| # taz.de -- Thriller „Der Killer“ im Kino: Yoga, Amazon und Mord | |
| > David Finchers Kino-Thriller „Der Killer“ hat eine eiskalt handelnde | |
| > Hauptfigur. Diese reflektiert über Sinn und Unsinn des Handwerks des | |
| > Tötens. | |
| Bild: Mit der richtigen Haltung bei der Arbeit: Michael Fassbender als der tite… | |
| Womöglich muss man sich den perfekten Auftragskiller als Jedermann | |
| vorstellen. Oder wie einen deutschen Touristen in beigefarbener | |
| Funktionskleidung und Fischerhut, um den auf den Straßen von Paris die | |
| stilbewussten Bewohner intuitiv einen Bogen machen, „wie der Rest der Welt | |
| Straßenpantomimen meidet“. So drückt es der Protagonist in David Finchers | |
| Thrillerdrama „Der Killer“ aus, der in sardonischem Ton sein Handeln aus | |
| dem Off kommentiert. | |
| Der namenlose Attentäter, den Michael Fassbender in stoischer Präzision | |
| verkörpert, ist in die französische Hauptstadt gereist, um einen Auftrag zu | |
| erledigen. Und wenn es nach Fincher geht, ist dieser Job einer der | |
| langweiligsten der Welt. Tagelang harrt er in einem leerstehenden Büro aus, | |
| beobachtet eine Suite auf der anderen Straßenseite, wo sich sein Zielobjekt | |
| eingemietet hat. | |
| Geduldig wartet er auf dessen Erscheinen, um ihn mit seinem | |
| Präzisionsgewehr zur Strecke zur bringen. Stundenlang sitzt er regungslos | |
| auf einem Stuhl, wenn er kurz rausgeht, um bei einer globalen Fastfoodkette | |
| Essen zu holen, taucht er in seinen Normcore-Klamotten in der Menge unter. | |
| Ansonsten vertreibt er sich die Zeit mit Yoga, misst ständig seinen Puls | |
| auf der Smartuhr, hochkonzentriert auf den richtigen Moment lauernd. | |
| Dabei helfen ihm auch seine Mantras „Bleib beim Plan. Schau voraus. | |
| Improvisiere nicht.“ Routine und Fokus. Null Empathie. Und dann macht er im | |
| entscheidenden Augenblick doch einen Fehler, ist für eine Nanosekunde | |
| unaufmerksam und erschießt nicht den Typen, sondern trifft die Sexworkerin, | |
| die mit diesem in die Suite gekommen ist. | |
| Plötzlich muss alles sehr schnell gehen, ohne eine Miene zu verziehen | |
| verwischt der Killer seine Spuren, verschwindet mit Motorradhelm an | |
| Sicherheitskameras vorbei vom Tatort, flieht mit geklautem Scooter aus dem | |
| Stadtzentrum, wechselt in einem Tankstellenklo Kleidung und Identität. Und | |
| tatsächlich schafft er es am Flughafen durch die Security und sitzt | |
| schließlich, unter falschem Namen, in der Maschine Richtung Dominikanische | |
| Republik, in sein Luxusversteck am anderen Ende der Welt, inmitten einer | |
| anderen Touristenhochburg. | |
| ## Wechsel zum Rachedrama | |
| Doch andere waren schneller als er, seine Freundin wurde brutal überfallen, | |
| liegt im Koma. Und Finchers Film wird ab dieser Station zum Rachedrama, | |
| das den bislang so stoischen Killer auf der Jagd nach den Verantwortlichen | |
| bald um die halbe Welt jagen lässt. In teils recht heftigen Begegnungen | |
| nimmt er sein verräterisches Auftragsnetzwerk ins Visier, vom | |
| strippenziehenden Anwalt bis zur Grand Dame im Hintergrund (die | |
| unvergleichliche Tilda Swinton in einem hübschen Gastauftritt). | |
| Da sein namenloser Antiheld als kühler Rationalist und Einzelgänger, der | |
| effizient und scheinbar emotionslos seine Arbeit macht, nicht greifbar ist, | |
| konzentriert sich Fincher konsequent auf das Prozedere und die Abläufe. Das | |
| ist sehr geschmeidig und stylish, aber auch recht konventionell inszeniert. | |
| Weite Teile des Films ist es der Killer selbst, der als Erzählstimme über | |
| Sinn und Zweck seiner Arbeit monologisiert, dabei die ewig gleichen Mantras | |
| herunterbetet. | |
| Das spickt Fincher mit bösem Witz, von der Killer-Playlist (er hört The | |
| Smiths auf Dauerschleife) über kleine Spitzen gegen das einst gehypte, dann | |
| abgestürzte Start-up WeWork, die Superhosts von Airbnb und ihren | |
| Überwachungskameras bis zum Bestellen von Mordutensilien bei Amazon, die er | |
| sich in die nächstgelegene Packstation liefern lässt. Der Killer als | |
| Dienstleister in einer Dienstleistungswelt. | |
| ## Produziert mit Netflix | |
| David Fincher nennt seinen Film nicht nur aus Ermangelung eines Namens | |
| konsequent „Der Killer“, sondern auch weil er auf einer gleichnamigen | |
| Vorlage beruht, der französischen Reihe von Comicalben des Szenaristen | |
| Alexis Nolent (unter seinem Künstlernamen Matz) und dem Zeichner Luc | |
| Jacomon. Die Vorlage ist auch dem Film anzumerken, in der narrativen | |
| Struktur ebenso wie dem sardonischen Offkommentar. Das Obsessive hatte er | |
| schon in anderen Serienmörderthrillern seziert, 1995 in „Sieben“ und | |
| [1][2007 in „Zodiac“], da allerdings das der Ermittler, die sich akribisch | |
| in die Aufklärungsarbeit stürzten. | |
| Hier ist es die Comicvorlage selbst, die zu Finchers Obsession wurde. Jahre | |
| hatte er versucht, daraus einen Studiofilm zu machen, schon 2007 wollte er | |
| den Stoff mit Brad Pitt in der Titelrolle verfilmen, fand aber keine | |
| Geldgeber. Nach der [2][Filmbiografie „Mank“ über den | |
| Hollywood-Drehbuchautor Herman Mankiewicz, die er 2020 für Netflix | |
| inszenierte] und dafür [3][zehn Oscarnominierungen] erhielt, konnte er nun | |
| mit dem Streamingdienst und einem neuen Hauptdarsteller das Projekt | |
| umsetzen. | |
| Nach kurzem Kinoeinsatz wird „Der Killer“ im November online verfügbar | |
| sein. Und trotz manch intendiert ermüdenden Handlungsverlaufs versteht | |
| Fincher bis zum Schluss die Spannung zu halten, dank einer reduziert und | |
| eiskalt agierenden Hauptfigur, die nichts Glamouröses hat, sondern in ihren | |
| zwanghaft akkuraten Ritualen ein ins Extrem gedrehter Jedermann und gerade | |
| deshalb so verstörend ist. | |
| 25 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Abeltshauser | |
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