# taz.de -- Streit um den Frankfurter Börneplatz: Judengasse wegasphaltiert | |
> Ein Symposium in Frankfurt erinnerte an den Streit über den Börneplatz | |
> und die Reste des dort entdeckten jüdischen Ghettos. | |
Bild: Bürgerproteste während des Börneplatz-Konflikts | |
Die Bebauung des Frankfurter Börneplatzes führte vor dreißig Jahren zu | |
einem Konflikt zum Umgang mit dem jüdischen Kulturerbe. In diesem Konflikt | |
ging es auch um das Selbstverständnis „Spätgeborener“ – bei Juden und | |
Nichtjuden. Zur Erinnerung an den Streit fand am Sonntag ein Symposium | |
statt, das das Jüdische Museum und das Fritz Bauer Institut in Frankfurt | |
ausrichteten. | |
Zu Wort kamen sowohl Veteranen des Konflikts wie Cilly Kugelmann, Eva | |
Demski und Micha Brumlik als auch Zeithistoriker (Tobias Freimüller, Joseph | |
Cronin). Zudem beschrieb der Architekt Nikolaus Hirsch den steinigen Weg | |
zum Denkmal für die 11.000 deportierten und zum größten Teil ermordeten | |
Frankfurter Juden. | |
Der Börneplatz-Konflikt entstand beim Bau eines Verwaltungsgebäudes und | |
Kundenzentrums der Stadtwerke in der Frankfurter Innenstadt. Hier stieß man | |
in der Baugrube auf Reste der Fundamente von 19 Häusern, die zur | |
Frankfurter Judengasse gehörten. Diese war Teil des 1462 wiedererrichteten | |
Ghettos, bis 1811 der Zwangswohnsitz für Juden. Ab 1860 wurden die Häuser | |
an der Judengasse abgerissen und die Gasse wurde 1885 in Börnestraße | |
umbenannt. | |
Seit 1935 hieß der Börneplatz Dominikanerplatz. Die dort gelegene Synagoge | |
wurde in der Reichspogromnacht 1938 zerstört. Nach 1945 wurde die | |
Erinnerung an die Judengasse unter einer breiten Autoschneise | |
wegasphaltiert. Auf dem Gelände der Synagoge stand zeitweise die | |
Blumengroßmarkthalle und nach deren Abriss befanden sich dort ein Parkplatz | |
und eine Tankstelle. Erst 1978 erhielt der Platz dank der Initiative Paul | |
Arnsbergs, Vorstand einer jüdischen Stiftung, wieder den Namen Börneplatz. | |
Als die Stadt just auf diesem Gelände das Verwaltungsgebäude plante, wurde | |
die jüdische Gemeinde zunächst nicht in die Planung einbezogen. 1984 | |
stimmte sie jedoch dem Bauprojekt zu – unter der Bedingung, dass am | |
Standort der ehemaligen Synagoge 4.000 Quadratmeter reserviert blieben für | |
die Erinnerung an die deportierten Juden. | |
## Überreste von Fundamenten | |
Im Februar 1986 appellierte die Schriftstellerin Eva Demski zusammen mit | |
prominenten Frankfurtern an die städtischen Behörden, statt eines | |
Verwaltungsgebäudes an einem „der hässlichsten, lautesten Orte in dieser | |
Stadt“ einen Ort der Ruhe und der Erinnerung zu schaffen – „einen | |
sternförmigen Garten des Gedenkens“. Dem Protest schlossen sich rund | |
hundert Frankfurter Professoren an, darunter Jürgen Habermas und Erhard | |
Denninger, Iring Fetscher, Alfred Schmidt und Joachim Hirsch. Die Proteste | |
und Appelle blieben ohne Antwort. | |
Kurz nach Baubeginn wurden im Frühjahr 1987 Überreste von Fundamenten der | |
Häuser sowie zwei Ritualbäder (Mikwen) gefunden, was 10 Tage lang geheim | |
blieb. Die jüdische Gemeinde, die sich aus Ostjuden, Israelis und | |
Nachkommen ermordeter Frankfurter Juden zusammensetzte, schwieg ebenfalls. | |
Die Bauarbeiten gingen weiter, was der Forderung nach einem Baustopp der | |
SPD, der Aktion „Rettet den Börneplatz!“, einer Gruppe junger Juden und der | |
christlichen Kirchen mediale Resonanz verschaffte. | |
Die CDU-Stadtregierung unter Oberbürgermeister Wolfram Brück (CDU) | |
schaltete auf stur und verwies auf bereits entstandene Baukosten von 11 | |
Millionen Mark und Verpflichtungen für weitere 53 Millionen Mark. Ignatz | |
Bubis (FDP), Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, stimmte als pragmatischer | |
Immobilienhändler dem Oberbürgermeister zu, da ein Projekt dieser Dimension | |
nicht „einfach auf null“ zurückgedreht werden könne. Die Stadt bot zunäc… | |
an, die Funde zu dokumentieren und museal zu rekonstruieren. | |
Die Proteste wurden lauter und die Presseberichte kritischer, insbesondere | |
die von Claudia Michels (1949–2015) von der Frankfurter Rundschau. Das | |
Aktionsbündnis „Rettet den Börneplatz!“ besetzte am 28. August den | |
Bauplatz. Am 2. September wurde er polizeilich geräumt. Als Kompromiss ließ | |
die Stadt Teile der Überreste konservieren und unter dem gläsernen Boden | |
des Kundenzentrums museumsgerecht sichern. | |
## Historische Konstellation | |
Auf dem Symposium ordneten insbesondere die Vorträge von Tobias Freimüller, | |
Cilly Kugelmann und Joseph Cronin den Konflikt in die historische | |
Konstellation ein, die geprägt war vom Streit um Rainer Werner Fassbinders | |
Drama „Die Stadt, der Müll und der Tod“, dessen Aufführung jüdische | |
Demonstranten 1985 verhinderten. | |
Sie sprachen auch von der politischen Großwetterlage, die bestimmt wurde | |
von Helmut Kohls „geistig-moralischer Wende“ (ab 1983), seiner Berufung | |
„auf die Gnade der späten Geburt“ kurz vor seinem Israel-Besuch (1983), | |
seiner Reise mit Ronald Reagan zum Soldatenfriedhof in Bitburg (1985) und | |
dem Streit über die Begradigung und Normalisierung der deutschen Geschichte | |
(„Historikerstreit“) im Sommer 1986. | |
Im Horizont dieser Debatten über die deutsche Geschichte ging es auch um | |
die Frage, ob die Politik des christlichen Antijudaismus der Vorläufer und | |
Mitverursacher des Antisemitismus und der Vernichtung des Judentums sei. | |
Darüber wurde in der jüdischen Gemeinde ebenso gestritten wie über die | |
Spekulation, schon die Rede vom „deutschen Judentum“ führe „letztendlich | |
von Auschwitz weg“ (Dan Diner). | |
Einig war man sich über die Unzulänglichkeit eines Historismus, der sich | |
die Geschichte als eine Kette kausal verbundener Ereignisse zurechtlegt in | |
der naiven Vorstellung, das chronologisch Frühere sei kausal mit dem | |
chronologisch Späteren verknüpft wie in der These Ernst Noltes, Stalins | |
Massenverbrechen bildeten die Ursache für jene Hitlers. | |
23 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
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