# taz.de -- Türkische Exil-Journalist*innen: Die Solidarität ist vorbei | |
> Viele türkische Journalist*innen mussten nach 2016 ihr Land verlassen. | |
> Von der anfänglichen Solidarität ist in Deutschland nichts mehr zu | |
> spüren. | |
Bild: Während einer Kundgebung für Pressefreiheit im Jahre 2017 | |
Während des Ausnahmezustands, der in der Türkei nach dem Putschversuch 2016 | |
verhängt wurde und zwei Jahre andauerte, brachte die AKP-Regierung in | |
Koalition mit der rechtsextremen MHP die Presse komplett unter ihre | |
Kontrolle. Eine Zeitung nach der anderen wurde geschlossen, [1][Hunderte | |
Journalist*innen wurden verhaftet], Tausende Medienmitarbeiter*innen wurden | |
arbeitslos. | |
Aufgrund dieser Entwicklungen war für manche Journalist*innen die einzige | |
Lösung, das Land zu verlassen. Auch ich bin eine dieser Journalist*innen. | |
Anfangs war es in Deutschland sehr populär, Solidarität mit oppositionellen | |
Journalist*innen aus der Türkei zu zeigen, doch dieser Trend ist nun, drei | |
Jahre später, vorbei. Der Rahmen der Solidarität war ohnehin abgesteckt. | |
Wie sieht es also aus bei den Medien, die außerhalb der Türkei auf Türkisch | |
berichten? Wie ist die Lage bei WDR Cosmo und Artı TV? | |
Ich bin eine derer, die in dem WDR-Cosmo-Projekt „Türkei Unzensiert“ | |
gearbeitet haben. Ein Format, in dem Exil-Journalist*innen regelmäßig in | |
einer Videokolumne über die Türkei gesprochen haben. Vergangenes Jahr | |
teilte uns die Geschäftsführung mündlich mit, dass das Projekt im September | |
2019 aus finanziellen Gründen beendet wird. Auf meine Mails mit der | |
Nachfrage, was aus mir werden soll, habe ich bis heute keine Antwort | |
bekommen. Doch die Antwort von Cosmo scheint klar zu sein: Es gibt kein | |
Geld, das Projekt ist zu Ende, jede*r muss sich was Neues suchen. | |
## Neues Format, neue Leute | |
Einigermaßen erstaunlich ist, dass [2][„Türkei Unzensiert“ als neues | |
Format] nun wieder erscheint. Als wöchentliche Magazinsendung – auf Deutsch | |
und auf Türkisch mit der erfahrenen und renommierten Journalistin Banu | |
Güven. Wenn es also genug Geld gibt, um das Projekt fortzuführen, warum | |
wurden dann ungefähr zehn Journalist*innen vor die Tür gesetzt? Wenn | |
Solidarität so wichtig ist, warum gibt es dann keine Arbeit für eine | |
[3][Exil-Journalistin, die wegen ihrer trans Identität] in der | |
Journalismusbranche jahrelang marginalisiert wurde und nun Asyl bekommen | |
hat? | |
Währenddessen hat neulich ein Journalist, der bei dem oppositionellen | |
linken Kölner Exil-Sender Artı TV arbeitet, auf Twitter mitgeteilt, dass er | |
nicht versichert ist und einen Hungerlohn bekommt. Die offizielle Erklärung | |
auf der Seite des Senders war erschreckend. Die Geschäftsführer | |
bezeichneten den Kampf des Journalisten für seine Rechte als „Angriffs- und | |
Diffamierungskampagne“. Dabei war es vielmehr eine Enthüllung der seit | |
Langem andauernden Ausbeutung in oppositionellen linken Medien. Doch das | |
Erschreckende war, dass dieses System wohl nach Europa übertragen worden | |
ist. | |
Ich glaube, es macht überhaupt keinen Unterschied, ob man in der Türkei | |
oder in Deutschland arbeitet. In diesem Sektor, der auf einer männlichen | |
Identität aufbaut, wird es immer Journalist*innen geben, die verlieren. | |
2 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Urteil-gegen-Journalisten-in-der-Tuerkei/!5652946 | |
[2] https://www1.wdr.de/radio/cosmo/tuerkei-unzensiert/tuerkei-unzensiert-192.h… | |
[3] /Kolumne-Lost-in-Translation/!5579517 | |
## AUTOREN | |
Michelle Demishevich | |
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