# taz.de -- Studie über die Straßenkämpfer der Nazis: Militante Männlichkeit | |
> Die Mitglieder kamen aus allen Gesellschaftschichten: Daniel Siemens' | |
> Standardwerk „Sturmabteilung. Die Geschichte der SA“ klärt auf. | |
Bild: Inspektion der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg durch den Stabschef Victor Lu… | |
Im Vergleich zu anderen nationalsozialistischen Organisationen und ihrem | |
führenden Personal ist die „Sturmabteilung“ (SA) von der historischen | |
Forschung bis heute weniger beachtet geblieben. Man kennt zwar den | |
Bedeutungsverlust der nach der NSDAP mitgliederstärksten | |
nationalsozialistischen Massenorganisation nach der buchstäblichen | |
Enthauptung der SA in der „Nacht der langen Messer“ vom 30. Juli 1934. Doch | |
das ist eine Verkürzung, wie die kenntnisreiche Studie des in Newcastle | |
forschenden und lehrenden deutschen Historikers Daniel Siemens nun | |
zurechtrückt. | |
Auch die Charakterisierung der SA als „Herrschaft des Pöbels“ ist zwar | |
nicht falsch, greift aber zu kurz und diente apologetischen Zwecken. Etwa | |
dem der Ehrenrettung des deutschen Bürgertums: so, als ob diesem 1933 die | |
politische Herrschaft von einer (lumpen-)proletarischen Bande in Gestalt | |
der Braunhemden der SA von „der Straße“ entrissen worden sei. | |
Die minutiöse und umfangreiche Analyse von Siemens belegt, dass schon sehr | |
früh erhebliche Teile der SA-Mitglieder nicht Arbeiter und Arbeitslose | |
waren, sondern Studenten und Mittelschichtangehörige, ganz zu schweigen von | |
der massiven Unterstützung, die die SA bei protestantischen Pastoren fand. | |
Die oberen Ränge der militärisch strukturierten SA waren exklusiv mit | |
Offizieren besetzt, die im Ersten Weltkrieg in der Kaiserlichen Armee | |
gedient hatten, diesen verloren und danach oft vor dem | |
beruflich-geschäftlichen Nichts standen. | |
Im Gegensatz zur SA-Führungsriege waren die anderen Mitglieder zum größten | |
Teil jüngere Menschen der Jahrgänge 1900 bis 1910. Historiker Siemens | |
spricht deshalb (im Anschluss an eine Studie von Ernst Günther Gründel aus | |
dem Jahr 1932) von der „Kriegsjugendgeneration“, die gezeichnet war von | |
einer Kindheit und Jugend zur Mobilisierung und während des Ersten | |
Weltkriegs. | |
## Emotionale Heimat für junge Menschen | |
Und die neben dem Nationalismus einem ausgesprochenen Kult „militanter | |
Männlichkeit“ huldigte, von dem auch die SA-Führung stark geprägt war, die | |
zudem auf Charisma und Hierarchie pochte. Die SA bot vielen jungen Menschen | |
eine emotionale Heimat in einer „Gemeinschaft der Tat“, von der ein | |
Aktivist meinte, sie habe ihn „zum ersten Mal als vollwertigen Menschen | |
anerkannt“. | |
Die Geschichte der SA lässt sich in drei historische Etappen unterteilen: | |
die Frühphase von 1920/21 bis 1923, danach den Aufstieg zur | |
Massenorganisation und ab 1934 als Organisation im NS-Staat. Markante | |
historische Ereignisse markieren die drei Phasen: der gescheiterte | |
Hitler-Putsch am 9.November 1923, die Ermordung des SA-Führers Ernst Röhm | |
und rund hundert weiterer Personen aus seinen Zirkeln vom 30. Juli bis 2. | |
August 1934. Und am Ende stand der Untergang des „Dritten Reichs“ im Jahre | |
1945. | |
In der Frühphase war die SA eine fast nur auf Bayern beschränkte | |
paramilitärische Schutztruppe für den NSDAP-Führer Adolf Hitler sowie ein | |
ideologisches Indoktrinationsinstrument. Als Gründungsdatum gilt der 4. | |
November 1921, als sich im Münchner Hofbräuhaus 46 SA-Männer mit „Soldaten | |
des Judenmarxismus“ (Hitler) nach einer Rede des Führers eine wüste | |
Saalschlacht lieferten – mit Knüppeln, Peitschen und Stuhlbeinen, aber noch | |
ohne weitere Waffen. SA-Chef war damals der Pfarrerssohn Hans Ulrich | |
Klintzsch, der im März 1923 von Hermann Göring abgelöst wurde. | |
Nach dem gescheiterten Putsch Hitlers vom 9. November 1923 wurde die NSDAP | |
verboten und die SA aufgelöst. Ernst Röhm begann im Frühjahr 1924 mit dem | |
Wiederaufbau der Organisation, zunächst unter dem Namen „Völkischer | |
Frontkampfbund Frontbann“, während Hitler im Februar 1925 nach seiner | |
Haftentlassung die NSDAP wiedergründete. Am 1. November 1926 übernahm der | |
ehemalige Freikorpsführer Franz Pfeffer von Salomon als Oberster SA-Führer | |
die Leitung, neben der Propaganda widmete sich die Organisation intensiv | |
dem Straßenkampf und Überfällen auf Sozialdemokraten, Kommunisten und | |
Juden. | |
Nach seinem bolivianischen Intermezzo wurde Röhm von Hitler 1931 erneut an | |
die Spitze der SA geschoben, die damals bereits über 88.000 Mitglieder im | |
ganzen Land verfügte. Seit 1926 uniformierten sich die SA-Männer mit | |
braunen Uniformen, die sie selbst bezahlten und über einen SA-eigenen | |
Fanartikelshop beziehen mussten. Den belieferte der Textilindustrielle Hugo | |
Boss (Metzingen), die Lederwarenfabrik Breuninger (Schorndorf) sowie der | |
Zigarettenfabrikant Schnur, ein Strohmann des damaligen „Tabakkönigs“ | |
Philipp F. Reemtsma. Die drei Industriellen leisteten im Gegenzug Spenden | |
an die SA. | |
## Krise, Straßenterror und Boykottaktionen | |
Die Weltwirtschaftskrise, das Notverordnungsregime unter den Kanzlern | |
Brüning und von Papen sowie die Wahlerfolge der NSDAP verschafften den | |
Straßenkämpfern der SA weiter Auftrieb, ebenso der Reichstagsbrand im | |
Februar 1933. Danach überzog die SA das ganze Land mit Straßenterror, | |
„Säuberungen“ von Behörden, Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte bis | |
hin zur willkürlichen Internierung von rund 80.000 Personen in | |
provisorischen Konzentrationslagern und Folterkellern. | |
„Die SA verstand sich 1933 als eine Organisation, die sich einen | |
rechtsfreien Raum geschaffen hatte und dem deutschen Strafgesetzbuch nicht | |
unterlag“, so Historiker Siemens. Es war der Höhepunkt der Macht- und | |
Gewaltentfaltung der SA, die sogar eine eigene Gerichtsbarkeit anstrebte | |
und in den Jahren 1933/34 rund 72 Millionen Reichsmark aus der Staatskasse | |
abzweigte. | |
Röhms 133 „Sonderkommissare“ blieben aber nur einige Monate im Amt, denn | |
Hitler und die Reichswehrführung waren entschlossen, der Nebengewalt der SA | |
ein blutiges Ende zu bereiten und die „nationale Revolution“ für beendet zu | |
erklären. Am 30. Juli wurden Röhm, die SA-Führung und die konservative | |
Opposition um General Kurt von Schleicher ermordet. | |
## SA starke Massenorganisation | |
Staatsrechtler Carl Schmitt segnete den beispiellosen Mord an rund 100 | |
Personen mit dem Diktum ab, „der Führer schützt das Recht“. Die SA blieb | |
eine starke Massenorganisation, erholte sich aber nie von diesem Schlag und | |
verlor an politischem Einfluss. Sie wurde von der NSDAP an eine sehr kurze | |
Leine gebunden. | |
Nach 1945 profitierten die höheren SA-Führer von einem Urteil im Nürnberger | |
Prozess, das die SA als „unbedeutende Nazi-Anhängergruppe“ und nicht als | |
„verbrecherische Organisation“ einstufte. Nachkriegskarrieren wie die des | |
Tübinger Oberbürgermeisters Hans Gmelin (1911–1991) wurden so möglich. | |
31 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
NSDAP | |
Daniel Siemens | |
NS-Literatur | |
Reichstag | |
Psychoanalyse | |
Entnazifizierung | |
Kommunisten | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Vermeintlicher Reichstagsbrandstifter: Sie sprechen von Leichenschändung | |
Das Grab des vermeintlichen Reichstagsbrandstifters Marinus van der Lubbe | |
in Leipzig wurde geöffnet. Das stößt bei seiner Familie auf Unverständnis. | |
Psychoanalytiker über bösartigen Narzissmus: „Unehrlichkeit wird weitergege… | |
Otto Kernberg gilt als einer der bedeutendsten Psychoanalytiker. Der | |
Neunzigjährige über soziale Gruppen, Trump und Politiker-Diagnosen. | |
Bremer Entnazifizierungsverfahren: „Hochanständige“ Nazis | |
Der Historiker Hans Wrobel hat Hinweise gefunden, dass Bremer | |
Sozialdemokraten Informanten der Gestapo waren und daher Kriegsverbrecher | |
entlasteten. | |
Erinnerung an den „Blutsonntag“: Als in „Klein-Moskau“ Schüsse fielen | |
Am 1. August 1933 ließ die nationalsozialistische Justiz in Altona bei | |
Hamburg ihre ersten Opfer hinrichten: ein Racheakt. |