# taz.de -- Überlastete Frauenhäuser: Hilfe suchend vor verschlossener Tür | |
> Frauenhäuser sind seit Jahren so überlastet, dass sie Schutzsuchende | |
> abweisen müssen. Ministerin Giffey will nun die Finanzierung verbessern. | |
Bild: Wenn nur die Treppe bleibt: Schutzplätze für Frauen sind in Deutschland… | |
BERLIN taz | Melek Güngör* hat ihre Flucht monatelang vorbereitet. Aber in | |
der Nacht, in der sie flieht, muss alles ganz schnell gehen. Sie klaut den | |
Schlüssel, mit dem ihr Vater sie in seinem Haus in einer Kleinstadt in der | |
Nähe von Istanbul eingesperrt hat, und rennt zu dem wartenden Auto. „Ich | |
hatte noch nicht mal einen Koffer dabei“, sagt Güngör, „aus Angst, dass | |
mein Vater etwas merken und mich umbringen könnte.“ | |
Ein Imam, dem Güngör vertraut, fährt das Auto. Er hilft ihr, einen Platz in | |
einem türkischen Frauenhaus zu finden. Das Problem: Güngör hat zwei kleine | |
Kinder, beide leben zu diesem Zeitpunkt bei ihrem Vater in einer deutschen | |
Stadt, die zum Schutz der Frau hier nicht genannt werden soll. Dort hatte | |
Güngör mit ihm zusammen gelebt, bevor ihre Familie sie in der Türkei | |
einsperrte. Ihr Mann hat sie jahrelang geschlagen. Mit den Papieren, die | |
ihr eigener Vater ihr abgenommen hat und die sie mithilfe des Imams | |
wiederbekommen konnte, fliegt sie nach Deutschland. Dort jedoch ist im | |
entscheidenden Moment kein Platz in einem der Frauenhäuser der Stadt frei. | |
„Dass wir ausgebucht sind, ist ein Dauerzustand“, sagt Rita Stein*, | |
Projektleiterin in dem Haus, in dem Güngör nach etwa zwei Wochen | |
schließlich unterkommt – eine lange Zeit für eine Frau, die kein eigenes | |
Einkommen hat und unter enormem Druck steht. Laut dem Schlüssel der | |
Istanbul-Konvention, einem Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von | |
Gewalt gegen Frauen, fehlen bundesweit derzeit mehr als 14.600 Schutzplätze | |
für Frauen. Bei einem Bestand von nur 6.800 Plätzen ist also nicht mal ein | |
Drittel des Bedarfs gedeckt. Deutschland hat die Konvention im Oktober 2017 | |
ratifiziert, im Februar ist sie in Kraft getreten. | |
Die Bundesregierung ist dadurch verpflichtet, die Situation der | |
Frauenhäuser zu verbessern. „Die Istanbul-Konvention hat auf den Punkt | |
gebracht, was wir aus der Praxis seit Jahren kennen“, sagt Sylvia Haller, | |
Koordinatorin bei der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser | |
(ZIF). Die vertritt rund 100 der insgesamt mehr als 350 bundesweiten | |
Häuser, darunter auch Steins Haus. | |
## „Frauenhäuser retten Leben“ | |
Dort mussten 2017 an 65 Tagen Frauen abgewiesen werden, in manchen Jahren | |
waren es bis zu einem Drittel der Tage. Und auch an den übrigen Tagen waren | |
die Kapazitäten des Hauses am Limit. „Frauen mit mehreren Kindern finden | |
oft gar nichts“, sagt Stein. Auch für Frauen mit Behinderung oder ältere | |
Frauen, die barrierearme Häuser brauchen oder eine Assistentin, sieht es in | |
vielen Häusern schlecht aus. „Frauenhäuser retten Leben“, sagt Stein. „… | |
um das tun zu können, brauchen wir Plätze.“ | |
Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD ein Aktionsprogramm zur | |
Unterstützung gewaltbetroffener Frauen und einen runden Tisch von Bund, | |
Ländern und Kommunen zum Thema angekündigt. Das Ziel: der bedarfsgerechte | |
Ausbau und die angemessene finanzielle Absicherung von Frauenhäusern und | |
entsprechenden Beratungsstellen. | |
Neben dem akuten Platzmangel ist nämlich eines der größten Probleme der | |
Häuser, dass die Finanzierung auf wackligen Füßen steht. Es gibt | |
unterschiedliche Pauschalen nach jeweiligen Landesgesetzen oder Tagessätze, | |
also Einzelfallfinanzierung. Aber gerade die, sagt Haller, sei ein viel zu | |
hoher Aufwand. | |
Wenn eine Frau in ein Haus komme und erst einmal stabilisiert werden müsse, | |
koste es viel zu viel Kraft und Zeit, Anträge zu stellen und zum Teil vor | |
Gericht durchzufechten. „Gewalt gegen Frauen ist kein singuläres, sondern | |
ein strukturelles Problem“, sagt Haller. „Deshalb brauchen wir auch | |
strukturelle Lösungen.“ | |
## Runder Tisch | |
Nun tut sich tatsächlich etwas auf dem Weg zu einer sicheren Finanzierung: | |
Am 18. September wird sich zum ersten Mal der im Koalitionsvertrag | |
angekündigte Runde Tisch treffen, wie eine Sprecherin von Frauenministerin | |
Franziska Giffey (SPD) der taz sagte. An diesem werden VertreterInnen des | |
Bundesfrauenministeriums, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, | |
VertreterInnen der Länder und der kommunalen Spitzenverbände teilnehmen. | |
Auch NGOs wie die ZIF sollen in Workshops einbezogen werden, um gemeinsam | |
über Ausbau und finanzielle Absicherung von Frauenhäusern zu sprechen. Ab | |
2019, so die Sprecherin, soll es ein Bundesförderprogramm geben, über | |
dessen Höhe sie allerdings erst nach der Verabschiedung des Haushalts für | |
2019 Auskunft geben könne. | |
Klar ist, dass die ZIF eine einzelfallunabhängige Finanzierung fordern | |
wird. „Wir wollen drei Säulen“, sagt Haller: Erstens einen Sockelbetrag | |
unabhängig von den besetzten Plätzen, um Kosten etwa für geschäftsführende | |
Aufgaben zu decken. Zweitens eine Pauschale pro vorgehaltenem Platz. Und | |
drittens die Abdeckung der tatsächlichen Kosten zum Betrieb der Häuser, | |
also etwa der regional sehr unterschiedlich hohen Mieten. „Erst wenn die | |
Finanzierung steht, können wir juristisch abgesichert auch die Anzahl der | |
Plätze ausbauen“, sagt Haller. | |
Was die Autonomen Frauenhäuser außerdem wollen, ist bessere Kommunikation: | |
Bislang arbeiten nur Hessen und Nordrhein-Westfalen mit öffentlichen | |
Websites, auf der die Anzahl der freien Plätze in den Häusern einsehbar | |
ist. Die ZIF fordert eine bundesweite Homepage, auf der sich sowohl | |
Betroffene als auch Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen oder | |
Frauenhäusern über freie Plätze informieren können. Das sei auch deshalb | |
wichtig, weil viele Frauen, wenn sie untertauchen, den Ort wechseln. In | |
solchen Fällen ist die Platzsuche besonders schwierig. | |
Noch schwieriger ist es, wenn Frauen wie Melek Güngör aus einem anderen | |
Land kommen und kaum Deutsch sprechen. Güngör hatte Glück, dass eine | |
Freundin ihr half – ihre einzige in Deutschland. Bei ihr konnte sie | |
übergangsweise unterkommen. | |
## „Behandelt wie einen Putzlappen“ | |
Güngörs Geschichte ist vielschichtig, aber typisch für die Geschichte von | |
Frauen in Gewaltbeziehungen: Die Situation wird über Jahre immer schlimmer. | |
Die junge Frau in grauer Trainingshose und weißem Shirt wirkt freundlich | |
und offen, während sie erzählt, muss aber ab und zu Pausen machen, weil ihr | |
die Tränen kommen. | |
Mit 16 wird sie in der Türkei verheiratet, mit 17 bekommt sie ihr erstes | |
Kind. Erst danach holt ihr Mann sie zu sich nach Deutschland, wo er seit | |
Jahren lebt. Güngör spricht kaum Deutsch, sie putzt und kocht, sowohl zu | |
Hause als auch bei ihrer Schwiegermutter, die in der Nachbarschaft lebt. | |
Die kontrolliert sie, es gibt Streit. Schließlich beginnt ihr Mann, sie zu | |
schlagen. | |
Sie will sich trennen, hat aber niemanden, der sie unterstützt: „Meine | |
Eltern sagten, ich dürfe mich nicht scheiden lassen“, sagt sie. „Aber mein | |
Mann hat mich behandelt wie einen Putzlappen.“ Während eines Aufenthalts in | |
der Türkei macht ihr Mann gemeinsame Sache mit ihren Eltern: Sie nehmen ihr | |
die Papiere ab, er fliegt mit den beiden Kindern zurück nach Deutschland. | |
„Ich war wie erstarrt“, sagt Güngör. | |
Rita Steins Haus, in dem Güngör vor zweieinhalb Monaten schließlich | |
Zuflucht fand, ist schmucklos, aber freundlich eingerichtet. Im grünen | |
Innenhof spielen zwei kleine Jungen. Aber die Eingangstür zu Haus und Hof | |
ist fest verschlossen. Zwanzig Zimmer zwischen 9 und 26 Quadratmeter gibt | |
es hier, mit insgesamt 53 Plätzen für Frauen und ihre Kinder. Die Hälfte | |
der Frauen bleibt im Schnitt zwischen einem Tag und drei Monaten, ein | |
wachsender Teil bis zu einem halben Jahr. | |
## Frauen aus 40 Ländern | |
„Frauenhäuser sind keine schnelle Durchlaufstation“, sagt Projektleiterin | |
Stein. Die Frauen seien traumatisiert, im schlimmsten Fall körperlich | |
schwer verletzt. Sie bräuchten Zeit, um gesund zu werden, sich zu | |
orientieren und durch die Bürokratie zu kämpfen, die eine solche | |
Entscheidung fast immer mit sich bringt. Und der angespannte Wohnungsmarkt | |
mache es ihnen nicht leichter, den Schritt hin zum selbstständigen Leben zu | |
schaffen. | |
Güngörs Geschichte ist noch aus einem weiteren Grund typisch für die | |
Situation vieler Frauen in Frauenhäusern: In Rita Steins Haus kamen letztes | |
Jahr Frauen aus rund 40 Herkunftsländern. „Deutsch-deutsche Frauen sind | |
durch alle Milieus hindurch genauso oft von Gewalt betroffen wie Frauen mit | |
Migrationshintergrund“, sagt Stein. „Sie haben aber oft andere | |
Möglichkeiten, sich zu orientieren: Sie haben einen gesicherten | |
Aufenthaltsstatus und ein funktionierendes soziales Umfeld, sie sprechen | |
die Sprache, und es ist leichter für sie, einen Job zu finden.“ | |
Für Stein ist das ein weiterer Grund, bald Rechtssicherheit über die | |
Finanzierung zu bekommen: „Ich möchte mir nicht ausmalen, was passieren | |
würde, wenn die AfD in einer Koalition säße“, sagt sie. „Wenn die sagen, | |
ihr habt zu viele Migrantinnen, müssen wir um die Existenz der Häuser | |
fürchten.“ | |
Melek Güngör hat nun, ein halbes Jahr nach ihrer Flucht, entscheidende | |
Schritte geschafft, die ohne den Platz im Frauenhaus nicht möglich gewesen | |
wären. Sie hat eine Aufenthaltsgenehmigung und kann ihre Kinder an den | |
Wochenenden sehen. Der Prozess um das Sorgerecht steht an. Sie hat einen | |
Minijob als Reinigungskraft und muss lachen, als sie das erzählt: „Ich hab | |
so viel geputzt bei meiner Schwiegermutter, dass ich jetzt Profi bin.“ Sie | |
will einen Deutschkurs machen, ein paar Worte spricht sie schon, und eine | |
Wohnung finden. „Niemand soll mich jemals wieder so klein machen dürfen.“ | |
*Namen geändert, damit Melek Güngörs Wohnort nicht identifizierbar ist | |
7 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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