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# taz.de -- Detektive: Opfer durch Verschleiß
> Spuren, die im Nichts verlaufen: David Finchers bringt in Zodiac" die
> Ordnung der klassischen Detektivgeschichte durcheinander.
Bild: Ein Ermittler, wie er im Buche steht
Der Moment, in dem mehrere Indizien in einer Person zusammenlaufen, kommt
spät. Schon seit geraumer Zeit wurde fieberhaft nach der Identität des
Serienmörders gefahndet. Der Verdächtige heißt Arthur Leigh Allen (John
Carroll Lynch), ein klobiger Mann mit weiblich wirkenden Gesten und einem
psychologischen Profil, das mit dem des Killers gut übereinstimmen würde.
Die Kamera führt unseren Blick und stellt ihn dabei bloß. Seine Schuhe sind
zu sehen, und man denkt, das könnten jene Militärstiefel sein, die er bei
einem der Morde trug. Am Arm trägt er jenes Uhrenmodell, das Emblem und
Namen des Killers aufweist: Zodiac. Auch die unkonzentrierte Art, mit der
er sich verteidigt, trägt dazu bei, dass die Überzeugung wächst, den Täter
vor sich zu haben. Der Killer, diese körperlose Chiffre, wird plötzlich als
Subjekt greifbar. Das macht den Moment so irritierend und unheimlich.
Die Szene stellt allerdings noch lange keinen Endpunkt dar. Es gelingt
nicht, Allen zu überführen, denn seine Handschrift stimmt mit der des
Serienmörders nicht überein. Seit Zodiac nämlich im Jahr 1969 seinen ersten
Mord begeht, hinterlässt er Bekennerschreiben, die er an Zeitungen, vor
allem den San Francisco Examiner verschickt. Es ist eine der exemplarischen
Szene von David Finchers neuem Film, die schon sehr früh den Raum absteckt,
um den es in den nächsten 160 Minuten gehen wird: Ein Brief mit dem Betreff
"rush to editor" wird angeliefert, und die Kamera folgt ihm auf seinem
langen Weg zum Adressaten. Er durchläuft Hände, er wandert von einer Box
auf Tische. Das war die Zeit vor E-Mails, und ein Brief bewahrte noch
Mysterien. Zodiac stellt Rätsel. Er will, dass man sie abdruckt. Er sucht
gierig die Öffentlichkeit und bedient die Apparaturen, die diese erst
herstellen.
"Zodiac" ist kein konventioneller Serienmörderthriller, der die
hermeneutischen Meisterleistungen seiner Helden in den Vordergrund rückt.
Vielmehr befasst er sich mit den Schwierigkeiten, Informationen zu bündeln
und zu systematisieren. Als der mit dem Fall betraute Cop Dave Toschi (Mark
Ruffalo, im Columbo-Outfit) erfährt, dass er auf Allen nicht zugreifen
kann, verliert er deshalb kurz die Nerven. Man kann es ihm nachfühlen.
Bemerkenswert daran ist der Umstand, dass dies immer wieder misslingt. Man
sieht unentwegt Menschen dabei zu, wie sie recherchieren, sich über
Ergebnisse unterhalten und austauschen oder diese überprüfen, ohne dass
sich die Perspektive dabei allzu sehr einengen würde. Die Arbeitswelt der
Großraumbüros wird damit zur eigentlichen Schnittstelle des Films, ähnlich
wie in Alan J. Pakulas Watergate-Thriller "All the President's Men", der
Fincher als Vorbild diente. Nur dass es hier keine investigativen Helden
gibt, sondern einen Haufen ratloser Handwerker, die zunehmend frustrierter
ihrer Arbeit nachgehen.
Der Karikaturist und Hobby-Kryptologe Robert Graysmith (Jake Gyllenhaal) -
auf dessen Buch über Zodiac der Film basiert - und Star-Reporter Paul Avery
(Robert Downey Jr.) sind die beiden Journalisten, die sich mit viel
Ausdauer dem Fall widmen. Parallel dazu ermitteln die Polizisten Toschi und
Armstrong (Anthony Edwards), manchmal im Wettstreit zueinander, manchmal
auch im Dialog. Fincher und sein Drehbuchautor James Vanderbilt legen das
Geschehen in einer wellenförmigen Chronologie an - von Momenten innerster
Anspannung geht die Erzählung des Films immer wieder in gemächlicheres
Tempo über, um sich erneut dramatisch aufzubauen. Dabei vergeht nicht nur
ein ganzes Jahrzehnt, sondern es gibt zahlreiche Opfer durch Verschleiß.
Aus dem anfangs so cool-souveränen Avery wird ein paranoider Alkoholiker,
Graysmith opfert sein Familienleben der Obsession, das Rätsel um Zodiac zu
lösen. Aus dem Medienhype um Zodiac bleibt irgendwann nur eine dumpfe
Erinnerung. Einzig die Nerds bleiben am Ball, die sich lieber mit
Informationen als mit Menschen umgeben.
Doch Individuen bleiben in "Zodiac" ohnehin nur Spielfiguren in einem
größeren Zusammenhang, der noch die Perspektive des Killers übersteigt. Ab
einem bestimmten Punkt wird unklar, wer hier überhaupt noch über
Urheberschaft verfügt. Anfangs erscheinen die Morde wie bewusst gesetzte
Einschnitte in den Hedonismus des american way of life: Einem Pärchen wird
beim Rendezvous auf dem Parkplatz der Garaus gemacht, einem anderen
erscheint der Killer an einem See wie ein Henker aus einem Comic. Aber
schon der Mord in einem Taxi, dem man zuvor aus Vogelperspektive durch die
Straßen folgt, haftet etwas völlig Willkürliches an. Es wird fragwürdig, ob
hinter den Morden dieselbe Person steckt oder ob sich nicht vielmehr ein
Killer mit den Taten von anderen brüstet. Kann der Täter überhaupt noch für
sich verbuchen, Urheber von Taten zu sein? Ist er nicht auch längst nur ein
Effekt im Zusammenwirken verschiedener Öffentlichkeiten (was wiederum der
Frage nach seiner Handschrift eine geradezu ironische Note verleiht)?
In "Zodiac" kommt jene Ordnung der klassischen Detektivgeschichte
durcheinander, die im Normalfall die Ebene des Mordes von jener der
Ermittlung trennt. Das Komplementärwerden beider Ebenen, das der Philosoph
Frederic Jameson für Verschwörungsfilme der New-Hollywood-Ära konstatiert
hat, lässt die Handlung in ein fortwährendes Zirkulieren übergehen, zumal
beide Ebenen medial durchsetzt sind. Deshalb kann es zwischen dem Killer
und dem Reporter Avery auch zu einem Privatduell kommen. Zodiac attackiert
ihn mit einem Brief, daraufhin lässt Avery Buttons herstellen, auf denen "I
am not Avery" gedruckt steht. Das Spiel um geheime Identitäten wird damit
auf eine fast schon Magritte'sche Form der Aussage übertragen. Solche
repräsentativen Verdopplungen finden sich auch an anderen Stellen des
Films. Der Killer verweist in einer seiner Botschaften auf Ernest B.
Schoedsacks Menschenjagd-Klassiker "The Most Dangerous Game", während seine
Figur wiederum den ersten Gegenspieler in "Dirty Harry" inspiriert hat:
Wenn also in einer Szene von "Zodiac" ein Pappkarton-Werbeschild von Don
Siegels Film zu sehen ist, dann verweist das darauf, dass der Fall in den
Raum der Populärkultur übergegangen ist.
Von David Fincher ist man solche smarten Manöver geradezu gewöhnt. Was
"Zodiac" aber zu einem außerordentlichen Film macht, ist der Umstand, dass
sich Form und Inhalt laufend reflektieren - und damit sind nicht allein
jene Bilder gemeint, in denen die Schriftzeichen Zodiacs wie Gravuren über
den Einstellungen angebracht sind. Als der erste Film, der zur Gänze mit
digitaler Kamera (für technophile Experten: eine Viper) gedreht worden ist,
investiert er zwar viel Anstrengung, genau dies zu kaschieren und am Ende
eben wieder wie ein Film auszusehen. Die Aufnahmen des Kameramanns Harris
Savides versuchen, sich in Lichtsetzung und Koloraturen ganz der Zeit der
Handlung anzunähern, ähnlich präzise sind das Produktionsdesign (wobei
Stoffe und Oberflächen durch die Schärfe der Bilder eine taktile Qualität
erhalten) und der Ton.
Fincher, der als Visual-Effect-Artist seine Karriere begann, scheint es
jedoch weniger um die perfekte Täuschung zu gehen als um die Rekonstruktion
einer Ära mit digitalen Mitteln. Die Dynamik des Films orientiert sich
nicht zuletzt in an der Langsamkeit (oder auch Unzuverlässigkeit) analoger
Medien. Man achte auf die vielen Schreibmaschinen, auf Dialoge, in denen es
um Faxgeräte geht, besonders auf dieses fast schon enervierende Konzert aus
hellen Telefonklingeln, das in der Zeitungsredaktion und im Polizeidezernat
nie enden will. Der Fetischismus, den Fincher hier walten lässt, zielt
nicht auf die nostalgische Auratisierung einer längst überholten
Technologie. Ganz im Gegenteil - hier steht die Qualität der neuen Mittel
im Vordergrund: das Bild einer Ära, in der das Alte zwar nicht authentisch
ist, aber umso exakter erfahren werden kann. Noch deutlicher könnte dieses
Prinzip an Finchers nächstem Projekt werden, der Verfilmung von F. Scott
Fitzgeralds "The Curious Case of Benjamin Button", in dem es um einen Mann
geht, der jünger statt älter wird. Dabei werden die Möglichkeiten
computeranimierter Zeitmanipulationen wohl ganz unmittelbar zum Thema
gemacht. "Zodiac" vergegenwärtigt noch mit hoher Informationsdichte die
Geschichte eines Serienmörders, der nur über jene jung erhalten wird, die
mit ihrer obsessiven Arbeit Zeugnis von ihm ablegen. Der nur existiert,
weil seine Spuren aufgelesen wurden.
## "Zodiac - Die Spur des Killers". Regie: David Fincher. Mit Mark Ruffalo,
Jake Gyllenhaal u. a. USA 2007, 157 Min.
31 May 2007
## AUTOREN
Dominik Kamalzadeh
## TAGS
Spielfilm
Netflix
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