |
Regierungspolitik macht unser Dorf kaputt.“ | |
Das frühere Fischerdorf hat sich zum Seglerhafen und Touristenort | |
entwickelt. In der Nähe von Ballyvaughan befinden sich Megalithgräber, | |
Ringforts sowie mittelalterliche Kirchen und Burgen. Aufgrund des enormen | |
Anstiegs der Immobilienpreise bezeichnet man Ballyvaughan als Irlands | |
„Goldküste“. | |
Es gebe aber kaum noch Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen, beklagt | |
Maggie. Sie ist Anfang 50, hat eine Tochter, die bei ihr wohnt, und | |
arbeitet als Sekretärin. „Zwei Hotels sind mit Flüchtlingen belegt, und nun | |
ist auch noch das Drumcreehy House verkauft und in eine | |
Flüchtlingsunterkunft umgewandelt worden“, sagt sie. | |
Das Haus sei von hohem Niveau gewesen, die Touristen, die dort abgestiegen | |
seien, hätten viel Geld in den örtlichen Restaurants, in den Pubs, im | |
Supermarkt und im Andenkenladen ausgegeben. „Das fällt nun weg, und das ist | |
ein großes Problem für das Dorf.“ | |
## 700 Buchungen storniert | |
Das Drumcreehy House, eine am Rand von Ballyvaughan gelegene luxuriöse | |
Pension mit antiken Möbeln und großem Garten, hatte bereits 700 Buchungen | |
für dieses Jahr, als es verkauft wurde. Sie sind storniert worden. Das | |
Integrationsministerium hat das Haus mit 18 Zimmern für 34 Asylbewerber | |
vorerst für ein Jahr gemietet. | |
Zwei Hotels, die Wild Atlantic Lodge und das Burren Atlantic Hotel, sind | |
mit Geflüchteten aus der Ukraine belegt. Ballyvaughan ist mit blau-gelben | |
Fahnen geschmückt, was nicht unbedingt ein Willkommensgruß für die | |
[2][Ukrainer] ist. | |
Die Farben der Grafschaft Clare, in der Ballyvaughan liegt, sind ebenfalls | |
Blau und Gelb, und wenn das Grafschaftsteam in einer der traditionellen | |
Sportarten Gaelic Football oder Hurling antritt, werden die Ortschaften | |
mit den Grafschaftsflaggen geschmückt. | |
Inzwischen leben weit mehr ukrainische Flüchtlinge als Einheimische in | |
Ballyvaughan, hat die Community Development Group moniert. Sie fordert, | |
dass keine weiteren Flüchtlinge im Ort untergebracht werden, weil die | |
Schule, das Postamt und das medizinische Zentrum bereits jetzt völlig | |
überfordert seien. | |
## Zu viele Patienten | |
Professor Liam Glynn, der das Medical Centre betreibt, sagte, die Praxis | |
betreue 500 ukrainische Geflüchtete, was zu erheblichen Kapazitätsproblemen | |
geführt habe. Er habe zum ersten Mal seine Türen für neue Patienten | |
schließen müssen. | |
„Ich glaube, dass unsere Praxis die höchste Anzahl von Ukrainern im Land | |
hat“, sagt er. „Es ist eine schreckliche Situation, in der sich diese | |
Menschen befinden, in einem anderen Land, weit weg von ihrer Heimat, als | |
Folge des Krieges, und ohne die Sprache zu sprechen.“ | |
Eine ukrainische Ärztin arbeitet in der Praxis – als medizinische | |
Übersetzerin, weil die Anerkennung ihres Examens sehr langwierig in Irland | |
ist. Es schürt die schlechte Stimmung, wenn es für die Einheimischen | |
plötzlich sehr lange Wartezeiten für Termine gibt“, sagt Pauline, die | |
Arzthelferin. | |
Es ist das erste Mal, dass das Thema Einwanderung bei Wahlen eine Rolle | |
spielt. Alle Parteien reden darüber, es kommt beim Wahlkampf für die | |
Europawahlen an den Haustüren zur Sprache, und einige Kandidaten | |
kandidieren explizit auf einer Antiimmigrationsplattform. Die Zahl | |
derjenigen, die sagen, dass sie für einen solchen Kandidaten stimmen | |
würden, ist stark gestiegen – von 30 Prozent im Februar auf 38 Prozent Ende | |
Mai. | |
## Infrastruktur nicht ausreichend | |
„Die lokale Bevölkerung ist zunehmend frustriert und verärgert über die | |
mangelnde Unterstützung der Regierung“, sagt die Community Development | |
Group. „Wir benötigen Fußwege, Straßenbeleuchtung, soziale und sportliche | |
Einrichtungen und vor allem eine Kläranlage, bevor eine solche Anzahl von | |
Menschen in Ballyvaughan untergebracht werden kann.“ Bisher werden die | |
Abwässer der Dorfbewohner und Geflüchteten sowie der Touristen ungefiltert | |
in den Atlantik geleitet. | |
Das Trinkwasser hingegen ist hervorragend, wenn man es aus dem Pinnacle | |
Well holt. Das ist ein Brunnen am Rande der Cappanawalla-Berge ein paar | |
Meilen außerhalb Ballyvaughans. Das um 1860 gebaute Brunnenhaus im | |
neugotischen Stil aus grauem Naturstein hat zwei Türmchen. Viele | |
Einheimische holen sich hier ihr Wasser, weil es durch den Kalkstein | |
gefiltert wird und sehr sauber ist. | |
Eines Tages Ende vorigen Jahres tauchten plötzlich Marien- und | |
Jesus-Statuen, Kerzen und Rosenkränze im Brunnenhaus auf, dazu ein Schild, | |
dass es eine heilige Quelle sei und man Geld hineinwerfen möge, damit ein | |
Wunsch in Erfüllung gehe. | |
„Abends kamen ein paar ukrainische Männer und fischten das Geld heraus, das | |
Touristen hineingeworfen hatten“, sagt Pauline empört. „Einheimische | |
entfernten die Devotionalien und schrieben auf die Wand, dass es kein | |
heiliger Brunnen sei. So macht man sich keine Freunde im Ort.“ | |
## Nährboden für rechte Lügenkampagnen | |
Rechtsextreme Parteien versuchen, die Stimmung auszunutzen. Die meiste Zeit | |
in der gut hundertjährigen Geschichte war Irland eine ethnisch homogene | |
Gesellschaft. Das hat sich in den vergangenen 20 Jahren geändert. Allein im | |
vorigen Jahr ist die Zahl der Einwanderer im Verglich zu 2022 um rund 450 | |
Prozent gestiegen. | |
Darauf verweisen die drei rechtsextremen Parteien, die sich im Wahlkreis | |
Ireland South, zu dem Ballyvaughan gehört, Kandidaten aufgestellt haben: | |
The Irish People, Irish Freedom Party und Ireland First. Alle drei arbeiten | |
mit Falschinformationen und glatten Lügen. | |
Irland sei voll, Migranten bekommen Häuser, Irlands junge Leute dagegen | |
nicht, weshalb sie keine Familien gründen können, sodass die Iren | |
aussterben werden. Sie behaupten, dass vor allem alleinstehende Männer | |
kämen, was gefährlich für die einheimischen Frauen sei. Obwohl Statistiken | |
das Gegenteil belegen, verfängt die Propaganda bei manchen. | |
Maddy ist Anfang 70 und lebt in Bishops Quarter, nur einen Steinwurf vom | |
Drumcreehy House entfernt. Seit die Asylbewerber dort eingezogen sind, | |
traut sie sich nicht mehr allein zum Strand. „Uns wurde gesagt, dass nur | |
Familien kommen würden, aber jetzt sind viele alleinstehende Männer hier“, | |
sagt sie. „Außerdem ist es ungerecht, was die Flüchtlinge im Gegensatz zu | |
den Einheimischen an Zuwendungen bekommen.“ | |
## Bedarfsprüfung soll kommen | |
Es kursieren viele Gerüchte. Angeblich erhalten die Geflüchteten | |
Taxigutscheine, vier Heimflüge im Jahr, SIM-Karten zum kostenlosen | |
Telefonieren sowie tausend Euro im Monat. Tatsächlich war Irland anfangs | |
viel großzügiger als andere EU-Länder, weshalb viele kamen, die zuvor in | |
andere EU-Länder geflohen waren. Inzwischen sind die Hilfsmaßnahmen gekürzt | |
worden. | |
Die medizinische Versorgung und Unterkunft sind weiterhin kostenlos, | |
außerdem gibt es 38,80 Euro pro Woche. Das wird ab Juni einer | |
Bedürftigkeitsprüfung unterzogen. Asylbewerber dürfen sechs Monate nach | |
ihrer Ankunft arbeiten. Die Zahlung des Tagegeldes wird eingestellt, wenn | |
der Betreffende über ein Einkommen von 125 Euro pro Woche verfügt. | |
Das Integrationsministerium hat 1,49 Milliarden Euro für die Unterkunft | |
ukrainischer Flüchtlinge und 640 Millionen Euro für die Unterbringung von | |
Asylbewerbern im vergangenen Jahr ausgegeben. Aber nur eine kleine Anzahl | |
von Unternehmen profitiert davon. Es sind vor allem Hotelketten, für die | |
das Geschäft weitaus lukrativer ist, als Touristen zu beherbergen. | |
Michael McNamara, ein 50-jähriger Anwalt, der als Parteiloser bei den | |
Europawahlen kandidiert, sagt, dass Ballyvaughan vom Ministerium für | |
Integration respektlos behandelt worden sei: „Öffentliche Vertreter wurden | |
erst spät über die Entwicklung informiert, aber Anwohner, | |
Gesundheitsdienste und Unternehmen, die von Buchungen in dem Gästehaus | |
abhängen, haben vorab keine Informationen erhalten.“ | |
Es gibt in Ballyvaughan aber auch Menschen, die Geflüchtete mit offenen | |
Armen begrüßen. Catherine zum Beispiel, eine Musikerin und alleinerziehende | |
Mutter einer Tochter, schnürt Begrüßungspakete mit typischen irischen | |
Produkten wie Sodabrot und Butlers-Konfekt für die Ankömmlinge. „Es kann | |
einem gar nicht so schlecht gehen“, sagt sie, „dass es anderen nicht noch | |
schlechter gehen könnte.“ | |
10 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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