# taz.de -- Über die Erziehung fremder Kinder: Es braucht ein Dorf. Aber welch… | |
> Gehören entfernt bekannte Kinder zum eigenen Erziehungsbereich? Der | |
> Ethikrat ist zu sehr mit neuen Einkommenquellen befasst, um sich zu | |
> äußern. | |
Bild: Eine philosophische Hotline: der Ethikrat sieht hier ganz neue Geschäfts… | |
Am Abend eines Tages, der mehr als nur missraten war, wählte ich am Telefon | |
die 333. Ich hoffte, dass an deren Ende eine beruhigende Botschaft lag, | |
etwas in der Art des Seewetterberichts außerhalb der Sturmsaison. Zu meiner | |
Überraschung meldete sich der Ethikrat. Der Ethikrat, das sind drei ältere | |
Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich [1][Handreichungen in | |
Sachen praktischer Ethik] geben. | |
„Wenn Sie eine Einführung in die Geschichte der praktischen Ethik | |
wünschen“, sagte der Ethikrat, „dann drücken Sie die Eins. Wenn Sie | |
Hinweise zum Thema praktische Ethik und Intersektionalität wünschen, dann | |
drücken Sie die Zwei.“ Es folgte ein Husten, dann sagte die Stimme des | |
Ratsvorsitzenden: „Wenn Sie direkt mit einem Mitglied des Ethikrats | |
verbunden werden wollen, dann sagen Sie: ‚Heureka!‘“ | |
„Sind Sie nicht schon am Apparat?“, sagte ich und es war taktlos, die | |
technischen Bemühungen des Rats zu missachten, aber meine Stimmung war zu | |
schlecht, um andere unbehelligt zu lassen. „Ja, das stimmt“, sagte der | |
Ethikratsvorsitzende munter. „Wie haben Sie das gemerkt?“ „Es war nur so | |
eine Ahnung“, sagte ich matt, „vielleicht wegen des Hustens.“ „Nun“, … | |
der Vorsitzende, „daran werden wir noch feilen. Welchen Service wünschen | |
Sie?“ | |
„Ich würde Sie gerne treffen“, sagte ich. „Ich bin ein bisschen im Unrei… | |
mit mir und wäre froh, Sie zu sehen.“ Tatsächlich, dachte ich, musste es | |
mir wirklich schlecht gehen, denn die letzten Treffen mit dem Ethikrat | |
waren nicht im engeren Sinn hilfreich gewesen. Aber die Kette meiner | |
pädagogischen Unzulänglichkeiten war zu dicht geknüpft, um nicht nach jedem | |
Strohhalm zu greifen. | |
Gerade, als ich von der Arbeit nach Hause kam, hatte ich ein Besuchskind am | |
Abendbrottisch vorgefunden, das seine Nudeln als Bart vor sich trug. | |
„Könntest du etwas schöner essen“, hatte ich statt einer Begrüßung gesa… | |
und meine Familie hatte mich befremdet betrachtet. | |
## Die ewigen Entschuldigungen | |
Das Besuchskind wirkte unerschüttert, aber ich haspelte ein paar | |
Entschuldigungen hinterher, während ich in einer Ecke meines Kopfes dachte: | |
Warum heißt es landauf, landab, man brauche ein ganzes Dorf, um ein Kind zu | |
erziehen und kaum kommt man als Dorfbewohnerin der Aufgabe nach, nagelt man | |
sich selbst dafür ans Kreuz? | |
Der Ratsvorsitzende unterbrach meine Überlegungen. „Leider sind wir an das | |
Tonstudio gebunden“, sagte er. „Wir machen gerade Aufnahmen, um uns neue | |
Geschäftsbereiche zu erschließen. Aber wir können uns gern über dieses | |
Medium unterhalten.“ „Na prima“, dachte ich, „kaum wittert der Rat ein | |
neues Publikum, lässt er die alten Schüler hinter sich wie alte Schuhe“, | |
aber welche Wahl hatte ich schon. | |
„Was ist Ihr Anliegen?“, fragte der Vorsitzende. „Ich bin übergriffig mit | |
anderen Kindern“, sagte ich, „das heißt, ich erziehe an Besuchskindern | |
herum, obwohl ich mit der Erziehung meiner eigenen durchaus ausgelastet | |
bin.“ Ich schilderte das Spaghetti-Fiasko und dann noch ein gewichtigeres, | |
das etwas mit einer Aufforderung zu tun hatte, nicht schlecht über andere | |
zu reden, aber das Ganze war mir immer noch so unangenehm, dass ich | |
abbrach. | |
„Es sind noch 20 andere philosophisch Interessierte vor Ihnen in der | |
Warteschleife“, hörte ich im Hintergrund eines der beiden anderen | |
Ratsmitglieder sagen. „Das sind viel zu viele“, sagte das andere Mitglied | |
und begann zu kichern. Ich versuchte sie zu überhören. | |
## Der Wunsch nach Absolution | |
„Ich habe mich hinterher entschuldigt“, sagte ich zum Ratsvorsitzenden, | |
„und dann meiner Mutter davon erzählt. Sie meinte, dass Kinder mit solchen | |
Entschuldigungen nicht viel anfangen könnten, weil es sie verunsichert. | |
Weil sie sich Eltern wünschen, die nicht ständig zurückrudern müssen. Und | |
ich finde ohnehin, dass diese Entschuldigungen ja meist nur der Wunsch nach | |
Absolution sind und beim nächsten Mal macht man es keinen Deut besser. Ich | |
zumindest nicht.“ | |
Niemand sagte etwas. „Sind Sie noch dran?“, fragte ich. Es knackte in der | |
Leitung. „Dieser Anruf kostet Sie 300 Euro“, sagte eine dumpfe Stimme und | |
ich musste annehmen, dass es eines der Ratsmitglieder war, das sich ein | |
Tuch vor den Mund hielt. | |
20 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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