| # taz.de -- US-Präsident auf Europa-Tour: Feige und zu kurz gedacht | |
| > US-Präsident Biden will die demokratischen Länder hinter sich scharen, um | |
| > Peking vereint entgegenzutreten. Berlin sollte die Chance nutzen. | |
| Bild: Joe und Jill Biden auf dem Weg zum Fototermin in Carbis Bay, Cornwall | |
| Die USA sind zurück. Und anders als Donald Trump setzt Joe Biden auf die | |
| transatlantischen Bündnispartner, ist mehr um Multilateralismus bemüht und | |
| hält die Verteidigung von Demokratie und Freiheit für ein wichtiges | |
| Anliegen. | |
| Nun ist Biden erstmals als US-Präsident auf Europa-Tour: Am Wochenende | |
| trifft er die G7-Regierungschefs im südenglischen Cornwall, gleich danach | |
| reist er weiter zum Nato-Gipfel nach Brüssel, im Anschluss daran sind | |
| Gespräche mit sämtlichen EU-Regierungschefs geplant. Und er hat einiges im | |
| Gepäck: eine globale Unternehmensteuer, konkrete Maßnahmen zur weltweiten | |
| Coronabekämpfung, mehr Tempo beim Klimaschutz. Vor allem aber plant er eine | |
| neue globale Infrastrukturinitiative als Alternative zum aggressiven | |
| Machtstreben Chinas. | |
| Über Bidens Vorstöße müssten sich die freiheitlich orientierten und | |
| progressiven Kräfte Europas eigentlich freuen. Doch von Euphorie ist in | |
| Brüssel, Berlin und Paris wenig zu spüren. Vor allem die Bundesregierung | |
| hält sich bedeckt, wirkt hinter den Kulissen geradezu blockiert. | |
| Ein Grund für die Skepsis der Europäer ist durchaus nachvollziehbar. Die | |
| Trump-Jahre haben sie gelehrt, dass Europa sich nicht auf die USA als stets | |
| verlässlichen Garanten von Freiheit, Demokratie und Wohlstand stützen | |
| sollte. Deswegen wollen die Europäer jetzt auf eigenen Beinen stehen. Und | |
| wie schon bei seinem Vorgänger Trump gilt auch unter Biden: America first. | |
| ## Inszenierung als globaler Wohltäter | |
| Das zeigt sich nicht zuletzt an der Impfstoffbeschaffung. Erst jetzt, | |
| nachdem ein Großteil der US-Bevölkerung durchgeimpft ist, will Biden den | |
| armen Ländern eine halbe Milliarde Impfstoffdosen zur Verfügung zu stellen. | |
| Dabei inszeniert er sich als globaler Wohltäter. Bundeskanzlerin Angela | |
| Merkel hält das zu Recht für scheinheilig. | |
| Der weitere Grund für ihre Zurückhaltung ist aber zu kurz gedacht – und | |
| feige: Gerade Deutschland will China nicht verärgern. Bidens großes Projekt | |
| ist ein Gegenprogramm zur neuen Seidenstraße, dem gigantischen | |
| Investitionsprogramm, mit dem Peking immer mehr Länder des Globalen Südens | |
| an sich bindet. Die westlichen Industriestaaten hatten dem bislang wenig | |
| entgegenzusetzen. | |
| Unter dem Label „Build Back Better World“ (B3W) präsentieren die USA nun | |
| ein Gegenmodell, offiziell mit dem Ziel, in weniger entwickelten Ländern | |
| nachhaltige Infrastrukturprojekte zu fördern und damit Alternativen zu den | |
| chinesischen Investoren zu bieten. Aber das eigentliche Ansinnen der USA | |
| ist klar: China in Schach zu halten. | |
| Da sollte die Bundesregierung mit ganzem Herzen dabei sein, doch sie tut | |
| sich schwer. Zu groß ist der Einfluss der Großindustrie mit ihrer starken | |
| Präsenz in der Volksrepublik auf das Kanzleramt. Die Angst dieser | |
| Unternehmer: Xi Jinping könnte gerade der Autoindustrie empfindlich | |
| schaden, wenn er ihr den Marktzugang erschwert. | |
| ## Machthungrige Volksrepublik | |
| Merkel übersieht, dass ihr Peking-freundlicher Kurs überholt ist und Biden | |
| heute recht hat. Denn China ist nicht mehr dasselbe Land wie noch vor 10 | |
| Jahren, als es bescheiden auftrat und vor allem von anderen lernen wollte. | |
| Unter Xi hat die Welt es zunehmend mit einer machthungrigen Volksrepublik | |
| zu tun, die ihre Interessen skrupellos durchsetzt. | |
| Auch deutsche Unternehmen haben es dort inzwischen schwer. So eigennützig | |
| Bidens Vorstöße sein mögen – er bietet den Europäern die Möglichkeit, ei… | |
| Allianz der Kräfte zu schmieden, die mit konkreten Vorhaben dem weltweit | |
| zunehmenden Einfluss von [1][Autokratien wie China] und Russland Einhalt | |
| gebietet. | |
| Schon in zwei Jahren könnte es damit vorbei sein, wenn Biden die Mehrheit | |
| im Kongress bei den Midterm-Wahlen womöglich verliert. Die oppositionellen | |
| Republikaner – [2][wahrscheinlich unter Trump] – wären imstande, die | |
| Vorhaben des Präsidenten allesamt zu blockieren. Die Europäer sollten daher | |
| die Chancen ergreifen, die Biden ihnen eröffnet. Denn ein besseres Angebot | |
| aus den USA ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. | |
| 12 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Felix Lee | |
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