# taz.de -- Wissenschaftler raten ab: Mit Diäten gegen Autismus | |
> Bei autistischen Kindern ist die Schulmedizin hilflos. Eltern greifen | |
> häufig zu einer Ernährungstherapie. Die meisten Wissenschaftler raten | |
> aber davon ab. | |
Bild: Autistische Kinder ziehen sich in ihre eigene Welt zurück. | |
Die Diagnose "Autismus" ist für Eltern ein schwerer Schlag. Denn: Es ist | |
ungewiss, woher die Krankheit kommt - sicher ist nur, dass es eine | |
genetische Komponente geben muss. Und: es gibt keine wirklich guten | |
Therapien. Zwar kann eine spezielle Verhaltenstherapie kombiniert mit einem | |
Elterntraining helfen, den Alltag mit diesen besonderen Kindern besser zu | |
meistern. Aber heilbar ist die Krankheit bisher nicht. | |
Autismus kann sich bereits im sehr frühen Kindesalter bemerkbar machen oder | |
erst später als sogenanntes Asperger-Syndrom zu Tage treten. Die Kinder | |
werden auffällig, weil sie nicht altersgemäß spielen, Körper- und | |
Blickkontakt meiden, bei Ansprache wie taub wirken und wiederholte, | |
ritualisierte Handlungen ausführen. Manche plagen unspezifische Ängste, | |
andere haben Wutausbrüche. Rund 1,2 Prozent der Menschen in | |
Industrienationen sind von einer sogenannten Autismus-Spektrum-Störung | |
betroffen. | |
Weil die Schulmedizin keine Behandlung parat hat, greifen - laut US-Studien | |
- rund 75 Prozent der Eltern von autistischen Kindern in ihrer Verzweiflung | |
zu alternativen Heilmethoden. Dazu zählen auch Nahrungsergänzungsmittel wie | |
Antioxidanzien, Omega-3-Fettsäuren, Probiotika und spezielle Diäten. Jedes | |
dritte Elternpaar setzt auf eine solche Ernährungstherapie. | |
Früher dachte man, dass Autismus durch eine gefühlskalte Mutter ausgelöst | |
werde, die ihr Kind nicht liebe. In der Folge ziehe sich darum das Kind | |
traumatisiert in seine eigene Welt zurück. In den 1990er Jahren | |
befürchteten einige Experten, dass Autismus durch die häufigen Impfungen im | |
Kindesalter ausgelöst werde. Vor allem der Wissenschaftler Andrew Wakefield | |
machte mit einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift The Lancet im | |
Jahre 1998 Furore. | |
Zwar wurde diese mittlerweile zurückgezogen und die Theorie ist widerlegt. | |
Aber auf die weitere Forschung hat seine Studie erheblichen Einfluss | |
gehabt. Denn Wakefield und seine Mitstreiter glaubten, dass die Impfviren | |
auf den Magen-Darm-Trakt einwirkten und dort die Durchlässigkeit für | |
Giftstoffe erhöhten, die die Gehirnentwicklung störten und letztendlich zu | |
Autismus führten. | |
Das hat die Forschung in der Form beflügelt, dass einige Kollegen von nun | |
an den Magen-Darm-Trakt von Autisten genauer unter die Lupe nahmen. | |
Und so fand man, dass Autismus häufig mit verschiedenen | |
Magen-Darm-Störungen gemeinsam vorkommt, etwa mit chronischer Verstopfung, | |
Reizdarmsyndrom, Lebensmittelunverträglichkeiten oder Fütterstörungen im | |
Säuglingsalter. Obwohl hierbei auch diskutiert wird, ob diese Symptome | |
nicht eher aus den Kommunikationsproblemen zwischen autistischen Kindern | |
und ihren Eltern resultieren. | |
Detailliertere Studien deckten auf, dass etwa im Dünndarm von Autisten | |
verschiedene Verdauungsenzyme erniedrigt sind, die Permeabilität der | |
Darmwand jedoch erhöht ist. In anderen Arbeiten entdeckte man vermehrt | |
bestimmte Peptide im Urin von Autismus-Patienten, die vermutlich aus dem | |
Abbau von Nahrungseiweiß stammen. | |
Damit formulierten einige Forscher wie etwa Karl Reichelt, Pädiater an der | |
Universität Oslo, eine neue Hypothese: Die erhöhte Permeabilität der | |
Darmwand macht es möglich, dass sogenannte Opioid-Peptide ins Blut und dann | |
über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn gelangen, wo sie das Opiat- und | |
Neurotransmitter-System beeinflussen sollen. | |
Manche Autismus-Symptome seien also Folge der Peptide, die bei der | |
unvollständigen Verstoffwechslung von Casein und Gluten anfallen. Reichelt | |
glaubt: "Eine Verbindung zwischen Darm und Gehirn wird immer | |
wahrscheinlicher." | |
Paul Shattock an der Autism Research Unit in Sunderland, Großbritannien, | |
war der Erste, der den Verzicht auf die Nahrungsproteine Gluten und Casein | |
propagierte. Autisten sollten also bestimmte Getreidesorten wie Weizen, | |
Roggen oder Hafer sowie Milch und Milchprodukte von ihrem Speiseplan | |
streichen. | |
Während einige Wissenschaftler, etwa auch der Norweger Karl Reichelt, | |
berichten, sie hätten damit in Einzelfällen und in kleinen Studien gute | |
Resultate erzielt, vor allem beim Sozialverhalten der Kinder, sind die | |
meisten Experten skeptisch. Sie raten von solchen Diäten ab. So gibt es | |
bislang nicht genügend gute Studien, die eine Wirkung beweisen, hat ein | |
Cochrane-Review im Jahr 2008 aufgedeckt. | |
"Eine solche Diät kann ohne positiven Allergietest eindeutig nicht | |
empfohlen werden", meint etwa Bernd Neubauer, Pädiater an der Universität | |
Gießen, in einem Gutachten für den Verband "autismus Deutschland". | |
Die American Dietetic Association weist zudem darauf hin, dass in manchen | |
Ernährungs-Studien bei den Patienten ein Mangel an lebensnotwendigen | |
Aminosäuren und Knochendichteverluste auftraten. Außerdem sei es schwierig, | |
dieser Diät zu folgen, da viele Grundnahrungsmittel betroffen seien. Zudem | |
sprächen höhere Kosten und mehr Zeitaufwand gegen gluten- und caseinfreie | |
Diäten. | |
Andere Forscher sind zuversichtlicher: Ian Lipkin von der Columbia | |
University hofft etwa, eines Tages mit Probiotika gegen die Krankheit | |
vorzugehen. Denn: "Das Verhältnis der Bakteriengruppen Firmicutes und | |
Bacteroides im Darm unterscheidet sich bei Autisten und Gesunden", meinte | |
er 2010 auf dem Kongress "Infectious Diseases" in Wien. | |
In der Autism Birth Cohort Study, einer Studie mit immerhin 110.000 | |
Kindern, untersucht er darum gemeinsam mit norwegischen Kollegen nun die | |
Wirkung von Probiotika und speziellen Diäten. Diese groß angelegte Studie | |
könnte endlich Fakten auf den Tisch legen. | |
17 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
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