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# taz.de -- Trauer um Werner Orlowsky: Der erste grüne Stadtrat Deutschlands
> Er war ein Pionier der behutsamen Stadterneuerung. Nun ist Werner
> Orlowsky im Alter von 87 Jahren gestorben.
Bild: Den Bau des Neuen Kreuzberger Zentrums am Kottbusser Tor konnte Orlowsky …
Als Winfried Kretschmann, der schwäbelnde Grüne aus Baden-Württemberg, vor
fünf Jahren, am 12. Mai 2011, zum ersten grünen Ministerpräsidenten der
Republik gewählt wurde, war schnell von Historischem die Rede. Werner
Orlowsky lebte damals schon zurückgezogen, wohl wissend, dass auch er grüne
Geschichte geschrieben hat, nur etwas früher als Kretschmann. 1981 war der
Drogist und Betroffenenvertreter vom Kottbusser Tor für die Alternative
Liste (AL) zum Kreuzberger Baustadtrat gewählt worden, der erste grüne
Stadtrat in der Bundesrepublik überhaupt.
Zur Legende aber taugte Orlowsky nicht, weder in den siebziger Jahren, als
er den Widerstand gegen die Kahlschlagsanierung und den Bau des Neuen
Kreuzberger Zentrums organisierte, noch nach seiner Zeit als aktiver
Politiker nach 1989. Er wusste, dass er seine Zeit hatte und seine Aufgabe.
Politische Großwetterlagen waren seine Sache nicht. Seine Aufgabe aber hat
er hervorragend gemeistert. Sehr zum Ärger der Immobilienspekulanten und
manchmal auch der autonomen Szene.
Dabei wäre der Stoff zur Legende durchaus da gewesen. Orlowsky, 1928
geboren, studierte Geschichte und Philosophie, bevor er in den 60er Jahren
die Unikarriere schmiss, weil er eine Familie zu ernähren hatte. Er mietete
einen Laden in der Dresdener Straße 19, wurde Drogist und profitierte von
der freien Marktwirtschaft, wie er der taz einmal verriet. „Unglaubliche
Gewinnspannen waren das“, erinnerte er sich. „Der Einkaufspreis für eine
Packung London betrug 30 Pfennig, im Laden gingen die Kondome für 2 Mark
über den Tisch.“
Dann aber rollte die Abrissbirne auf die Dresdener Straße zu, und Orlowsky
wurde zum Aktivisten. Als die AL nach der Wahl 1981 den Zugriff auf den
Posten des Baustadtrats hatte, fiel die Wahl auf Orlowsky, obwohl er bis
dahin kein Parteimitglied war und auch nie eines werden sollte. Orlowskys
Amtszeit war die Hochzeit der Besetzerbewegung. Den Bau des NKZ konnte er
nicht verhindern, wohl aber, dass die Kahlschlagsanierung Schule machte.
Aus Kreuzberg wurde nicht, wie es die autogläubige SPD gerne gehabt hätte,
ein zweites Gesundbrunnenviertel wie im Wedding. Stattdessen arbeiteten
Orlowsky und viele andere an einem Strategiewechsel, der bald unter dem
Namen „behutsame Stadterneuerung“ bekannt wurde.
## Nicht immer ein Diplomat
Werner Orlowsky, robust, korpulent und nicht immer Diplomat, saß zur
rechten Zeit auf dem richtigen Posten. Als Stadtrat konnte er mit
Bebauungsplänen Abrisse verhindern und, wie etwa bei der Regenbogenfabrik,
Verhandlungen über die Legalisierung erfolgreich abschließen. In seine
Amtszeit fielen die Eröffnung des Spreewaldbades 1987, aber auch der Bau
der Kita an der Adalbertstraße, für den der Kinderbauernhof an der Mauer
einen Teil seines Areals hergeben musste. Orlowsky habe ein autonomes
Projekt gegen ein alternatives ausgespielt, lautete bald der Vorwurf.
Werner Orlowsky war bis zum Ende seiner Amtszeit ein Politiker, wie man sie
heute nicht mehr kennt: Ohne jede Verwaltungserfahrung kam er an die Spitze
einer Behörde mit 450 Mitarbeitern und verschaffte sich aufgrund seiner
Geradlinigkeit Respekt. Eine weitere Karriere aber strebte er nicht an. Als
er nach acht Jahren seinen Posten 1989 aufgab, wurde er wieder Aktivist.
Er gründete das Stadtforum von unten als Sprachrohr der Betroffenen gegen
die Bauprojekte im wiedervereinigten Berlin. Er half, in Prenzlauer Berg
eine Mieterberatung aufzubauen. Und immer wieder eckte er an. 1992
durchsuchte die Polizei seine Wohnung, weil er sich gegen die
Spekulationspraktiken der Firma Ellbau eingesetzt hat. Die hatte Anzeige
erstattet, weil Orlowsky ein Dokument entwendet hätte, aus dem hervorging,
dass die Firma systematisch Miet- in Eigentumswohnungen umwandelte.
Nachgewiesen werden konnte ihm nichts.
In den letzten Jahren lebte Orlowsky zurückgezogen in einem Hausprojekt am
Marheinekeplatz. Als die taz ihn dort vor sieben Jahren besuchte, zeigte er
von seinem Wohnzimmerfenster aus auf den gegenüber liegenden Friedhof und
sagte: „Dort werden wir alle einmal liegen.“ Am vergangenen Dienstag starb
Orlowsky im Alter von 87 Jahren.
21 Feb 2016
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Nachruf
Kreuzberg
Sozialer Wohnungsbau
Berlin-Kreuzberg
Wohnen
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Porträt: Die vier Leben des Werner O.
Er war der erste grün-alternative Baustadtrat Deutschlands und Vorkämpfer
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Orlowsky 80 Jahre alt.
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