# taz.de -- Tierschutzskandal in Niedersachsen: Gequält für Westfleisch | |
> Das Deutsche Tierschutzbüro wirft einem Schweinemäster massive Verstöße | |
> vor. Sieben Westfleisch-Zulieferer sind im Visier. | |
Bild: Schockierende Bilder: Ein Schwein mit blutender Wunde am Schwanz liegt zw… | |
OSNABRÜCK taz | Westfleisch, einer der größten Fleischvermarkter | |
Deutschlands, weiß, was gut klingt. „Der gute Umgang mit Tieren“, so | |
beginnt seine „[1][Leitlinie Tierschutzmanagement]“, „ist für uns eine | |
Selbstverständlichkeit.“ | |
Wirklich? Der Schweinemastbetrieb Weser Agrar GbR von Carsten A. im | |
niedersächsischen Hessisch Oldendorf, Landkreis Hameln-Pyrmont, ein | |
Konventionalbetrieb, lässt Zweifel aufkommen. Das Deutsche Tierschutzbüro | |
wirft dem Betrieb, gestützt auf schockierende Fotos und Videos, | |
Tierquälerei und Misshandlung vor, und hat Anzeige erstattet wegen des | |
Verdachts des Verstoßes gegen [2][Paragraf 17 Nr. 2b Tierschutzgesetz]. Der | |
Betrieb ist Zulieferer von Westfleisch; 7,3 Millionen Schweine hat der | |
Konzern 2021 geschlachtet. | |
„Die Akten und das zusammen mit der Anzeige übersandte Videomaterial | |
befinden sich derzeit bei einer Sachverständigen“, sagt Staatsanwalt | |
Thorsten Stein, Sprecher der Staatsanwaltschaft Oldenburg, der taz. Sie sei | |
„mit der Erstellung eines Gutachtens zu möglichen Straftaten und | |
Ordnungswidrigkeiten nach dem Tierschutzgesetz beauftragt“. Es solle „noch | |
im Laufe dieses Jahres“ fertig werden. | |
Der Fall A. stammt aus dem Frühjahr 2022. Warum er ihn erst jetzt | |
öffentlich macht, begründet Jan Peifer, Vorstandsvorsitzender des | |
Tierschutzbüros, mit einem Strategiewechsel: „Früher haben wir oft den | |
Vorwurf gehört, dass wir zu schnell an die Öffentlichkeit gehen, dass es | |
die Behörden dadurch in ihren Ermittlungen schwerer haben. Diesmal haben | |
wir erst Veterinäramt und Staatsanwaltschaft informiert. Beiden haben wir | |
ein halbes Jahr Zeit gelassen, den Fall zu bearbeiten.“ | |
## Blutig, kotverschmiert, verletzt | |
Am 20. Februar 2022 habe seine Behörde eine tierschutzrechtliche Beschwerde | |
erreicht, sagt Peter Bolten, Amtstierarzt und Leiter des Amtes für | |
Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung beim Landkreis Hameln-Pyrmont, | |
der taz. „Bemängelt wurde, dass es in dem Stall massive Probleme mit | |
Kannibalismus gebe und kranke und verletzte Tiere nicht versorgt oder | |
separiert würden.“ | |
Am Folgetag seien bei einer unangekündigten Kontrolle „Verstöße | |
festgestellt“ worden. Es seien „umgehend diverse verwaltungs- und | |
strafrechtliche Schritte eingeleitet“ worden, sagt Bolten, auch „eine | |
ordnungsbehördliche Verfügung sowie die Abgabe an die Staatsanwaltschaft“, | |
Nachkontrollen inklusive. | |
Die Videoaufnahmen sind schwer zu ertragen: Blutige, kotverschmierte Tiere. | |
Einige lahmen, andere sind zu schwach, um aufzustehen. Entzündete | |
Schwanzstummel, schwere Gelenkschwellungen. Ein Tier liegt mitten zwischen | |
den anderen, mit heraushängender Zunge, aufgequollen – tot. „Furchtbar!“, | |
sagt Peifer. „Klar, Arbeitsgruppen werden gegründet, und irgendwer sagt was | |
Wohlklingendes. Aber wirklich verbessert hat sich für die Tiere seit Jahren | |
nichts!“ [3][Das Problem] sei „flächendeckend, systemisch“. | |
Ein Indiz dafür: Der Betrieb von Carsten A. ist [4][nicht der einzige | |
Westfleisch-Zulieferer], gegen den Peifer derzeit zu Felde zieht. „Nach dem | |
Zufallsprinzip wurden sieben Betriebe, die Westfleisch auf seiner Website | |
als Hof-Porträt vorgestellt hat, für eine Kontrolle bestimmt. Bei allen | |
wurden Missstände vorgefunden.“ Der von Carsten A. sei „der schlimmste“ | |
gewesen. | |
## 20 Seiten Strafanzeige | |
Die übrigen sechs liegen in Nordrhein-Westfalen, von Ibbenbüren bis Beckum. | |
Westfleisch steht jetzt stark in der Kritik. Aus seinem Werbeslogan | |
„Westfleisch – direkt vom Bauern“ hat das deutsche Tierschutzbüro in ein… | |
Aufklärungskampagne[5][„Qualfleisch –] [6][direkt vom Bauern“] gemacht. | |
20 Seiten lang ist die Strafanzeige des Tierschutzbüros gegen Weser Agrar. | |
Sie spricht von entzündeten Klauen, geschwächten Tieren, kot- und | |
urinverschmutzten Buchten, Tränken und Futterautomaten. Schweine seien | |
unter Einsatz eines Elektrotreibers verladen worden. | |
„Individuelle Verstöße einzelner Tierhalter“ könne das Ministerium nicht | |
verhindern, sagt Sabine Hildebrandt, Pressesprecherin des niedersächsischen | |
Agrarministeriums, der taz. Das Ministerium setze sich „fortlaufend“ dafür | |
ein, „dass die Sachkunde der Tierhalter noch besser sichergestellt wird“. | |
Jüngster Ansatz: Mitte 2022 sei ein Erlass an die überwachenden | |
Tierschutzbehörden ergangen, in 2023 „in allen Produktionsstufen | |
Schwerpunktkontrollen“ durchzuführen, nicht zuletzt zum Umgang mit | |
erkrankten und verletzten Schweinen. | |
Es klingt wie Ironie: Der Betrieb von Carsten A. nimmt an der | |
[7][„Initiative Tierwohl“] (ITW) teil, einer Zertifizierung der | |
„Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung“, eines | |
Branchenverbandes der deutschen Fleischindustrie. | |
„Leider liegen uns die Videoaufnahmen bislang noch nicht vollumfänglich | |
vor“, sagt Patrick Klein, Sprecher der ITW, der taz. Das sei „höchst | |
bedauerlich“, so könne man sich „nicht selbst ein Bild im nötigen Umfang | |
machen, welche akuten Missstände wo genau anscheinend festgestellt wurden“. | |
Die ITW habe „umgehend Sonderaudits“ durchgeführt. „Dabei konnten die | |
offenbar auf Video aufgezeichneten schweren Verstöße nicht festgestellt | |
werden. Hätten uns die Videoaufnahmen unmittelbar nach dem Entstehen | |
vorgelegen, hätten wir den Vorwürfen unmittelbar nachgehen können. | |
Vielleicht hätte sich dann ein anderes Bild ergeben.“ Sobald „Bildmaterial | |
und entsprechende Informationen“ auch der ITW vorlägen, werde man „möglic… | |
weitere Schritte prüfen“. | |
## Betriebe weiterhin lieferberechtigt | |
Jeder ITW-Betrieb werde „sehr streng kontrolliert“, zweimal pro Jahr, teils | |
ohne vorherige Ankündigung. „Bei diesen Kontrollen wird nicht nur die | |
Umsetzung der Tierwohlkriterien überprüft, sondern auch der Zustand der | |
Tiere und des Stalls“, sagt Klein. „Dadurch decken auch wir leider manchmal | |
Missstände auf.“ Notfalls komme es zur Sanktionierung der Tierhalter. | |
Carsten A., von der taz um Kommentierung der Vorwürfe gebeten, ist am | |
Telefon offen, erklärt Hintergründe, schildert Entscheidungen, verweist für | |
ein offizielles Statement aber an seinen Anwalt. Er werde dessen | |
Kontaktdaten übermitteln. Die Übermittlung unterbleibt. | |
Westfleisch verweist auf eine taz-Anfrage auf seine Website. Da steht in | |
einer Pressemitteilung: Die Aufnahmen „machen auch uns betroffen“. Aber: | |
Nach Audits sind alle Betriebe weiterhin lieferberechtigt. „Bis zur | |
endgültigen Klärung aller Vorwürfe behalten wir uns sanktionierende | |
Maßnahmen bis hin zur Kündigung der Lieferverträge vor.“ | |
Die Zahl der Schweine haltenden Betriebe ist in Niedersachsen stark | |
rückläufig. 4.400 waren es Mitte 2022 – gegenüber 2021 ein Rückgang um fa… | |
11 Prozent. Auch die Zahl der gehaltenen Schweine sinkt. Binnen eines | |
Jahres ging sie um 10 Prozent zurück, auf knapp 7,4 Millionen. „Der Wandel | |
in der Nutztierhaltung hat längst begonnen“, sagt Ministeriumssprecherin | |
Hildebrandt. „Die Transformation läuft bundesweit.“ | |
21 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.westfleisch.de/fileadmin/Bilder/02_Unternehmen/02.02_Leitbild/2… | |
[2] https://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/__17.html | |
[3] /Tierschutzskandale-in-Niedersachsen/!5767213 | |
[4] /Tierschutzskandal-auf-Schweinehof/!5767199 | |
[5] https://www.tierschutzbuero.de/westfleisch-skandal/ | |
[6] https://www.tierschutzbuero.de/westfleisch-skandal/ | |
[7] https://initiative-tierwohl.de/ | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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