# taz.de -- Shutdown in den USA und die Folgen: Zwangsurlaub für Mrs. Summervi… | |
> Stacy Summerville arbeitet für die Regierung. Eigentlich. Doch der | |
> Gehaltsscheck ist dieses Mal ausgeblieben. Was der Shutdown für sie | |
> bedeutet. | |
Bild: Würde gerne arbeiten, darf es aber nicht: die Staatsbedienstete Stacy Su… | |
WASHINGTON taz | An Werktagen gegen Mittag reihen sich mehr als ein Dutzend | |
Food-Trucks vom Ausgang der U-Bahnstation Enfant Plaza entlang der Maryland | |
Avenue. Sie sind so dicht beieinander geparkt, dass man die andere | |
Straßenseite vom Bürgersteig aus nicht sehen kann. Vor den Trucks, an denen | |
Essen aus Mexiko, Indien und den Südstaaten der USA verkauft wird, bilden | |
sich Trauben von Menschen, die aus den benachbarten Ministerien und aus den | |
großen Museen an der Mall kommen. | |
Aber an diesem Montag um 12 Uhr liegt eine unheimliche Stille über der | |
Maryland Avenue in Washington. Niemand steht Schlange. Niemand lacht. | |
Nirgends steigt der Duft von gegrillten Spießen auf. Und kein | |
Truck-Betreiber ist zu sehen. Bloß ein einzelner Mann, der das blaue Hemd | |
der Metro-Beschäftigen trägt, stapft Spuren in den Neuschnee. | |
Es ist der 24. Tag des Shutdowns. Die meisten Beamten der umliegenden | |
Bundesministerien – für Energie, für Luftfahrt und für die Heimatsicherheit | |
– sind im Zwangsurlaub, und die dahinter liegenden großen nationalen Museen | |
an der Mall – Raumfahrt, afrikanische Kunst und Kulturen amerikanischer | |
Ureinwohner – sind geschlossen. | |
Zu der Abwesenheit der Bundesbeamten und der Touristen kommt an diesem | |
Montag noch die der Stadtbediensteten hinzu. Am Wochenende hat es erstmals | |
im neuen Jahr geschneit. Die Stadtregierung beschreibt das Wetter als | |
„Schneesturm“. Obwohl die Straßen für den Verkehr geräumt sind und am | |
Himmel schon wieder blaue Flecken aufreißen, haben die Beschäftigten und | |
alle Schüler der Stadt an diesem Tag schneefrei. | |
## Hunderttausende stehen ohne Geld da | |
„Hier arbeitet niemand“, sagt Taxifahrer Herb griesgrämig. Seit dem 22. | |
Dezember, als Donald Trump den Shutdown verfügte, fährt er öfter in einem | |
leeren Wagen durch die Stadt. Und jetzt kommt noch der Schnee dazu. „Die | |
Leute haben keine Ahnung vom Autofahren im Winter“, knurrt er. | |
Überall in der US-Hauptstadt ist zu spüren, dass die Bundesbeamten kein | |
Geld in der Tasche haben. Trump hat die teilweise Schließung der Regierung | |
am 22. Dezember verfügt, weil die Demokraten im Kongress nicht bereit sind, | |
ihm 5.7 Milliarden Dollar für seine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu | |
bewilligen. Um die Demokraten unter Druck zu setzen, hat Trump angeordnet, | |
dass 800.000 Bundesbeamte keinen Lohn erhalten. 420.000 wurden | |
dienstverpflichtet und müssen unbezahlt arbeiten. 380.000 müssen zu Hause | |
bleiben und dürfen allenfalls mit Genehmigung ihrer Vorgesetzten, von denen | |
viele ebenfalls im Zwangsurlaub sind, vorübergehend andere Jobs annehmen. | |
Das setzt voraus, dass sie überhaupt Arbeitsplätze finden in einer Stadt, | |
deren Wirtschaft rund um die Regierung kreist. Alternativ können sie einen | |
Antrag auf Arbeitslosengeld stellen, dessen Bearbeitung mehrere Wochen | |
dauert und das sie zurückzahlen müssen, falls sie – wofür es keine Garantie | |
gibt – rückwirkend Lohnzahlungen bekommen. | |
Die chemischen Reinigungen in Washington DC, in denen die Beamten aus den | |
Chefetagen ihre Hemden und Krawatten und ihre Blusen und Röcke reinigen | |
lassen, haben seither ihre Öffnungszeiten reduziert. Fast-Food-Restaurants | |
arbeiten nur mit Minimalbesetzung oder sind geschlossen. Manche versuchen | |
auch, Kundschaft mit Gratiskaffeezugaben und neuen Drinks zu locken. | |
Buchläden der Kette Politics and Prose bieten zwangsbeurlaubten | |
Bundesbeamten, die ihren Regierungsausweis vorlegen, 20 Prozent | |
Preisnachlass. Und die öffentlichen Verkehrsbetriebe, unter deren | |
Passagieren die Bundesbeamten 40 Prozent stellen, kutschieren leere Busse | |
und U-Bahnen durch die Stadt. | |
## Das Gesparte reicht für einen Monat | |
„Einen Monat kann ich irgendwie ohne Lohn überbrücken“, sagt Stacy | |
Summerville, „aber mehr geht nicht.“ Die 41-jährige Mutter eines | |
erwachsenen Sohns und einer Teenagerin arbeitet bei der Regierungsstelle | |
für Produktsicherheit, die seit dem 22. Dezember geschlossen ist. Nach | |
Definition der Regierung ist die Untersuchung von Bügeleisen, Flaschen, | |
Wasserboilern und Babybetten auf mögliche Gefahren nicht „wesentlich“ – | |
ebenso wie Teile der Umweltbehörde, der Gesundheitsforschung und der | |
Nahrungsmittelkontrolle. | |
Summerville hat die zurückliegenden 24 Tage damit verbracht, ihre Garage | |
aufzuräumen, ihrer Tochter bei den Hausaufgaben zu helfen und immer | |
nervöser zu werden. Sie fühlt sich alleingelassen. Sowohl bei ihren | |
regelmäßigen Zahlungsverpflichtungen – von der Kreditkarte über das Auto | |
bis hin zu der Strom- und Gasrechnung – als auch bei der Abzahlung der | |
Hypothek für ihr Haus. Die Regierung hat zwar erklärt, dass es für | |
zwangsbeurlaubte Beamte Ausnahmeregeln gebe. Aber von der Bank erfuhr | |
Summerville, dass während der kompletten Laufzeit ihrer Hypothek nur eine | |
verspätete Zahlung zugelassen ist und dass auch die sich negativ auf ihre | |
Kreditwürdigkeit auswirken würde. Demnächst werden zusätzlich rund 400 | |
Dollar für den Wasseranschluss fällig. Wenn Summerville das nicht zahlen | |
kann, wird ihr Haus belastet. | |
„Sie spielen mit unserem Leben“, sagt Stacy Summerville. In einem sehr | |
ruhigen Ton fährt sie fort: „Ich glaube nicht, dass es richtig ist, dass | |
wir zu Geiseln gemacht werden. Wir sind Familien. Wir sind amerikanische | |
Bürger.“ An diesem Montagmittag ist sie mit ihrer schulpflichtigen Tochter, | |
die schneefrei hat, zu einem kostenlosen Lunch für Shutdown-Opfer in das | |
Hauptquartier ihrer Gewerkschaft in Silver Spring am Stadtrand von | |
Washington gekommen. „Immerhin muss ich mir so keine Gedanken darüber | |
machen, wie ich das Essen bezahle“, sagt sie. | |
Je länger der Shutdown dauert, desto mehr Gewerkschaften und Kirchen in | |
Washington betreiben Suppenküchen für die Zwangsbeurlaubten. Für diesen 24. | |
Tag hat auch die große, spendenfinanzierte Gruppe Bread for the City, die | |
gewöhnlich Obdachlose betreut, angekündigt, dass sie eine tägliche | |
Shutdown-Suppenküche eröffnet. Dann kam der Schneesturm dazwischen. | |
## Manche verfügen über Reserven, andere nicht | |
In den Augen von Summerville ist Trump nicht der Alleinverantwortliche für | |
ihre Lage. „Es sind beide Seiten“, sagt sie. Sie gehört zu der Mehrheit von | |
US-Amerikanern, die nur geringe oder kaum Ersparnisse haben. „Im Notfall | |
hat nur die Hälfte der Beschäftigten 500 Dollar zur Verfügung“, sagt Chris | |
Townsend von der Transportarbeitergewerkschaft ATU in Silver Spring, | |
„unsere Arbeiterklasse ist in den zurückliegenden Jahrzehnten rasant | |
verarmt und geschwächt worden.“ | |
Trump hat erklärt, der Shutdown könne notfalls Monate dauern. Aber für | |
manche Betroffene könnte er Folgen haben, die weit über das Ende des | |
Shutdowns hinaus reichen. Denn wessen „Kreditwürdigkeit“ absackt, der | |
riskiert nicht nur den Zugang zu künftigen Darlehen, sondern auch zu einem | |
neuen Arbeitsplatz. Denn vor einer Einstellung prüfen Bosse in den USA auch | |
die Kreditwürdigkeit. | |
Seit dem Beginn des Shutdowns hat der Abgeordnete Jamie Raskin Hunderte von | |
Briefen und E-Mails von betroffenen Wählern erhalten. In seinem Wahlkreis, | |
zu dem auch Silver Spring gehört, leben 80.000 Bundesbeamte und Zigtausende | |
weitere Beschäftigte von Unternehmen, die für die Regierung arbeiten. | |
Manche gehören zu den Working Poor, die von einer Lohnüberweisung zur | |
nächsten leben, von zwei Wochen zu den nächsten zwei Wochen. Andere | |
verfügen über Reserven, um notfalls ein paar Monate zu überbrücken. Aber | |
für alle sind es „traumatische Dinge“, sagt der 55-Jährige Demokrat, „e… | |
sehr harte Zeit, in der viele ihre Ersparnisse für die Rente oder das | |
Studiengeld ihrer Kinder anzapfen, um über die Runden zu kommen.“ | |
Raskin nennt Trumps Mauer „lächerlich“. Und den Präsidenten, der den | |
Shutdown ausgelöst hat, und der bei seinem letzten Treffen mit den | |
OppositionsführerInnen Nancy Pelosi und Chuck Schumer den Raum nach wenigen | |
Minuten in einem Trotzanfall verließ, beschreibt er als „einen Fall für ein | |
Team von Psychiatern und Experten für Neurologie“. | |
Aber wie die meisten Demokraten ist auch Raskin zu „Kompromissen bei der | |
Grenzsicherheit“ bereit. Die Voraussetzung dafür sei allerdings, dass | |
sämtliche Regierungsstellen wieder geöffnet werden und der Shutdown beendet | |
wird. | |
## Demokraten hoffen auf eine Einigung | |
Die Midterm-Wahlen im letzten November und die jüngsten Umfragen, die | |
zeigen, dass der Ärger über den Shutdown quer durch das Land wächst, | |
bestärken Demokraten wie Raskin in ihrer Position. Sie hoffen, dass der | |
Shutdown, der längste in der Geschichte der Vereinigten Staaten, vor Ende | |
des Monats beendet wird. | |
Von seinen republikanischen Kollegen im Repräsentantenhaus erwartet er | |
dabei wenig: „Die fürchten, dass sie bei den nächsten Primaries in ihren | |
Wahlkreisen rechte Herausforderer bekommen, die Donald Trumps Unterstützung | |
haben.“ Aber bei manchen Republikanern im Senat, „die im Jahr 2020 | |
Wahlkampf haben und deren Wahlkreise ganze Bundesstaaten sind“, hofft er | |
auf ein Einlenken. | |
Fürs Erste hat die Gewerkschaft AFGE, die Beamte vertritt, eine Klage wegen | |
der Verletzung eines Gesetzes aus dem Jahr 1938 eingereicht, das die | |
Beschäftigung ohne Lohn verbietet. Aber abgesehen von kleineren | |
Demonstrationen halten sich die Betroffenen des Shutdowns bislang noch mit | |
Protesten zurück. Die 800.000 sind quer über das ganze Land verteilt. Und | |
sie haben als Bundesbeamte kein Streikrecht. | |
Doch auf individueller Ebene umgehen manche Beschäftigte der | |
Flugsicherheitsbehörde TSA diese Situation bereits. Am 24. Tag des | |
Shutdowns sind mehr als doppelt so viele TSA Beschäftigte krank gemeldet | |
wie im Januar des Vorjahrs. Und schon jetzt diskutieren | |
Shutdown-Beschäftigte darüber, sich kollektiv krankzumelden, um zu zeigen, | |
was alles zusammenbricht, wenn sie nicht arbeiten. | |
15 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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