# taz.de -- Skandal in Berliner Flüchtlingsheim: Für jede Hilfe zu spät | |
> Der Sicherheitsdienst einer Flüchtlingsunterkunft weigert sich, für eine | |
> hochschwangere Frau einen Rettungswagen zu rufen. Kurz darauf verliert | |
> sie ihr Kind. | |
Bild: Weil das geflüchtete Paar kein eigenes Handy hatte, war es auf den Siche… | |
Seit vier Wochen ist Frau H. depressiv, den Anblick von Kindern kann sie | |
nicht ertragen. Denn Frau H. und ihr Mann haben ihr eigenes Kind verloren. | |
Seit zwei Monaten lebt das geflüchtete Paar in Berlin in einer | |
Erstaufnahmeeinrichtung. In der Nacht auf den 23. Juni bekommt Frau H., im | |
neunten Monat schwanger, starke Schmerzen und Blutungen. Ihr Mann bittet | |
daraufhin zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, einen Krankenwagen zu | |
rufen. | |
Doch der Sicherheitsdienst weigert sich: Sonntagfrüh um vier Uhr rufe man | |
keinen Krankenwagen. Nicht einmal ein Taxi wollten die beiden Männer | |
verständigen. Ein eigenes Handy hat das junge Ehepaar nicht, also müssen | |
sie den Weg in das drei Kilometer entfernte Krankenhaus zu Fuß und mit der | |
Straßenbahn zurücklegen. Im Krankenhaus entbindet Frau H. ein totes Kind. | |
Sie sagt, ein paar Stunden zuvor habe sie das Kind noch strampeln fühlen | |
können. | |
So schildert der Anwalt des Ehepaars, der auf Medizinrecht spezialisierte | |
Jurist Tobias Kiwitt, den Fall seiner Mandanten, den der Flüchtlingsrat am | |
Montag öffentlich gemacht hat. „Es ist absolut nicht nachvollziehbar, warum | |
einer hochschwangeren Frau, die vor Schmerzen kaum stehen kann, der | |
Rettungsdienst verweigert wird“, sagt er gegenüber der taz. Es handele sich | |
klar um unterlassene Hilfeleistung, eine entsprechende Strafanzeige sei | |
gestellt. | |
Hätte der Tod des Kindes verhindert werden können, wenn die Mutter früher | |
im Krankenhaus angekommen wäre, könnte es sich sogar um fahrlässige Tötung | |
handeln. Bisher ist das nicht klar, ein entsprechendes medizinisches | |
Gutachten steht aus. Eine Ärztin habe seiner Mandantin aber bereits bei der | |
Vorstellung des Obduktionsberichts erklärt, es sei denkbar, dass das Kind | |
bei einem früheren Eintreffen hätte gerettet werden können, so Kiwitt. | |
Der Flüchtlingsrat kritisiert anlässlich des Falls auch das [1][Landesamt | |
für Flüchtlingsangelegenheiten] (LAF) und die ihm übergeordnete | |
Senatsverwaltung für Integration und Soziales. Denn in den | |
Qualitätsrichtlinien für die Sicherheitsdienste in Flüchtlingsunterkünften | |
fehle die klare Weisung, dass der Bitte um einen Rettungsdienst in jedem | |
Fall entsprochen werden müsse. „Es kann nicht sein, dass Geflüchtete, die | |
sich in einer akuten Notlage, möglicherweise sogar in Lebensgefahr | |
befinden, hilflos der Entscheidung von Security oder anderen medizinisch | |
nicht qualifizierten Mitarbeitern ausgesetzt sind“, sagt der | |
Flüchtlingsrat-Sprecher Georg Classen. | |
In der Senatsverwaltung sei man angesichts des Falls entsetzt, sagt | |
Sprecherin Regina Kneiding. „Das ist ein furchtbarer Vorfall, der lückenlos | |
aufgeklärt werden muss.“ An dieser Aufklärung werde bereits gearbeitet. Den | |
Vorwurf des Flüchtlingsrats weist Kneiding zurück: Es gebe bereits „strenge | |
Qualitätsvorgaben“. | |
In den Qualitätsrichtlinien des LAF für Sicherheitsdiensleister, die der | |
taz vorlegen, ist nicht festgelegt, wie sich diese verhalten sollen, wenn | |
um einen Rettungswagen gebeten wird. Das LAF beruft sich allerdings auf | |
„interne Arbeitsanweisungen“, in denen festgehalten sei, dass insbesondere | |
für besonders schutzbedürftige Menschen wie schwangere Frauen „in Notfällen | |
unbedingt ein Rettungswagen angefordert werden“ müsse. | |
Das LAF wurde nach eigenen Angaben selbst erst in der letzten Woche seitens | |
des Heimbetreibers über den Fall informiert und habe daraufhin die | |
Geschäftsführung zu einem Gespräch geladen. Bei dem Heim handelt es sich | |
nach taz-Informationen um die Erstaufnahmestelle in der Rhinstraße in | |
Lichtenberg, die von der [2][Arbeiterwohlfahrt] (AWO) betrieben wird. Diese | |
war am Montag bis Redaktionsschluss nicht für eine Stellungnahme zu | |
erreichen. | |
22 Jul 2019 | |
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[1] /Landesamt-fuer-Fluechtlingsangelegenheiten-LAF/!t5348427 | |
[2] https://www.awoberlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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