# taz.de -- Tiertransporte ins Ausland: Bolzenschuss statt Weltreise | |
> Niedersachsens Agrarministerin Miriam Staudte will die Rindertransporte | |
> in problematische Drittstaaten unterbinden. Das ist rechtlich gar nicht | |
> so leicht. | |
Bild: Dürfen in Länder wie Algerien, Tunesien oder Ägypten nicht mehr export… | |
HANNOVER taz | Es ist ein neuer Anlauf für ein altes Problem: Die | |
niedersächsische Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) versucht, | |
die [1][Exporte von lebenden Rindern in Drittstaaten] zu verhindern. Dazu | |
hat ihr Ministerium nun ein ganzes Bündel an Erlassen geschnürt. | |
Schon im Oktober erging der [2][„Ägypten-Erlass“]. Mit ihm wurden die | |
Veterinärbehörden aufgeforderte, Transporte zu untersagen, wenn ein | |
bestimmter Stall im Hafen von Alexandria als Zielort angegeben war. Das | |
Ministerium sagt, ihm liegen verlässliche Informationen vor, dass die Tiere | |
diesen Stall nie erreicht haben – der Weg im Hafen, über den sie angeblich | |
getrieben wurden, ist nämlich versperrt. | |
Das wirft erneut ein Schlaglicht auf einen Umstand, den | |
Tierschutzorganisationen schon lange kritisieren: Zwar gelten theoretisch | |
die EU-Tierschutzbestimmungen bis zum Zielort. Praktisch ist das für die | |
Genehmigungsbehörden aber kaum zu kontrollieren. | |
Im November schob das Ministerium nun einen Untersagungserlass nach, der | |
Transporte nach Ägypten generell verbietet. Genauso wie Transporte nach | |
Algerien, Aserbaidschan, Irak, Iran, Jemen, Jordanien, Kasachstan, | |
Kirgistan, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien, Tadschikistan, Tunesien, | |
Turkmenistan und Usbekistan. Die Begründung: Man müsse mit hinreichender | |
Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Tiere dort früher oder später | |
ohne Betäubung geschächtet werden. Das ist allerdings eine Begründung, die | |
vor Gericht schon ein paar Mal gekippt wurde. | |
## Belege für betäubungsloses Schächten | |
So hatte zum Beispiel das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in | |
Lüneburg im Mai 2021 den Landkreis Emsland angewiesen, [3][Transporte von | |
trächtigen Rindern nach Marokko abzufertigen]. In den Augen des Gerichtes | |
reichte der pauschale Verdacht, die Tiere würden dort nicht | |
tierschutzgerecht gehalten und später geschächtet, nicht aus. | |
Nun glaubt das Landwirtschaftsministerium aber genügend Belege gesammelt zu | |
haben. In den genannten Ländern, so argumentiert es, ist das betäubungslose | |
Schächten nun einmal die übliche Schlachtmethode. Ein Rücktransport nach | |
Europa sei aufgrund des Tierseuchenrechtes nicht möglich – früher oder | |
später droht den Tieren also dieses Schicksal, auch wenn sie als Zuchttiere | |
exportiert werden. Um das grundsätzlich zu klären, würde man bei der | |
nächsten Klage auch ein Hauptsacheverfahren anstreben, heißt es aus dem | |
Ministerium. Bisher gab es lediglich Eilentscheidungen, bei denen die | |
Gerichte naturgemäß sehr viel summarischer prüfen. | |
Für deutsche Milchviehhalter ist der Export in diese Staaten aber eine | |
willkommene Gelegenheit, die überzähligen Kälber loszuwerden, die vor allem | |
geboren werden, um den Milchfluss in Gang zu halten. „Das ist schon auch | |
ein wichtiges Standbein in der Weidehaltung, die wir ja auch alle wollen“, | |
mahnt Manfred Tannen vom Landvolk. | |
Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten kritisierte prompt, dass die | |
Länderliste nicht umfassend genug sei. Vor allem die Türkei fehle darauf – | |
sie ist nicht nur jetzt schon ein wichtiges Zielland, sie bietet sich auch | |
geradezu als gigantisches Schlupfloch an. Immerhin liegt sie so günstig, | |
dass sie gut als Drehscheibe dienen könnte. | |
Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte argumentiert | |
dagegen, dass eine Aufnahme der Türkei in die Liste den Erlass angreifbar | |
gemacht hätte. Denn in der Türkei gibt es einige wenige moderne | |
Schlachthöfe, die mit Bolzenschussgeräten arbeiten. Auch das weist | |
möglicherweise auf eine Schwachstelle des Erlasses hin: Wenn auch in den | |
anderen Ländern der eine oder andere moderne Schlachthof entsteht, ist die | |
Grundannahme hinfällig. | |
Eigentlich geht es ja auch nicht nur um die Schlachtung, sondern auch um | |
die Transporte an sich: Warum müssen trächtige Rinder auf eine tagelange | |
Reise durch mehrere Klimazonen geschickt werden, wenn man genauso gut | |
Fleisch oder – wenn es denn tatsächlich um den Aufbau einer Zucht geht – | |
Samen oder Embryonen transportieren könnte? | |
Die Antwort lautet schlicht: Weil sie hier übrig sind. Dabei – auch darauf | |
verweist das Ministerium in seiner Pressemitteilung, gäbe es durchaus | |
Möglichkeiten, dies zu vermeiden. Durch ein gutes Management in den | |
Herkunftsbetrieben, etwa die Besamung mit Fleischrinderrassen, könnten die | |
Vermarktungsmöglichkeiten auf den regionalen Märkten erhöht werden. | |
## Ministerium will nachschärfen | |
Den Zahlen des Landwirtschaftsministeriums zufolge sind die Transporte in | |
Drittländer deutlich zurückgegangen. Noch im Jahr 2020 wurden aus | |
Niedersachsen insgesamt 11.830 Rinder abgefertigt. In 2021 sank die Zahl | |
auf circa 9.900, 2022 waren es noch 8.401 und in diesem Jahr bisher nur | |
3.005 Rinder. Das, sagt Landvolk-Vizepräsident Tannen, ist eben auch eine | |
Auswirkung der seit Jahren geführten öffentlichen Debatte. Dafür steigt nun | |
der Preisdruck auf den hiesigen Zuchtviehmärkten, weil zu viele Tiere im | |
Angebot sind. | |
Trotzdem will Niedersachsen auch bei den Transportbedingungen für die | |
Langzeittransporte nachschärfen. Künftig sollen die Organisatoren mit Fotos | |
nachweisen müssen, dass die Tiere gut angekommen und ordentlich versorgt | |
worden sind. Die Behörden sollen das dann rückwirkend prüfen. Gleichzeitig | |
ist man sich in Niedersachsen darüber im Klaren, dass all dies nur | |
Behelfskonstruktionen sind und dass das Problem im Bund und auf EU-Ebene | |
grundsätzlicher angefasst werden muss. | |
„Der Ministerin ist es wichtig, alle rechtlichen Möglichkeiten | |
auszuschöpfen und das Thema voranzutreiben“, sagt ihre Sprecherin. Aber | |
letztlich müsse die EU dafür sorgen, dass in allen europäischen Ländern | |
tatsächlich die gleichen strengen Vorgaben gelten. Der Europäische | |
Rechnungshof hatte erst im April kritisiert, dass die Richtlinien nicht | |
einheitlich umgesetzt würden und die unterschiedlichen nationalen | |
Sanktionssysteme zu viele Schlupflöcher böten. Am Donnerstag, 6. Dezember, | |
will sich die EU-Kommission zu einer angestrebten Überarbeitung der | |
Transportregeln äußern. | |
4 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Tiertransporte-in-Drittlaender/!5927688 | |
[2] https://www.ml.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/pressemitteilungen/agr… | |
[3] /Verwaltunsggericht-erlaubt-Transport/!5766310 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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