# taz.de -- Theaterstück über eine Vergewaltigung: Wenn dir keiner glaubt | |
> Das Stück „geteilt“ erzählt am Deutschen Theater in Göttingen dicht und | |
> mit präziser Typisierung von einer Vergewaltigung im privaten Umfeld. | |
Bild: An der Verladerampe für Rollenbilder: Szene aus dem Stück „geteilt“… | |
GÖTTINGEN taz | Mann vergewaltigt Frau. #metoo. Ist zumindest einer der | |
Beteiligten irgendwie prominent, generiert die öffentliche Erregung | |
heutzutage vielfach den Wunsch, dass der Mann seine Macht verlieren möge, | |
die er zum sexuellen Übergriff ausgenutzt habe, und auch verurteilt werde, | |
also eine Strafe absitzt, um die Gesellschaft vor weiteren Übergriffen zu | |
schützen. | |
Was im sozialen Umfeld ohne [1][Promistatus und mediale Aufmerksamkeit] in | |
einem solchen Fall passieren kann, hat Maria Milisavljević zum Theaterstück | |
„geteilt“ verarbeitet, das im Auftrag des Deutschen Theaters (DT) in | |
Göttingen entstand. Moritz Beichl, aus Österreich stammender Absolvent des | |
Schauspielregiestudiums der Theaterakademie Hamburg und neuer | |
DT-Hausregisseur, brachte es sehr eindringlich zur Uraufführung. | |
Die Bühne: Partyzone und schäbig leere Debattenkampfarena. Ein Laufsteg | |
ragt hinein, der wie eine Verladerampe designt ist – eine für Klischees | |
weiblichen Verhaltens, wie gleich zu sehen ist. Denn Sie (Rebecca | |
Klingenberg) stolziert catwalkend herein und erzählt im empörten Tonfall, | |
mit welchem Outfit sie sich als Frau für einen langjährigen | |
Geschäftspartner herrichten will, soll, muss, um sich attraktiv, schön, | |
gut zu fühlen. | |
Den nur Er genannten Typen kennt sie seit Sandkistentagen. Heute Abend | |
möchte Sie ihn noch privat zu sich einladen. Einerseits sucht Sie Trost | |
nach dem Tod ihres Vaters, andererseits sehnt sie sich nach seinen Blicken. | |
Berichtet dem Publikum davon, wie Er sie zu mustern versteht, wenn seine | |
Augen lustvoll ihre Waden entlanggleiten bis zum Reißverschluss des | |
Kleides, ja, das möchte Sie auf ihrem Körper spüren und auch sein Lachen | |
hören, „das habe ich vermisst“. | |
Sie beschreibt es als ihre Realität – und sie hasst sich dafür. Aufregend | |
ambivalent sind Text, Regie und Rollengestaltung. Klar ist immerhin | |
Beichls kritische Intention, aus der heraus er immer wieder Schnipsel der | |
Filmgeschichte auf eine Lamellenleinwand projizieren lässt, in denen Frauen | |
bestgelaunt, hübsch und dienstbar klassische Rollenbilder ausleben. | |
Konkret wird die Situation, als auch Er (Marius Ahrendt) auftritt. Mann und | |
Frau spielen nun die angekündigte Begegnung, ziemlich betrunken, geradezu | |
grenzenlos ausgelassen und herzlich vertraut. Sie kippt taumelig Wein auf | |
sein Hemd, Er zieht es zum Auswaschen aus, Sie auch ihre Bluse als eine Art | |
solidarischem Jokus, Er sucht Worte für ihre Schönheit, Sie fühlt sich | |
lebendig, „rein platonisch“ – da friert die Regie die Szene ein. | |
Die Darsteller halten inne, sehr ernst sagt Sie: „Kannst du vielleicht | |
loslassen. Deine Hand. Mein Arm. Das ist 'nen bisschen fest.“ Egal ob es | |
zuvor ein unausgesprochenes Einverständnis oder ein deutliches Ja zu | |
Freundschaft plus gab, dieses deutliche Nein ist die auch gerichtstaugliche | |
Grenzziehung. So erklärt es denn auch das in persona auftretende deutsche | |
Recht (Gabriel von Berlepsch). Trotz Scham bringt die Frau die | |
Vergewaltigung zur Anzeige. Und weiß nicht, wie damit weiterzuleben ist? | |
Auf den Zuschauertribünen platzierte Darsteller werfen Volkes Stimmen ein, | |
man müsse zum Beweis der Tat erst mal die Penetration, Verletzungen, | |
wenigstens blaue Flecken sehen, „am besten wäre Sperma“. Geschickt | |
inszeniert Beichl ein vielstimmiges Meinungsrauschen, | |
Kommentierungsgeschrei, Spekulationsgetöse und Darüberhinweglachen. | |
In aller Ungeheuerlichkeit ploppen auf der Bühne Fragen auf wie: Könne so | |
ein Übergriff nicht einfach mal einem Mann passieren? Nach so vielen | |
Jahren muss sie ihrem Kumpel eine solche Anklage doch nicht antun, oder? | |
Wollte sie nicht auch Sex? Die Gattin des Vergewaltigers kämpft um ihren | |
Mann, geht in die Offensive, verdreht die Tatsachen. | |
Schnell folgen Kollegen, Freunde, Zufallsbekanntschaften und die | |
Internetgemeinde. Sie banalisieren die Gewalttat, rechtfertigen den Täter | |
und beschuldigen das Opfer, hysterisch überzureagieren, also selbst | |
rufschädigende Täterin zu sein wider eine ansonsten wohlanständige Familie, | |
sowie das von ihr und ihm florierend betriebene Unternehmen. Dort fliegt | |
sie raus, ihr Leben taumelt zunehmend verzweifelnd in die Einsamkeit. Bis | |
nur der herbeifantasierte Vater noch als Dialogpartner zur Verfügung steht | |
– für die Heldenrolle, Rächer der Tochter zu werden. | |
All die Abgründe der Protagonistinnen und Protagonisten wie auch der | |
vielstimmigen Debatte sind nicht in einer linear entwickelten Geschichte | |
aufgerissen, sondern in einem altmodisch postmodernen szenischen Puzzle | |
angedeutet. | |
## Narrativ dichtes Gewebe | |
Dabei wird auf der Zeitachse recht wahllos vor- und zurückgetanzt. | |
Milisavljević fährt auf, was sie sich an Schreibmarotten angeeignet oder | |
bei Elfriede Jelinek abgeguckt hat: die ständige Lust auf Sprachspielerei, | |
-perspektivwechsel, -redundanzen und -metaphern, auf Hassmonologe, | |
Kabarettdialoge, chorische Juxerei und das Hereinschreiben der Autorin | |
(Angelika Fornell) mit ihrer Reflexion zum Schreiben des Stücks. Ein | |
überbordendes Sammelsurium an theatral möglichen Haltungen bietet die | |
Vorlage. | |
Dass sich so die konkrete Auseinandersetzung über die Bagatellisierung von | |
sexueller Gewalt immer wieder verliert, ist ärgerlich. Gelungen aber die | |
dagegen ankämpfende Regie. Wie Beichl inhaltliche und formale Sprünge, die | |
Salti des Textes und wild gemixten Situationen zu einem narrativ dichten | |
Gewebe herrichtet, das, am Beispiel Vergewaltigung, anspielungsfrech mit | |
dem Denken in Geschlechterklischees abrechnet, ist ebenso beeindruckend wie | |
seine Art, das Ensemble zu hoch intensivem Spiel und sehr präzisen | |
Typisierungen der Figuren zu animieren. | |
Dass Beichl nach seinen ersten, ästhetisch recht unterschiedlichen | |
Produktionen in Göttingen zum Hausregisseur aufgestiegen ist, könnte sich | |
als Glücksfall erweisen. Humor, Stilsicherheit und das Können, Schweres | |
auch mal tiefenscharf leicht zu machen, scheinen seine Voraussetzungen | |
dafür. Jährlich ist er ab sofort für zwei Arbeiten in der Universitätsstadt | |
gebucht. | |
28 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Weinstein-Prozess-in-New-York/!5659202 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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