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# taz.de -- Softwarekonzern SAP setzt auf Autisten: Der andere Blick
> Sie arbeiten konzentriert und fehlerfrei, ohne zu ermüden. Trotz zum Teil
> massiver Kommunikationschwierigkeiten können Autisten ideale
> IT-Spezialisten sein.
Bild: Jedes Kabel muss auch an den richtigen Platz.
BERLIN taz | Das [1][Softwareunternehmen SAP] will in den nächsten Jahren
vermehrt Menschen mit Autismus als Softwaretester, Programmierer oder in
der Qualitätssicherung einsetzen. In Zusammenarbeit mit dem dänischen
Unternehmen „[2][Specialisterne]“ soll der Anteil der Autisten auf rund ein
Prozent der Belegschaft ausgebaut werden. Weltweit arbeiten derzeit rund
65.000 Menschen für den im baden-württembergischen Walldorf ansässigen
Software-Riesen.
[3][Schätzungen gehen davon aus], dass bis zu einem Prozent der Bevölkerung
mehr oder weniger von Autismus betroffen sind. Unter Autismus wird ein
ganzen Spektrum an verschiedenen Entwicklungsstörungen oder
Krankheitsbildern zusammengefasst.
Erste Symptome treten schon bei Kindern unterschiedlichen Alters auf. Die
betroffenen Kindern kapseln sich von der Umwelt ab, sie ziehen sich in ihre
eigene Welt zurück. Die Kommunikation mit anderen Menschen ist gestört.
Häufig gibt es auch Probleme bei der Sprachentwicklung. Autisten neigen
dazu, ein bestimmtes, immer wiederkehrendes Verhalten zu zeigen. Schon
leichte Störungen ihrer Ordnung können Autisten aus der Bahn werfen.
Die Symptome können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Das
Asperger-Syndrom zum Beispiel, dass schon bei Kindern im Kindergarten
beginnen kann, ist eine milde Form des Autismus. Die Sprachentwicklung und
auch die Intelligenz ist in der Regel ohne Auffälligkeiten. Auch als
Erwachsene können sie einige ein eigenständiges Leben meistern. Andere
wiederum werden ein Leben lang auf Hilfe angewiesen sein.
In einzelnen Gebieten können Autisten manchmal zu außergewöhnlichen
Leistungen fähig sein. Bücher auswendig lernen oder gar parallel im
Schnelldurchgang lesen, Stadtpläne fotografisch abspeichern oder dicke
Telefonbücher auswendig lernen.
Inoffiziell werden diese Symptome als High-Functioning-Autismus
(Hochfunktionaler Autismus) bezeichnet. Allgemeines Kennzeichen bleibt aber
eine eingeschränkte Kommunikation und Schwierigkeiten bei der Eingliederung
in Gemeinschaften. Autisten benötigen daher besondere Rahmenbedingungen,
vor allem in der – oftmals rauen – Arbeitswelt.
## Produktivität nahm zu
Die Zusammenarbeit mit Autisten ist für SAP nicht ganz neu. Sie war bisher
auf Indien beschränkt. Dort stellte die Softwarefirma 2011 sechs
Mitarbeiter mit Autismus als Softwaretester ein. Nach den Angaben von SAP
hat das Team danach „seine Produktivität und seinen Zusammenhalt
verbessert“.
Jetzt soll das Programm bei SAP weltweit eingeführt werden. Noch in diesem
Jahr werden in einem Pilotprojekt in Irland fünf Positionen besetzt.
SAP-Niederlassungen in Deutschland, den USA, Kanada und fünf weiteren
Ländern werden folgen.
Für SAP sei das Projekt eine Chance, im weltweiten Kampf um talentierte
IT-Mitarbeiter besonders spezialisierte Menschen zu finden, erläutert Anka
Wittenberg von SAP das Projekt.
Vielleicht mag auch ein caritativer Aspekt eine Rolle gespielt haben. Das
Softwareunternehmen hofft aber auch Spezialisten gewinnen zu können: „Nur
wenn wir Mitarbeiter einstellen, die anders denken und so Innovationen
fördern, kann SAP den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts begegnen“,
sagt Luisa Delgado, die bei dem Software-Riesen im Vorstand sitzt.
## Ein Vater steigt um
Die Firma Specialisterne, mit der SAP bei dem Autisten-Programm
zusammenarbeitet, wurde 2004 von Thorkil Sonne gegründet. Der Däne ist
selbst Vater eines Kindes mit Autismus. Die Firma hat sich darauf
spezialisiert Arbeitsplätze für Autisten zu schaffen. Sie bildet aus, hilft
Unternehmen bei der Mitarbeiterauswahl und der Schaffung von angepassten
Arbeitsbedingungen. Mittlerweile hat Specialisterne in mehren Ländern
Niederlassungen.
„Das Besondere bei SAP ist, dass erstmals ein großes, weit verzweigtes
Unternehmen weltweit besondere Arbeitsplätze für Menschen mit Autismus
schaffen will“, sagt [4][Matthias Dalferth, Professor für
Sozialwissenschaften an der Hochschule Regensburg]. Den Gedanken, dass SAP
nur Imagepflege betreibt, weist Dalferth, der auch im wissenschaftlichen
Beirat des „[5][Bundesverbands zur Förderung von Menschen mit Autismus]“
angehört gegenüber der taz zurück. „Es ist immer eine gute Sache, diesen
Menschen zu helfen“.
Der Regenburger Professor schätzt die Zahl der von Autismus Betroffenen in
Deutschland auf etwa eine halbe Million. Etwa 5 bis 6 Prozent davon haben
einen Job in der normalen Arbeitswelt. Bei Menschen mit Asperger-Syndrom
oder High-Functioning-Autismus sind es rund 20 Prozent. Es könnten dreimal
soviel sein, so Dalferth.
## Ohne müde zu werden
Die IT-Branche ist so etwas wie ein Vorreiter. Auch wenn es mit der
Kooperation oder Teamarbeit häufig hakt, Autisten können sehr konzentriert
wiederholende Aufgaben leisten und das fehlerfrei und ohne schnell zu
ermüden. Beispielsweise komplizierte Kabelverbindungen planen oder
umfangreiche Kabelbäume überprüfen.
Die möglichen Einsatzorte sind aber nicht auf die IT-Branche beschränkt.
Dalferth verweist auf die [6][Berufsbildungswerke] in Deutschland. Dort
werden Autisten auch auf Arbeiten mit Metall oder Farbe, in der Gestaltung
und für andere Berufszweige vorbereitet.
Für Unternehmer gibt es einen weiteren Vorteil, wenn sie Autisten
beschäftigen – zumindest in Deutschland. Da Firmen und Einrichtungen der
öffentlichen Hand hierzulande angewiesen sind, fünf Prozent ihrer Jobs mit
Schwerbehinderten zu besetzten, könnten sie so ihre Quote erfüllen und
müssten keine Strafzahlungen mehr leisten.
21 May 2013
## LINKS
[1] http://www.sap.com/germany/index.epx
[2] http://specialistpeople.com/specialisterne/
[3] http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/24931
[4] http://hps.hs-regensburg.de/dam39163/
[5] http://w3.autismus.de/pages/startseite.php
[6] http://www.bagbbw.de/
## AUTOREN
Wolfgang Löhr
## TAGS
IT-Branche
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Autismus
Autismus
Inklusion
Autismus
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