| # taz.de -- Stichwahl in Frankreich: Es geht uns alle an | |
| > Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg könnte in Frankreich die | |
| > extreme Rechte an die Macht kommen. Das wäre eine Katastrophe für ganz | |
| > Europa. | |
| Bild: Könnte an die Macht kommen: die rechte Präsidentschaftskandidatin Marin… | |
| „Nooon, meeeerde!!“ Ein Aufschrei des Entsetzens, wenn am Sonntagabend um | |
| Punkt 20 Uhr auf dem Bildschirm als Siegerporträt nicht das Gesicht von | |
| Emmanuel Macron, sondern das von [1][Marine Le Pen] erscheint. Bisher war | |
| diese Szene bloß Fiktion, womöglich auch Angstmacherei aus politischen | |
| Interessen. | |
| Doch dieses Mal besteht, zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, eine | |
| reelle Gefahr, dass die extreme Rechte in Paris an die Macht kommt. Ganz | |
| legal und ausgerechnet mit der schweigenden Duldung vieler überzeugter | |
| linker „Antifaschisten“, die sich lieber der [2][Stimme enthalten], als | |
| notgedrungen den ihnen verhassten Macron zu wählen. Die eigenen politischen | |
| Berührungsängste sind ihnen wichtiger, die übermäßig strapazierte Metapher | |
| von „Pest oder Cholera“ hat für sie mehr Gewicht als die Warnung vor den | |
| unabsehbaren Folgen eines möglichen Wahlsiegs der Rechtsextremen. | |
| Nur die französischen Staatsbürger*innen können am Sonntag wählen. Das | |
| Ergebnis aber betrifft ganz Europa, und das gibt auch Nichtfranzosen das | |
| Recht, sich in die Diskussion einzumischen, so wie es auf ihre Weise die | |
| drei Regierungschefs von Deutschland, Spanien und Portugal in einem offenen | |
| Brief in der französischen Tageszeitung Le Monde getan haben. „Die Wahl, | |
| vor der das französische Volk steht, ist von entscheidender Wichtigkeit für | |
| Frankreich und jeden von uns in Europa*, schreiben Scholz, Sánchez und | |
| Costa. Sie fürchten um die gemeinsame Zukunft, wenn anstelle des ihnen | |
| teuren Frankreichs der Demokratie, Solidarität und Gerechtigkeit sich im | |
| Élysée-Palast eine autoritäre Rechte etablieren sollte, die „Autokraten wie | |
| Putin“ zum Vorbild hat. | |
| Die Befürchtung ist legitim: In der [3][TV-Debatte] mit Macron hat Marine | |
| Le Pen zwar ein Lippenbekenntnis zur europäischen Solidarität mit der | |
| ukrainischen Bevölkerung vorgelegt. Und versucht, mit diesem Feigenblatt | |
| ihre notorische Freundschaft und ideologische Nähe zu Putin und ihre | |
| finanzielle Abhängigkeit vom russischen Kriegstreiber zu verbergen. Man | |
| kann sich aber leicht ausmalen, welche dramatischen Konsequenzen ihre Wahl | |
| für die Unterstützung der Ukraine und die Glaubwürdigkeit der europäischen | |
| Solidarität hätte. | |
| ## Ein „Frexit“ wäre das Ende der EU | |
| Im Unterschied zu 2017 sagt Le Pen nicht offen, dass sie für einen Austritt | |
| aus der EU, der Eurowährungsgemeinschaft und der Personenfreizügigkeit des | |
| Schengen-Abkommens ist. Sie möchte glauben machen, dass mit ihr Frankreich | |
| wieder zur Großmacht wird, die den Partnerstaaten einseitig neue Regeln | |
| diktieren, reduzierte Beitragszahlungen festlegen und die „Technokraten“ | |
| zum Schweigen bringen könne. | |
| Das wäre das Ende der EU, ein „Frexit“, zu dem sie sich nicht offen | |
| bekennt, weil sie weiß, dass eine Mehrheit ihrer Landsleute ihn nicht | |
| möchte. Die ersten Maßnahmen, die sie zur Wiederherstellung der nationalen | |
| Souveränität ergreifen würde, wären tödliche Schläge für den Aufbau | |
| Europas. Zudem erklärt Le Pen auch die deutsch-französische Zusammenarbeit, | |
| die sie bei ihrer Pressekonferenz zur Außenpolitik als „Quasi-Fiktion“ | |
| verhöhnte, aufgrund von strategischen Meinungsdifferenzen für beendet. | |
| Es geht uns in Deutschland etwas an, wenn im Nachbarland die Gefahr | |
| besteht, dass humanistische Grundwerte, sämtliche Errungenschaften der | |
| Aufklärung sowie des Antikolonialismus und anderer emanzipatorischer | |
| Bewegungen im Fall eines Wahlsiegs der reaktionären Rechten in den | |
| Mülleimer der Geschichte geworfen werden, zusammen mit den Relikten des Mai | |
| 1968. Mit seiner Geschichte der Kämpfe für soziale Rechte und mit seinen | |
| universellen Verfassungsmaximen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit war | |
| und bleibt Frankreich eine Inspiration über Europa hinaus. Auch das steht | |
| bei der Wahl auf dem Spiel. | |
| An Appellen und Warnungen aus dem In- und Ausland fehlt es nicht. Ob diese | |
| gehört wurden und einen Einfluss hatten, wissen wir am Sonntag um 20 Uhr. | |
| Die letzten Umfragen tippen auf einen ganz knappen Sieg von Macron. Wenn es | |
| gerade noch einmal gut ausgeht, dann aber gewiss nicht aufgrund der | |
| fahrlässigen Indifferenz derjenigen, die zu Hause geblieben sind, weil sie | |
| sich sagten, Macron werde auch ohne ihr Zutun gewinnen und andernfalls sei | |
| es vielleicht auch gar nicht so schlimm. | |
| 24 Apr 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
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