| # taz.de -- Sinnlichkeit einer Stadt: Rom ist sexy | |
| > Italiens Hauptstadt ist mehr als ein monumentales Freiluftmuseum und | |
| > gutes Essen. Im Frühling vermag Rom eine Art Dauerkitzeln im Innern zu | |
| > entfachen. | |
| Bild: Frühlingsgefühle auf der Tiberinsel in Rom | |
| Man sagt über Paris im Ausland gern, es sei die Stadt der Liebe. Man stellt | |
| sich vor, Französinnen und Franzosen täten kaum etwas anderes im Leben, als | |
| über die Liebe zu sprechen, sie zu machen, sie zu besingen, zu beschreiben | |
| und in allen möglichen Konstellationen auszutesten. | |
| Wenn die Welt untergeht, denkt man in Frankreich nicht primär an seine | |
| Verdauung, also nicht an Reis oder Klopapier, sondern, so das hartnäckige | |
| Gerücht, an die Liebe. Oder besser gesagt: an Sex. Zumindest stellen manche | |
| sich das so vor. Bis heute fragen mich Leute, ob es denn wirklich wahr sei, | |
| ob die Franzosen den Stress der Pandemie wirklich durch ein ausuferndes | |
| Sexleben kompensiert hätten. Meine enttäuschende Antwort lautet: Ich weiß | |
| es nicht. Zumindest die Sache mit den Kondomen kann ich nicht bestätigen. | |
| Nur soll es darum ja gar nicht gehen. Es soll [1][nicht um Paris gehen, | |
| sondern um Rom.] Oder besser gesagt: um Rom und seine Sinnlichkeit. Als ich | |
| vor genau einem Jahr ankam, rief nach einigen Wochen ein Freund an, der als | |
| Korrespondent einer großen italienischen Zeitung in Paris arbeitet. Er | |
| arbeitete an einem Artikel über das Italien-Frankreich-Verhältnis und | |
| wollte wissen, was mir als neu angekommene „Französin“ an Rom gefalle: „… | |
| Sinnlichkeit der Stadt“, sagte ich. Er lachte: „Ach ja?“ Ja. Man | |
| unterstreicht das viel zu selten. | |
| [2][Wenn man über Rom spricht], klingt es oft, als spreche man über ein | |
| Freilichtmuseum mit besonders gutem Bistro. Man erzählt von antiken | |
| Monumenten, Deckenfresken in Kirchen, dem Vatikan, der hervorragenden | |
| Carbonara, den frittierten Artischocken, dem ultimativen Negroni. | |
| Aber man sagt selten: Die Stadt ist sexy. Dabei ist sie das. Sehr sogar. | |
| Das gilt natürlich besonders jetzt, im Frühling. Frühling ist fast überall | |
| schön, die Jahreszeit schafft es auf wundersame Weise, uns jedes Mal aufs | |
| Neue zu erstaunen und in unserer Magengegend für ein paar Wochen eine Art | |
| Dauerkitzeln zu entfachen. | |
| ## Schon mal „Roma“ rückwärts gelesen? | |
| Nur nimmt sie in Rom eine besondere Form an. Die Luft zum Beispiel wird | |
| plötzlich ganz weich und warm. Wenn man durch sie hindurchfährt, mit dem | |
| Rad oder einer Vespa, ist es, als würde sie einen ganz sanft im Nacken | |
| streicheln. Sie riecht nach Blauregen und dem langsam aufblühenden Jasmin, | |
| an manchen Straßenecken auch nach Rosen. | |
| Überhaupt scheinen die Natur, die vielen Vögel, die Papageien, die Bienen, | |
| die Pflanzen, all diese Elemente, die in Städten ja sonst eher eine | |
| untergeordnete Rolle spielen, uns hier auf sehr bunte und laute Weise | |
| zurufen zu wollen: Alles auf Anfang! Alles auf Neustart! Küsst euch! Umarmt | |
| euch! Macht, was ihr wollt! | |
| Und genau das machen die Leute auch. Selten habe ich so viele Menschen | |
| gesehen, die sich auf der Straße küssen, wie in Rom. Und das nicht nur im | |
| Frühling. Egal, wie warm oder kalt es ist, ob der Himmel grau oder | |
| strahlend blau über dem Lungotevere hängt, man muss nur einmal durch einen | |
| Park fahren oder in der Altstadt durch eine Straße schlendern, man wird | |
| mindestens alle paar Meter ein eng umschlungenes Paar sehen. Jung oder alt, | |
| alle scheinen hier von irgendetwas erfasst. Nur von was? | |
| Der fellinihaften Opulenz vielleicht. Dem vielen Essen, das hier in schier | |
| endloser Fülle und sehr hübsch herausgeputzt in Schaufenstern und Theken | |
| liegt. Oder, mehr im Sinne von Pasolini, von der etwas rauen, archaischen | |
| Schönheit, die so anders und kraftvoller ist als die kontrollierte Eleganz | |
| von Paris. | |
| Vielleicht sind es, ganz blöd gedacht, die vielen abgetrennten Körperteile, | |
| die Pos, Brüste, Beine, die einem in prallem Marmor tagtäglich von Gebäuden | |
| und Fontänen entgegenblicken? Oder ist es womöglich der Einfluss der | |
| antiken Römer und ihrer Huldigung des Genusses? Bisher scheint mir keine | |
| der Antworten wirklich schlüssig. Vielleicht liegt des Rätsels Lösung auch | |
| einfach im Namen der Stadt verborgen: Oder warum sollte „Roma“ rückwärts | |
| gelesen sonst „Amor“ heißen? | |
| 14 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Annabelle Hirsch | |
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