| # taz.de -- Schwangerschaftsabbrüche und Medizin: Bloß nicht drüber reden! | |
| > Abtreibungen fristen in der Medizin ein Schattendasein. Weder im Studium | |
| > noch in der Weiterbildung werden sie ausreichend behandelt. | |
| Bild: Auch in der Weiterbildungsordnung des Landes Sachsen kommen Schwangerscha… | |
| „Schmuddelecke“ – dieses Wort fällt immer wieder, wenn man mit Ärzt*inn… | |
| spricht, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Damit meinen sie nicht | |
| nur das gesellschaftliche Stigma, mit dem Abtreibungen auch im 21. | |
| Jahrhundert immer noch belegt sind, oder die offenen Anfeindungen | |
| selbsternannter Lebensschützer*innen. Auch unter Kolleg*innen werde oft mit | |
| Naserümpfen reagiert, wenn es um das Thema gehe. | |
| Eine entsprechend unbedeutende Rolle spielen Schwangerschaftsabbrüche in | |
| Deutschland – zumindest, wenn es um Lehre und Forschung geht. Dort kommt er | |
| kaum vor – und das, obwohl er trotz sinkender Fallzahlen zu den häufigsten | |
| chirurgischen Eingriffen in der Gynäkologie gehört. Etwas mehr als 100.000 | |
| Abtreibungen fanden in Deutschland im Jahr 2017 statt. | |
| Medizinische Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch gibt es derweil keine. | |
| Ein Umstand, den Pro Familia bereits 2014 in einem Rundbrief kritisiert | |
| hatte. In Deutschland fehle es an „Standards oder Leitlinien zur | |
| fachgerechten Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen“, heißt es in dem | |
| Papier. | |
| Zumindest in Teilen können deutsche Mediziner*innen auf Leitlinien | |
| gynäkologischer Fachgesellschaften etwa in den USA, Großbritannien, Kanada | |
| oder auch der WHO zurückgreifen – komplett übertragbar sind diese aufgrund | |
| der unterschiedlichen rechtlichen Regelungen und Gesundheitssysteme aber | |
| nicht. Zudem sind sie nur auf Englisch verfügbar. | |
| ## Lediglich die rechtlichen und ethischen Aspekte | |
| Auch im Medizinstudium ist der Schwangerschaftsabbruch nur ein Randthema. | |
| Zwar taucht er mehrmals im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog | |
| Medizin (NKLM) auf, einer Handreichung, die der medizinische Fakultätentag | |
| gemeinsam mit der Gesellschaft für medizinische Ausbildung entwickelt hat. | |
| Darin heißt es etwa, Studierende sollten lernen, die Prinzipien eines | |
| Schwangerschaftsabbruchs zu beschreiben und medizinische Entscheidungen | |
| ethisch zu begründen. Der NKLM ist aber kein Regelwerk. Und so kommen in | |
| den Lernzielen des Universitätsklinikums Charité in Berlin lediglich die | |
| rechtlichen und ethischen Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs vor, nicht | |
| aber die Methoden. | |
| Auch in der Weiterbildung für Gynäkolog*innen fristet der | |
| Schwangerschaftsabbruch ein Schattendasein – er ist zwar da, aber genau | |
| hingeguckt wird nicht. Festgelegt werden die Weiterbildungsinhalte von den | |
| 17 Landesärztekammern (Nordrhein-Westfalen hat zwei), die sich dabei in der | |
| Regel an der „Musterweiterbildungsordnung“ der Bundesärztekammer | |
| orientieren. | |
| Wie eine taz-Recherche zeigt, wird etwa der medikamentöse | |
| Schwangerschaftsabbruch in allen 17 Weiterbildungsinhalten nicht erwähnt. | |
| Außerdem nicht aufgeführt wird die Vakuumaspiration, also die Absaugmethode | |
| – die in Deutschland 60 Prozent der durchgeführten Abbrüche ausmacht. | |
| ## Auf internationale Kongresse angewiesen | |
| Als zu erlernende operative Eingriffe werden hingegen – wie auch im NKLM – | |
| die Abrasio und die Nachkürettage aufgeführt; die Nachkürettage ist die | |
| nach einer Fehlgeburt durchgeführte Ausschabung, um eventuell verbliebene | |
| Reste der Plazenta aus der Gebärmutter zu entfernen. Eine Abrasio dient vor | |
| allem dem sogenannten „Abtragen der Frucht“ etwa zur Untersuchung der | |
| Gebärmutterschleimhaut auf bösartige Erkrankungen. | |
| „Wenn Ärzt*innen neu zu uns kommen, kennen sie meist die Methode der | |
| Ausschabung“, bestätigt Stefan Nachtwey, Geschäftsführer des | |
| Familienplanungszentrums Balance in Berlin. „Das schonendere Absaugen | |
| lernen sie dann erst von den schon länger bei uns arbeitenden Ärzt*innen.“ | |
| Wer sich auf dem Gebiet weiterbilden wolle, sei auf internationale | |
| Kongresse angewiesen. „Dass es hier überhaupt die Möglichkeit gibt, sich | |
| über neue Erkenntnisse oder Methoden auszutauschen, liegt an engagierten | |
| Ärztinnen und Ärzten und an Einrichtungen wie unserer oder Pro Familia“, | |
| sagt Nachtwey. | |
| 19 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
| Hanna Voß | |
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