# taz.de -- Stress auf Spiekeroog: Auf der Insel der Unfriedlichen | |
> Auf Spiekeroog investiert der Reeder Niels Stolberg in ein | |
> Touristikprojekt nach dem anderen. Das spaltet die Bevölkerung, die Ruhe | |
> ist dahin. | |
Bild: Nicht kleckern, sondern klotzen: Stolbergs Künstlerhaus | |
SPIEKEROOG taz | Nicht einmal eine Statue können sie [1][auf Spiekeroog] | |
aufstellen, ohne dass es Streit gibt. Erst versucht der örtliche | |
Naturschützer zu verhindern, dass das Geschenk eines Künstlers, der jedes | |
Jahr zwei Monate auf dem Zeltplatz arbeitet, in die Dünen gesetzt wird. | |
Dann giftet Bernd Fiegenheim, der Bürgermeister, bei der Einweihungsfeier | |
solle „niemand von außen“ spielen, sondern der örtliche Musikverein. „W… | |
machen das so, wie wir das immer machen.“ | |
Alle im Mehrzwecksaal des Kurmittelhauses „Kogge“ wissen, gegen wen sich | |
das richtet: gegen den [2][Bremer Reeder Niels Stolberg,] der heute sein | |
neuestes Projekt auf der autofreien Ostfriesischen Insel eröffnet. Seit | |
Monaten wirbt er für das Veranstaltungshaus „Künstlerhaus Spiekeroog“, do… | |
ist sechsmal so viel Platz für Veranstaltungen wie in der „Kogge“, mit | |
Radierwerkstatt, Bewegungsräumen und einem künstlichen Kamin, der 60.000 | |
Euro gekostet hat. | |
Zur Eröffnung spielen „Fury in the Slaughterhouse“. Für die Mehrheit der | |
Insulaner ist das Künstlerhaus ein Symbol dafür, wie ihnen Stolberg die | |
Kontrolle über die Insel abnimmt. | |
Der Dorffrieden ist hin, seitdem der 46-Jährige die Insel entdeckt hat: Ein | |
Selfmademan, machte erst wie sein Vater das Kapitänspatent, studierte dann | |
noch Betriebswirtschaft und gründete schließlich 1995 seine eigene | |
Reederei. [3][Beluga Shipping verschifft Schwergüter und machte Stolberg | |
reich]. Vor acht Jahren dann entdeckte er Spiekeroog, kaufte sein erstes | |
Haus, acht gehören ihm inzwischen, dazu zwei Restaurants, der | |
Insel-Buchladen und nun noch das Künstlerhaus. | |
## Feindschaften im Gemeinderat | |
Dabei sind seine 200 Gästebetten nur ein Bruchteil aller Betten auf der | |
825-Einwohner-Insel. Doch die Spiekerooger, die die Aktivitäten des jungen | |
Unternehmers anfangs offen und neugierig beobachteten, wünschen sich | |
mittlerweile ein Stoppschild. Sie haben Angst, dass die Gäste wegbleiben, | |
weil ihnen Stolbergs Version von Spiekeroog nicht gefällt und mit dem | |
Künstlerhaus zu viel Trubel auf die Insel kommt. | |
Das andere Lager hingegen – darunter der Naturschützer, den Stolberg nur | |
„den Bewahrer und Beschützer der Insel, Altbürgermeister Uli Bauer“ nennt… | |
hält Stolberg für einen Wohltäter. Wer recht hat, ist noch offen. | |
Im Gemeinderat brechen die Feindschaften regelmäßig offen aus: „Du hast ja | |
keine eigene Meinung mehr“, muss sich Christian Kiesow anhören. Der Inhaber | |
eines Blumenladens ist einer der drei Gemeinderäte, die auf Stolbergs Seite | |
stehen, darunter auch der Dorfpolizist. Kiesow hat eine namentliche | |
Abstimmung verlangt, es geht um das Künstlerhaus. Acht Wochen vor Eröffnung | |
will Stolberg dort mehr Leute verköstigen als geplant und auch noch einen | |
Jazzkeller einrichten. | |
Wenn sie nicht zustimmen, warnt Kiesow, könnte Stolberg sie verklagen, | |
sogar die Gemeinderäte persönlich haftbar machen. Ihm gegenüber sitzt | |
Wolfhart Klasing von der Fraktion „Auf Spiekeroog“, mit fünf Abgeordneten | |
die größte im Rat. „Du bist doch befangen, Christian“, presst er zwischen | |
den Zähnen hervor; er sieht aus, als könne er sich nur mühsam beherrschen, | |
Kiesow nicht an die Gurgel zu gehen. | |
## Unersättlicher Investor | |
30 Zuhörer sind zu der Sondersitzung in die Kogge gekommen, der zweite | |
Tagesordnungspunkt ist das „Sturmeck“, ein Gebäude im Westen der Insel, das | |
Stolberg, selbst nicht anwesend auf der Sitzung, kaufen möchte. Die drei | |
Männer und zwei Frauen von der Wählergemeinschaft „Auf Spiekeroog“ und der | |
Bürgermeister, der zur selben Partei gehört, wollen das unbedingt | |
verhindern, lieber soll die Gemeinde es selbst erwerben und ein oder zwei | |
Millionen ausgeben. „Wahnsinn“, sagt Kiesow. | |
Dass Stolberg nicht aufhört zu kaufen, obwohl er immer mal wieder gesagt | |
hat, er habe genug, liege in dessen Natur, sagt er. „Der ist Unternehmer, | |
und das kommt nun mal von ‚unternehmen‘ und nicht von ‚auf dem Arsch | |
sitzen‘.“ Dass er mit „Niels“ befreundet sei, sei doch nicht verkehrt. | |
Stolberg selbst sagt, er habe keine Freunde im Gemeinderat. | |
Die Sitzung endet mit einem Eklat: Pastor Joachim Breithaupt erwischt | |
Stolbergs Architekten dabei, wie dieser die Sitzung heimlich aufzeichnet. | |
Mit rotem Kopf entschuldigt der sich: „Ich habe so ein schlechtes | |
Gedächtnis.“ | |
Als Stolberg später davon hört, will er damit nichts zu tun haben. Er nennt | |
es empört „ein Unding, so was darf man nicht“. Pastor Breithaupt lächelt | |
milde über solche Sätze und erzählt beim Kaffee im Pfarrbüro, wie er einen | |
Anruf „von oben“ bekam, weil er Stolbergs Geschäftspartner ein Konzert in | |
der alten Inselkirche verweigert hatte. Und wie ihn Stolberg beschimpfte, | |
weil er nicht spurte. | |
## Drohungen von Stolberg | |
Von Anrufen oder Besuchen von Stolberg persönlich kann man sich einige | |
Geschichten auf Spiekeroog erzählen lassen, von Drohungen und Beleidigungen | |
auch. Doch in der Zeitung soll das lieber nicht so genau stehen, sagen die | |
meisten, sie hätten schon genug Ärger. Auch der Inseljournalist Hartmut | |
Brings möchte nicht öffentlich ins Detail gehen, warum er nur noch im | |
Beisein von Zeugen mit Stolberg redet. | |
Einige Insulaner verfolgt der Unternehmer juristisch, anderen hat er es | |
angedroht, auch der Kurverwaltung, die nicht für sein Künstlerhaus werben | |
will. Eine Atmosphäre der Angst mache sich breit, sagt Pastor Breithaupt. | |
Und dass an dem Graben, der durchs Dorf geht, beide Seiten buddeln. Auf | |
Stolbergs Vorwurf, sich nicht als Brückenbauer zu betätigen, sagt | |
Breithaupt nur: „Dafür ist es zu spät.“ | |
Warum bleibt Stolberg eigentlich, wenn ihm so viel Unwillen | |
entgegenschlägt? Investieren könnte er seine Gewinne auch anderswo. Ganz | |
einfach, sagt Stolberg: Er habe sich „verliebt“ in die Insel auf der Suche | |
nach dem perfekten Platz für ein Feriendomizil. Dann rutscht er in seinem | |
Büro mit Weserblick auf die Kante des Sofas, seine Augen leuchten noch ein | |
wenig blauer, und er schwärmt von seinen Häusern, vom „Sturmeck“, das er | |
gerade dem CVJM abgekauft hat, um eine Art Jugendherberge daraus zu machen. | |
Noch vor zwei Monaten hatte er seinen Gegnern im Gemeinderat geschrieben, | |
er wolle vom Kauf absehen, um „keine weiter gehende Besorgnis in der | |
Spiekerooger Bevölkerung entstehen zu lassen“. Schnee von gestern: „Das ist | |
ein so wunderschönes Projekt“, das müsse er machen. „Was ist denn daran | |
falsch?“ | |
Er sei doch keiner, der die Insel zubetoniert mit Bettenburgen, er sei | |
einer, der mit „Fingerspitzengefühl und Feingeist“ vorgehe, verfallene | |
Häuser restauriert und sie sogar „historisch stilechter nachrüstet“, als | |
sie es vorher waren, wie im Inselmagazin Watt ’n Eiland steht. Das | |
allerdings auch Stolberg gehört. Er fragt wieder und wieder: „Was ist daran | |
falsch?“ | |
## Politiker mögen den Reeder | |
Für ihn gibt es nur eine Antwort: Wer seine Liebe verschmäht, kann nur ein | |
Neider sein, einer, der sich vor Konkurrenz oder Veränderung oder beidem | |
fürchtet. So denkt nicht nur Stolberg, so denken auch seine Anhänger und | |
Freunde, darunter Niedersachsens Wissenschaftsminister Lutz Stratmann, der | |
ebenfalls ein Haus auf der Insel besitzt. Politiker mögen ihn, er schafft | |
Arbeitsplätze und finanziert die Ausbildung von Seeleuten. | |
Stolberg selbst bezeichnet sich als „sozial engagierten Unternehmer“. | |
Tsunami-Waisen hilft er und einem Kinderhospiz. Seine Töchter seien | |
„Revoluzzer“, das hätten sie von ihm, er war ja auch in Brokdorf damals. | |
Einer von den „Neidern“ ist Lars Bücking. Zwanzig Minuten dauert der | |
Fußmarsch vom Dorf zwischen Dünen und Pferdeweide bis zu seiner bunt | |
bemalten Bretterbude am Zeltplatz: ein paar zusammengehauene Bänke, ein | |
zerschlissener Strandkorb. Seit 15 Jahren verkauft er Bier und Kaffee aus | |
der Thermoskanne, Hanfnudeln und Bockwurst, Sanddornwein und Sonnencreme, | |
über der Eistruhe liegen Kartenspiele aus, ganz hinten in einer Ecke stehen | |
gebrauchte Bücher zum Verkauf. | |
Sein Kiosk, sagt der 38-Jährige, sei wie die Insel selbst, jeder könne drin | |
stöbern und etwas entdecken. „Die Leute sitzen hier und gucken dem Gras | |
beim Wachsen zu. Hier werden kleine Dinge ganz groß.“ Stolberg steht für | |
Bücking für das entgegengesetzte Prinzip. Der glaubt, dass den Gästen die | |
Ruhe, für die Spiekeroog bekannt ist, nicht mehr reicht. „Der sagt den | |
Leuten, wie sie sich erholen sollen.“ | |
Die Leute mit Handy am Ohr, die man in Stolbergs Prospekten sieht, denen er | |
„kreative Lösungen“ auf dem Strandspaziergang verspricht, mit dem Strand | |
als Flipchart, diese Urlauber störten ihn nicht, sagt Bücking – solange | |
Leute wie Uwe davon nicht abgeschreckt werden. Der zeltet seit 1970 hinter | |
dem Kiosk in den Dünen, trägt stets ein Gänseblümchen im Bart und freut | |
sich, wenn ihn niemand fragt, was er macht und wer er ist. | |
## Angst vor einem Disneyland | |
Wie so viele fand Bücking Stolbergs Engagement anfangs sogar gut, weil alte | |
Strukturen und Marktführerschaften aufbrachen. „Aber jetzt reicht’s, ich | |
will nicht, dass das hier sein Disneyland wird.“ Im Herbst ließ er sich | |
deshalb für die Kommunalwahlen aufstellen und gehört nun auch „[4][Auf | |
Spiekeroog]“ an, der Fraktion, deren Mitglieder oft nicht viel mehr | |
gemeinsam haben als den Willen, Stolberg in Schach zu halten. | |
Für Stolberg sind „der Rat“ und die Spiekerooger zwei verschiedene Paar | |
Schuhe. Dass 58,6 Prozent Fiegenheim zum Bürgermeister gewählt haben, | |
ändert daran nichts. Höchstens „10 Prozent“ seien wirklich gegen ihn, all… | |
anderen wurde Angst gemacht. Warum sich jemand wie Bücking gegen ihn | |
engagiert, kann er nicht erklären. | |
Dessen Kiosk sei „Kult“ und „Lars ein ganz lieber Kerl“. Stolberg schü… | |
den Kopf. „Ich weiß nicht, was mit ihm los ist.“ Gesprochen haben die | |
beiden allerdings noch nie miteinander. Für den Reeder gibt es nur ein | |
Kommunikationsproblem, die Spiekerooger haben ihn einfach noch nicht | |
richtig verstanden, aber er sei immer noch bereit, „im Dialog diese | |
Prozesse zu erklären“. | |
Bücking wird sich die Eröffnungsreden im Künstlerhaus sparen, er muss Bier | |
verkaufen und Tomatensoße. Bürgermeister Fiegenheim hingegen hat keine | |
Ausrede, er hält eine Rede. Und er wird sich umschauen und fragen, wer | |
dazugehört und wer nicht. Nicht alle „Stolberger“ tragen T-Shirts mit dem | |
Aufdruck seiner Firmen. | |
23 Jun 2007 | |
## LINKS | |
[1] /Schnellfaehre-fuer-Spiekeroog/!5909549 | |
[2] /Reeder-in-Bedraengnis/!5266899 | |
[3] /Aufstieg-und-Fall-eines-Reeders/!5270496 | |
[4] https://www.spiekeroog.de/ | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
Eiken Bruhn | |
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