| # taz.de -- Talibanherrschaft in Afghanistan: Ungeklärte Zustände | |
| > Die Taliban kontrollieren Afghanistan. Regional werden Berufsverbote für | |
| > Frauen ausgesprochen. Von einer Regierung kann noch keine Rede sein. | |
| Bild: Frauen haben von der Talibanherrschaft am meisten zu befürchten. Kabul a… | |
| Berlin dpa/rtr/taz | [1][Die Taliban] haben keine Eile, eine neue Regierung | |
| für Afghanistan zu bilden. Bislang haben sie erst zwei provisorische | |
| Minister ernannt. Ihr bisheriger Sprecher Sabihullah Mudschahed ist nun für | |
| Information und Kultur und damit auch für die Medien verantwortlich. | |
| Offenbar versuchen die Taliban, ihre Außenkommunikation in den Griff zu | |
| bekommen. In den vergangenen Tagen waren angeblich hochrangige „Vertreter“ | |
| aufgetaucht, von denen unklar ist, ob sie wirklich für die Taliban-Führung | |
| sprechen. | |
| Zudem ernannten die Taliban den Geistlichen Mullah Bacht-ur-Rahman | |
| Scharafat zum Minister für öffentliche Arbeiten. Er soll nach Angaben einer | |
| afghanischen Nachrichtenagentur, die weiterhin online aktiv ist, bereits am | |
| Samstag mit den Abteilungsleitern des Ministeriums zusammengetroffen sein, | |
| um deren Weiterarbeit zu organisieren. Zuvor hatten sich die Taliban auch | |
| an den Gesundheitsminister der vorherigen Regierung gewandt, um die | |
| Weiterarbeit mit dessen Ministerium in dem [2][coronageplagten Land] | |
| sicherzustellen. | |
| Die Taliban verfügen mit der „Rahbari Schura“, ihrem Führungsrat, durchaus | |
| über eine Entscheidungsstruktur. Dem Rat unterstehen mehrere | |
| Ressortkommissionen, von Politik und Finanzen bis zur Zusammenarbeit mit | |
| NGOs, auch auf Provinz- und Distriktebene. Mullah Abdul Ghani, besser | |
| bekannt unter seinem Kampfnamen Mullah Baradar, führte als Vorgesetzter der | |
| Politischen Kommission der Taliban in Kabul weitere Gespräche mit führenden | |
| Politikern des alten Systems über deren etwaige Einbeziehung in eine | |
| künftige „inklusive islamische Regierung“, darunter mit Ex-Präsident Hamed | |
| Karsai und dem Chef des Nationalen Versöhnungsrats, Abdullah Abdullah. | |
| Zudem setzten die Taliban eine Kommission ein, die das Bankwesen wieder in | |
| Gang bringen soll. Die [3][Banken sind geschlossen], denn die Nationalbank | |
| hat kaum noch Bargeldreserven. Die US-Regierung fror afghanische | |
| Guthaben ein. Amir Khan Mutaki, Mitglied des Taliban-Führungsrats, | |
| bezeichnete dies als „moralisches Verbrechen und unfair“. Da die | |
| Geberländer die afghanische Regierung sowie Hilfsorganisationen gezwungen | |
| hatten, ihre Mitarbeiter:innen nur noch über Bankkonten zu bezahlen, | |
| um Korruption zu bekämpfen, haben viele keinen Zugang mehr zu ihren | |
| Rücklagen. Auch Überweisungen von Verwandten sind derzeit nicht möglich, | |
| denn Geldüberweisungsdienste wie Western Union haben ihre Tätigkeit | |
| unterbrochen. Gleichzeitig steigen bereits die Preise für Waren des | |
| täglichen Bedarfs. | |
| ## Zu Tode getrampelte Menschen | |
| Unterdessen schaffen regionale Taliban-Vertreter offenbar Tatsachen, ohne | |
| dass klar ist, ob in Eigeninitiative oder in Abstimmung mit der zentralen | |
| Führung. In der Westprovinz Herat „beschlossen“ örtliche Taliban und Leit… | |
| staatlicher und privater Universitäten, dass Studentinnen und Studenten | |
| künftig nicht mehr gemeinsam studieren dürfen. Dozentinnen dürften nur noch | |
| Frauen unterrichten. Der Taliban-Provinzchef für das Hochschulwesen, Mullah | |
| Farid, führte als Begründung an, Koedukation sei „die Wurzel allen Übels in | |
| der Gesellschaft“. In der Provinz Ghasni untersagte der Chef der örtlichen | |
| Informations- und Kulturkommission Frauen, weiter bei lokalen Radiosendern | |
| zu arbeiten sowie die Ausstrahlung von Musikprogrammen. | |
| Berichte, dass die Taliban die Verantwortung für die Sicherheit am | |
| Flughafen Kabul, übernommen haben, sind bisher nicht bestätigt. Es hieß, | |
| die Sondereinheit der Taliban-Polizei Badri 313 habe die Menschen dort „in | |
| ordentliche Warteschlangen“ eingereiht. Die Tore zum Flughafen waren in den | |
| vergangenen Tagen von Ausreisewilligen belagert worden. Bei Tumulten kamen | |
| nach Nato-Angaben 20 Menschen ums Leben; viele wurden zu Tode getrampelt. | |
| Vom Flughafengelände wurde auf Menschen geschossen, die die Umfassungsmauer | |
| überklettern wollten. Nach wie vor kontrolliert US-Militär den Flughafen | |
| zusammen mit Angehörigen der bewaffneten Einheit 01 des bisherigen | |
| afghanischen Geheimdienstes NDS. Für zusätzliche Angst sorgen Gerüchte über | |
| einen geplanten Selbstmordanschlag durch den afghanischen Ableger des | |
| Islamischen Staats, der mit den Taliban verfeindet ist. | |
| Die Wiederherstellung eines geordneten Zutritts zum Flughafen wäre die | |
| Voraussetzung für eine Wiederaufnahme der [4][internationalen | |
| Evakuierungsflüge]. Es ist aber nicht klar, ob die Taliban und das | |
| ausländische Militär in Kabul in dieser Angelegenheit miteinander | |
| kommunizieren. | |
| Großbritannien teilte jedoch am Sonntag mit, dass der britische | |
| Evakuierungseinsatz in Kabul an Fahrt aufgenommen habe. Innerhalb von 24 | |
| Stunden seien 1.721 Menschen in acht Maschinen der Royal Air Force | |
| ausgeflogen worden. Anders als am Vortag gelinge es nun besser, geordnete | |
| Schlangen zu bilden und die Wartenden auf den Flughafen zu bringen. Das | |
| liege auch daran, dass die Taliban dies nicht blockierten. | |
| ## G7 berät über Afghanistan | |
| EU-Kommissionschefin Ursula [5][von der Leyen schloss derweil eine | |
| Anerkennung der Taliban] als Regierung sowie „politische“ Gespräche mit | |
| ihnen aus, nicht aber humanitäre oder technische. | |
| Die Bundeswehr hat am Sonntag weitere 196 Menschen ausgeflogen, am Sonntag | |
| verließ eine Maschine Kabul in Richtung Usbekistan. Insgesamt hat die | |
| Bundeswehr wohl mehr als 2.300 Menschen evakuiert. Seit Samstag verfügt sie | |
| zudem über zwei Hubschrauber, die für Evakuierungen in Kabul genutzt werden | |
| können. | |
| Am Dienstag wollen die Staats- und Regierungschefs der [6][G7 über | |
| Afghanistan beraten]. Dies teilte der britische Premierminister Boris | |
| Johnson mit. Es sei von „entscheidender Bedeutung, dass die internationale | |
| Gemeinschaft zusammenarbeitet, um sichere Evakuierungen zu gewährleisten, | |
| eine humanitäre Krise zu verhindern und dem afghanischen Volk zu helfen, | |
| die Fortschritte der letzten 20 Jahre zu schützen“. | |
| 22 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Ruttig | |
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