Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wunderbare Freundschaft: Besuch aus Istanbul
> Unsere Autorin lebt seit drei Jahren im Berliner Exil. Über den
> Überraschungsbesuch einer Freundin freute sie sich sehr – bis Tinder
> dazwischen kam.
Bild: Einer der wenigen Orte in Berlin, die der Besuch aus Istanbul gesehen hat…
Als ich Istanbul vor drei Jahren verlassen habe, habe ich meine Freundin
Zeynep ein letztes Mal umarmt, weil ich sie vielleicht nie wiedersehen
würde. Ich kenne Zeynep seit 25 Jahren, wir hatten glückliche und schlechte
Zeiten, aber all diese Momente haben wir gemeinsam erlebt.
Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich [1][ins Exil gehe] und dass das meine
letzte Nacht in Istanbul sein würde. Aber sie verstand es auch so. Weil ich
sie diesmal anders umarmte als sonst. Zeynep hat mich in dieser Nacht
nichts gefragt. Sie wusste, dass ich nicht gehen würde, wenn ich nicht
müsste. Zeynep wusste am besten, wie groß meine Liebe zu Istanbul war.
Letzte Woche war es endlich so weit: Zeynep überraschte mich und besuchte
mich in Berlin. Am Flughafen Tegel trafen wir uns nach Jahren wieder und
umarmten uns fest. Es fühlte sich an, als ob wir nie getrennt gewesen
wären. Auf dem Weg nach Hause lachten wir über die gleichen Dinge und
machten uns über eigenartige Typen lustig. Zwei trans Frauen aus Istanbul,
nach Jahren wieder zusammen.
Wir hatten uns viel zu erzählen nach all den Jahren. Zeynep ist
Krankenschwester, sie arbeitet seit 20 Jahren in der Notaufnahme eines
Krankenhauses. Als wir zu Hause ankamen, habe ich als Erstes den Teekessel
aufgesetzt. Kein gutes Gespräch ohne einen starken Çay. Meine Freundin ging
währenddessen ruhelos in der Wohnung auf und ab. Sie zog sich um und
frischte ihr Make-up auf. Okay, wir Istanbuler trans Frauen lieben es, zu
jeder Tageszeit gepflegt und chic auszusehen, aber zu Hause sind wir unter
uns, was sollte die Aufregung?
## Tinder-Date beim Freundinnenbesuch
Genau in dem Moment sagte Zeynep: „Meine Süße, entschuldige, ich treffe
mich mit jemandem. Ich bin in zwei Stunden zurück. Wenn ich wiederkomme,
plaudern wir die ganze Nacht bis zum Morgen.“ Sie küsste mich und ging.
Bevor ich fragen konnte: „Ayol, wohin gehst du?“, sagte sie: „Tinder-Date…
Zeynep blieb eine Woche in Berlin und [2][organisierte sich für jeden Tag
ein Tinder-Date]. Sie ging mit den Herren, die sie auf Tinder kennengelernt
hatte, in ein Restaurant, und nach dem Essen und ein paar Gläsern Wein ging
jede*r seiner Wege. Die Rechnung bezahlten natürlich immer die Männer.
Vergessen Sie nicht, eine Istanbuler trans Frau zahlt niemals die Rechnung
im Restaurant.
In der ganzen Woche haben wir es nur geschafft, zum Berliner Dom und
Checkpoint Charlie zu gehen und dort Erinnerungsfotos zu machen. Ich konnte
es nicht fassen. Da kommt Zeynep aus Istanbul, um ihre Freundin zu
besuchen, die sie seit drei Jahren nicht gesehen hat, und trifft sich mit
dahergelaufenen Typen. Aber was sollte ich machen, sie ist meine älteste
Freundin.
Zurück in der leeren Wohnung, nachdem ich sie zum Flughafen gebracht hatte,
ging es mir schlecht. In der Wohnung hing noch ihr Geruch, hier und da fand
ich kleine Sachen, die sie vergessen hatte. Ich setzte mir einen Tee auf
und wartete auf ihre Nachricht, dass sie gut angekommen war.
16 Feb 2020
## LINKS
[1] /Tuerkische-Dissidenten-und-das-Exil/!5523149
[2] /Tinder-und-das-Selbstwertgefuehl/!5645911
## AUTOREN
Michelle Demishevich
## TAGS
Lost in Trans*lation
Exil
Türkei
Tinder
Lost in Trans*lation
Lost in Trans*lation
Lost in Trans*lation
Schwerpunkt Türkei
Türkei
## ARTIKEL ZUM THEMA
Leben in Corona-Krise: Madame Michelle in Quarantäne
Für häusliche Personen bedeutet das Leben in den eigenen vier Wänden keine
große Veränderung – wenn da nicht die Bürokratie wäre und die Arztbesuche.
Pleite in Zeiten von Corona: Quarantäne und Finanzamt
Die Maßnahmen gegen eine Corona-Epidemie sind verwirrend. Aber das deutsche
Steuersystem ist ähnlich schwer zu verstehen.
Türkische Exil-Journalist*innen: Die Solidarität ist vorbei
Viele türkische Journalist*innen mussten nach 2016 ihr Land verlassen. Von
der anfänglichen Solidarität ist in Deutschland nichts mehr zu spüren.
Türkische Wissenschaftler im Exil: „Kurz vor dem Kollaps“
Nach dem Putschversuch in der Türkei wurden über 6.000 Wissenschaftler
entlassen. Einige konnten das Land verlassen. Rückkehr ist nicht in Sicht.
Kommentar Exil-Türken in Berlin: Eine traurige Zuflucht
Unser Autor ist von der Türkei nach Berlin gekommen, hier fühlt er sich
sicher. Die Erinnerung an sein früheres Leben lähmt ihn trotzdem.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.