# taz.de -- Schottlands Regierungspartei: Skandal zerrt an der SNP | |
> Schottlands Nationalpartei genießt viel Zuspruch, auch wegen ihrer | |
> Unabhängigkeitspläne. Doch nun gerät die Erste Ministerin Sturgeon in | |
> Bedrängnis. | |
Bild: Schottlands Regierungschefin Sturgeon will ihr Land aus den Königreich f… | |
DUBLIN taz | „Wir wurden gekauft und verkauft für englisches Gold“, klagte | |
der schottische Nationaldichter Robert Burns über den Unionsvertrag | |
zwischen England und Schottland 1707. Schottland war damals praktisch | |
pleite und es floss reichlich Schmiergeld, um die schottischen Politiker | |
zur Unterzeichnung des Unionsvertrags zu bewegen. | |
2014 sollte dieser Vertrag per Referendum aufgekündigt werden. Die | |
regierende Scottish National Party (SNP), die den Volksentscheid mit | |
Genehmigung der Londoner Regierung anberaumt hatte, verlor jedoch | |
unerwartet deutlich. Dank Brexit, gegen den 62 Prozent der Schotten | |
gestimmt hatten, bekommt Schottland womöglich bald eine zweite Chance. | |
Diesmal könnte man Erfolg haben: Laut Meinungsumfragen würden 58 Prozent | |
für die Unabhängigkeit stimmen. | |
Eigentlich also rosige Aussichten für die SNP – wenn da nicht der bizarre | |
Streit zwischen Parteichefin Nicola Sturgeon und ihrem Vorgänger und Mentor | |
Alex Salmond wäre. Der hatte sie 2004 zu seiner Stellvertreterin gemacht. | |
Durch seinen Pragmatismus, aber auch durch sein Charisma und seinen Charme | |
brachte er die SNP an die Regierung. Kein Politiker wurde in Schottland so | |
verehrt. Den Slogan „Yes, we can“ hat Salmond bereits 1997 erfunden, da war | |
Barack Obama noch Anwalt in Chicago. Nach dem verlorenen Referendum trat er | |
zurück und [1][übergab Parteivorsitz und Regierungsgeschäfte an Sturgeon]. | |
Vor gut zwei Jahren wurde Salmond von zwei Frauen sexueller Übergriffe | |
beschuldigt, darunter versuchte Vergewaltigungen. [2][Er bestritt die | |
Vorwürfe und bezeichnete die Untersuchung des Falls durch die schottische | |
Regierung als „unfair und ungerecht“.] Sturgeon gab an, die Anschuldigungen | |
seien so schwerwiegend, dass man sie „nicht einfach ignorieren“ könne. | |
Salmond trat daraufhin aus der Partei aus, der er 45 Jahre lang angehört | |
hatte. Im März vorigen Jahres sprach ihn ein Gericht in 12 von 13 | |
Anklagepunkten frei. Beim letzten Punkt war den Geschworenen die Beweislage | |
für eine Verurteilung zu dünn. | |
## Sturgeon soll das Parlament belogen haben | |
Die Art, wie der Prozess überhaupt zustande gekommen war, wirft kein gutes | |
Licht auf Sturgeon. Sie hatte die interne Untersuchung der Vorwürfe durch | |
die Regierung angeordnet, aber einer ihrer Beamten hatte bereits vor Beginn | |
mit den beiden Frauen gesprochen. Dadurch seien die Aussagen beeinflusst | |
worden, vermutete Salmond. | |
Er verlangte eine gerichtliche Überprüfung – die ihm in dieser Hinsicht | |
schließlich recht gab. Die Regierung musste ihm seine Prozesskosten in Höhe | |
von mehr als einer halben Million Pfund erstatten. Doch dann sandte die | |
Staatssekretärin Leslie Evans die Untersuchungsakten an die Polizei und | |
löste dadurch die strafrechtlichen Ermittlungen aus. | |
Salmond ist offenbar fest entschlossen, seinen Ruf wiederherzustellen, | |
selbst wenn das der Unabhängigkeitsbewegung schadet. Sturgeon habe das | |
Parlament belogen, behauptet er. Es geht dabei um die Frage, wann sie von | |
den Anschuldigungen gegen ihn erfahren habe. Das sei am 2. April 2018 | |
gewesen, als er sie in ihrem Haus besucht und ihr davon erzählt habe, hat | |
Sturgeon ausgesagt. | |
Tatsächlich war sie jedoch vier Tage zuvor von Salmonds früherem Stabschef | |
informiert worden. Sturgeon sagt, sie habe dieses Treffen schlicht | |
vergessen. Aber auch ihr Ehemann, der SNP-Geschäftsführer Peter Murrell, | |
hat sich in Widersprüche bei seiner Aussage verwickelt, wann, gegenüber wem | |
und auf welchem Weg er juristische und polizeiliche Maßnahmen gegen Salmond | |
gefordert hat. Ein Untersuchungsausschuss unter Vorsitz des früheren | |
irischen Generalstaatsanwalts James Hamilton soll Licht in die ganze | |
Angelegenheit bringen. | |
Respektierte Pandemiemanagerin | |
Die Öffentlichkeit verfolgt das skurrile Schauspiel zunehmend verwirrt. Man | |
wundert sich, dass der Exparteichef, der das Land ganz nahe an die | |
Unabhängigkeit geführt hat, seine Nachfolgerin, die diese Unabhängigkeit | |
nun durchsetzen könnte, der Lüge bezichtigt und dadurch sein Lebenswerk | |
gefährdet. Der Parlamentskodex besagt nämlich: „Minister, die absichtlich | |
das Parlament täuschen, sollen ihren Rücktritt einreichen.“ | |
Noch sitzt Sturgeon fest im Sattel. Selbst die Opposition bescheinigt ihr, | |
Schottland bislang gut durch die Pandemie geführt zu haben. Bei den Wahlen | |
zum Regionalparlament in Edinburgh, die am 6. Mai stattfinden, falls sie | |
nicht wegen Corona verschoben werden müssen, kann die | |
SNP-Minderheitsregierung mit einer absoluten Mehrheit rechnen, was sie als | |
Mandat für ein neues Unabhängigkeitsreferendum interpretieren würde. | |
Das verdankt die SNP neben dem Brexit vor allem dem britischen | |
Premierminister Boris Johnson. Er ist ein Glücksfall für die Partei, weil | |
er mit seinen Äußerungen immer wieder für Verärgerung nördlich der Grenze | |
sorgt. So hat er unter anderem die Einführung des schottischen | |
Regionalparlaments als „Katastrophe“ und als „größten Fehler“ des dam… | |
Premiers Tony Blair bezeichnet. Johnson fuhr am Donnerstag trotz | |
Reiseverbots kurzfristig nach Schottland, um für die Union zu werben. Ein | |
neues Referendum lehnt er ab. | |
Ob er es verhindern kann, wird derzeit vor einem Gericht verhandelt. Die | |
Regierungschefin verlangt von ihren Anhängern vorerst Geduld, auch wenn die | |
Fundamentalisten in der SNP ungeduldig mit den Hufen scharren. Sie wähnen | |
Robert Burns auf ihrer Seite: „Now’s the day and now’s the hour!“, hei�… | |
in seinem Gedicht „Scots Wha Hae“, in dem er den Sieg seiner Landsleute | |
über die Engländer in der Schlacht von Bannockburn vor rund 700 Jahren | |
feiert: „Hier ist der Tag, jetzt die Stunde!“ | |
28 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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