# taz.de -- US-Nuklearforscher über Sicherheitslage: „Die nukleare Anarchie … | |
> Die Sicherheitslage ist angespannt wie nie, schuld sind vor allem die | |
> USA, erklärt Peter Kuznick vom US-Institut für nukleare Studien. | |
Bild: Schafft es locker bis Berlin: Die Iskander-K Kurzstreckenrakete wird nich… | |
taz: Warum will Donald Trump den [1][INF-Vertrag über nukleare | |
Mittelstreckenraketen kündigen]? | |
Peter Kuznick: Wir haben eine Atmosphäre des Misstrauens gegen Russland. | |
Das gibt ihm die Rückendeckung von beiden Parteien. Die Republikaner | |
betrachten Rüstungskontrolle als Einschränkungen der amerikanischen | |
Souveränität. Und selbst Demokraten, die den Rückzug aus dem INF-Abkommen | |
eigentlich kritisieren, sind gegenwärtig so russophob, dass die Mehrheit | |
der amerikanischen Bevölkerung es als legitim betrachtet, dass Trump das | |
tut. Für Trump erfüllt der Rückzug damit mehrere Zwecke: Er lenkt von den | |
anderen Krisen ab und er erlaubt ihm, einen Schachzug zu machen, ohne eine | |
Kontroverse auszulösen. | |
Angesichts der russischen Einmischungen im US-Wahlkampf ist die Schärfe der | |
Demokraten nachvollziehbar. | |
Es gibt Demokraten, die in der russischen Einmischung den Grund sehen, | |
weshalb Hillary Clinton die Wahlen verloren hat. Aber erstens haben sich | |
die USA seit mehr als 70 Jahren regelmäßig in Wahlen in anderen Nationen | |
eingemischt. Und zweitens ist das Ausmaß der russischen Einmischung völlig | |
übertrieben worden. Clinton war eine schlechte Kandidatin, die eine | |
schlechte Kampagne gemacht hat und außenpolitisch aggressiver war als | |
Donald Trump. | |
Die erste Reaktion aus Moskau auf Trumps Ankündigung war erleichtert. | |
Motto: Jetzt können wir [2][neue optische Waffen und neue | |
Langstreckenraketen entwickeln]. Das klingt, als ob Trump Putin einen | |
Gefallen getan hätte. | |
Putin redet seit mehr als 15 Jahren davon, dass der INF-Vertrag obsolet | |
sei, und er kritisiert vieles, das Gorbatschow getan hat. Der INF-Vertrag | |
von 1987 bevorteilte die USA. Er verbot die Stationierung von | |
Mittelstreckenraketen in Europa, aber er unternahm nichts gegen die luft- | |
und seegestützten Raketen, bei denen die USA überlegen waren. | |
Wieso geben die USA jetzt einen Vertrag auf, der sie begünstigt hat? | |
Weil der „unipolare Moment“ – oder ab 2002 die „unipolare Ära“ – z… | |
ist. Nachdem die USA in Afghanistan einmarschiert waren, betrachteten Dick | |
Cheney (Vizepräsident unter George W. Bush; d. Red.) und Paul Wolfowitz | |
(sein Berater; d. Red.) die USA als Welt-Hegemon. Sie fühlten sich stark. | |
Aber dann marschierten die USA im Irak ein, und die Hölle ging los. | |
Wie beschreiben Sie den jetzigen Moment? | |
Die Welt ist komplizierter geworden. China mag heute nur 280 Atomwaffen | |
haben – nicht viel im Vergleich zu den jeweils mehr als 6.000 in den USA | |
und in Russland. Aber China wird stärker. Es hat die größte Marine der | |
Welt, hat die Kontrolle über das Südchinesische Meer durchgesetzt und über | |
große Teile vom Ostchinesischen Meer. Und 95 Prozent der chinesischen | |
Raketen fallen unter den Bereich, der im INF-Vertrag verboten ist. Wir sind | |
an einem multipolaren Moment angelangt, in dem die USA militärisch von | |
Russland sowie wirtschaftlich und in gewisser Hinsicht auch militärisch von | |
China herausgefordert werden. | |
Hat Trump Druckmöglichkeiten gegenüber China? | |
Die Chinesen haben eine globale Politik gegen Erstschläge vorgeschlagen. | |
Und sie wollten keine Bewaffnung des Weltraums. Aber die USA haben diese | |
Vorschläge in der UNO blockiert. Wenn die USA zu einer breiteren, | |
universellen Abrüstung bereit wären, könnte es sein, dass die Chinesen sich | |
darauf einlassen und Begrenzungen ihrer Raketen akzeptieren. Aber wenn | |
China es nicht tut, wird Indien es nicht tun. Wenn Indien es nicht tut, | |
wird Pakistan es nicht tun. Und so weiter. | |
Wozu führt das dann? | |
Es schafft nukleare Anarchie. | |
Wer hat Interesse an nuklearer Anarchie? | |
John Bolton (Berater für die Nationale Sicherheit im Weißen Haus; d. Red.), | |
Trump und ihre Alliierten glauben, dass sie den Rüstungswettlauf gewinnen | |
können. Trump glaubt, dass er in der Lage ist, Russland, China und alle | |
anderen mit höheren Rüstungsausgaben zu überbieten. Genau dasselbe hat | |
schon Ronald Reagan gemeint. Als Gorbatschow 1986 von dem Treffen in | |
Reykjavík zurückkam, klagte er über die Höhlenmenschen-Mentalität der | |
Amerikaner. Und über deren Idee, die Sowjetunion in einen Rüstungswettlauf | |
zu drängen, bei dem sie nicht mithalten konnten. | |
Das hat ja geklappt. | |
Es war nicht haltbar, dass 25 Prozent und mehr des BIP in Militärausgaben | |
flossen. Aber diese Politik ist dennoch sehr gefährlich und sehr | |
destabilisierend. | |
Schon unter Obama haben die USA eine nukleare Modernisierung begonnen, die | |
weit über eine Billion Dollar kosten wird. Jetzt bahnt Trump den Weg für | |
ein neues Wettrüsten mit Russland. Aber in den USA findet kaum eine | |
öffentliche Diskussion über den Sinn dieser folgenschweren Entscheidungen | |
statt. Warum? | |
Welcome to America. Hier dreht sich alles um den Gouverneur von Virginia | |
oder um Migranten an der Südgrenze. Aber nicht um das INF oder den neuen | |
Kalten Krieg. Die Amerikaner leben in einem wirklichkeitsfremden Zustand. | |
Das begann schon 1985, als sich die bilateralen Verhältnisse mit der | |
Sowjetunion zu verbessern begannen. | |
Wie erklären Sie das? | |
Wenn es um Außenpolitik geht, gibt es hier keine echte Oppositionspartei. | |
Die Demokraten haben zwar George W. Bush kritisiert, als er im Amt war. | |
Aber dann hat Obama in Sachen Sicherheitsstaat, Massenüberwachung und | |
US-Empire viel von der Politik legitimiert, die unter Bush so kontrovers | |
war. | |
Spielt es nicht auch eine Rolle, dass die USA im Gegensatz zu Russland nie | |
massive Kriegszerstörungen auf dem eigenen Territorium erlebt haben? | |
Das ist ein Faktor. Aber insgesamt erleben wir hier eine bedrückende | |
Ignoranz, wenn es um Geschichte geht. Sie haben keine Ahnung vom Kaltem | |
Krieg und sie verstehen nichts von der Ukraine. Das macht es schwer, zu | |
verstehen, was in der Welt passiert. | |
Hat die Präsidentschaft von Trump dieses öffentliche Bewusstsein über | |
Außenpolitik nicht verändert? | |
Was mich optimistisch macht, sind die Schüler. Ich habe in diesem Jahr an | |
die 30 Interview-Anfragen zum National History Day bekommen. Dabei geht es | |
meist um das Manhattan Project (das die US-amerikanische Atombombe im | |
Zweiten Weltkrieg entwickelt hat; d. Red.), das jahrelang niemanden | |
interessiert hat. | |
Was sagen die Parlamentarier zu Trumps INF-Rückzug? | |
Es gibt zehn Demokraten im Senat, die Trump daran hindern wollen, den | |
INF-Vertrag zu kündigen. Sie wollen die Finanzierung von Raketen, die nicht | |
den Regeln des INF-Vertrags entsprechen, verhindern. | |
10 von 100 Senatoren sind nicht besonders viel. Was können sie ausrichten? | |
Sie haben eine Chance, es durch das Repräsentantenhaus zu bringen. Aber im | |
Senat ist es zweifelhafter. | |
Ist Trump in Atomfragen also weiterhin allein an Bord? | |
Wie in den 80er Jahren gibt es die Öffentlichkeit. Sie hat damals eine | |
Atmosphäre geschaffen, die Ronald Reagan entgegen seiner ursprünglichen | |
Absicht einem Verbot von Atomwaffen in Reykjavík nahe kommen ließ. So eine | |
Atmosphäre könnte wieder entstehen. Dafür spricht auch die neue Energie in | |
der Demokratischen Partei, die mit den jungen und progressiven Frauen in | |
das Repräsentantenhaus gekommen ist. | |
Der INF-Vertrag war einer der letzten des Kalten Kriegs. Seit er in Kraft | |
getreten ist, haben sich Blöcke und nationale Grenzen, aber auch | |
Waffentechnologien verändert und ist die Zahl der Atomwaffen von rund | |
65.000 auf rund 10.000 reduziert worden. Macht es da nicht Sinn, einen | |
neuen Vertrag zu schließen? | |
Es macht Sinn, zu versuchen einen neuen zu verhandeln. Aber nicht, den | |
INF-Vertrag in dem Prozess aufzukündigen. Was wir brauchen, ist mehr | |
Kooperation, mehr Vertrauen, mehr Verhandeln, mehr Diplomatie. Aber was die | |
USA tun – angefangen mit dem ABM-Vertrag (der eine Begrenzung von | |
Raketenabwehrsystemen regelte; d.Red.), dem Auszug aus dem Pariser | |
Klima-Abkommen, aus dem Iran-Abkommen und jetzt aus dem INF-Vertrag –, ist | |
etwas anderes. | |
Und es geht weiter: Trump hat bereits angekündigt, dass er nicht zu | |
Diskussionen über die 2021 fällige Erneuerung des neuen START-Abkommens | |
bereit ist. Das lässt befürchten, dass wir auf dem Weg zurück in die 80er | |
Jahre sind. Damals gab es in der Welt das atomare Zerstörungspotenzial von | |
1,47 Millionen Hiroschima-Bomben. Dahin könnten wir zurückkommen. Aber | |
seither ist die Welt gefährlicher geworden. Mit Dutzenden von Ländern, die | |
technologisch die Fähigkeit haben, sich atomar zu bewaffnen, und die einen | |
Druck spüren, das zu tun. Das macht die nukleare Anarchie zu einer realen | |
Möglichkeit. | |
Was sollte ein neuer Vertrag leisten? | |
Ich glaube nicht, dass es eine Chance für einen neuen Vertrag gibt. Die | |
einzige Hoffnung, die wir haben, ist es, nicht zu erlauben, den alten | |
Vertrag zu zerreißen. Wenn es tatsächlich darum ginge, ob sich Russland an | |
den Vertrag hält, müssten gegenseitige Inspektionen der logische Schritt | |
sein. Die USA könnten russische bodengestützte Raketen inspizieren. Und die | |
Russen könnten das AEGIS-Abwehrsystem der USA in Rumänien inspizieren, von | |
dem sie glauben, es könne leicht für das Abfeuern bodengestützter | |
Cruise-Missiles umgerüstet werden. | |
Welche Rolle sehen Sie für Europa in dieser Situation? | |
Der deutsche Außenminister Heiko Maas und die Außenbeauftragte der EU, | |
Federica Mogherini, haben den INF-Vertrag deutlich unterstützt. Aber die | |
Nato ist sofort eingeknickt und hat Trump den Rücken gestärkt, obwohl sie | |
den INF zuvor als eine Säule der Stabilität und der Waffenkontrolle | |
bezeichnet hat. | |
Woher kann also die Lösung kommen? | |
Ich hoffe, dass die europäische Öffentlichkeit Druck auf die politisch | |
Verantwortlichen ausübt. Europa kann den USA die Stationierung neuer | |
Raketensysteme verbieten und die USA auch unter Druck setzen, indem es den | |
Abzug der anderen Atomwaffen aus Europa verlangt. Europa sollte die USA an | |
diesem Punkt nicht als Alliierte betrachten. Sie bringen die Welt in | |
Gefahr. Das zwingt Europa dazu, eine unabhängige Position einzunehmen. | |
Europa sollte stärker auf Russland zugehen. Es könnte sein Missfallen auch | |
ausdrücken, indem es ein Veto gegen den exzessiven Gebrauch von Sanktionen | |
einlegt. Die Europäer versuchen gerade etwas gegenüber dem Iran, wo Trump | |
ebenfalls ein Abkommen gekündigt hat, das funktionierte. Vielleicht ist | |
die Umgehung des US-Finanzsystems der alternative Weg und das Vorbild. | |
15 Feb 2019 | |
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Dorothea Hahn | |
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