# taz.de -- SPD vor ihrem Parteitag: Die Verwandlung des Kevin Kühnert | |
> Der Leitantrag ist moderat gehalten, die SPD wird wohl für den Verbleib | |
> in der Groko stimmen. Mit Kühnert als Vize. | |
Bild: Plötzlich pragmatisch: Kevin Kühnert | |
Ohne Kevin Kühnert wäre die SPD eine andere. Das ist ein erstaunlicher | |
Satz: Jusochef ist ja wirklich kein einflussreiches Amt. Aber ohne den | |
30-Jährigen hätte die SPD nun eine andere Führung. Denn erst nachdem der | |
Jusochef [1][auf eine eigene Kandidatur gegen Olaf Scholz verzichtet | |
hatte], unterstützten die Jusos mit viel Verve Saskia Esken und Norbert | |
Walter-Borjans. | |
Ohne dieses backing wären die beiden heute nicht designierte Parteichefs. | |
[2][Kühnert verfügt zudem über etwas], das in der politischen Klasse selten | |
ist: rhetorisches Talent und eine Intellektualität, die an Robert Habeck | |
erinnert. Deshalb ist es folgerichtig, dass Kühnert nun Vizeparteichef | |
werden will. Einen Jusochef, [3][der Vize-Parteivorsitzender] wird, gab es | |
noch nie. Aber in der SPD ist gerade nichts so wie immer. | |
Das zweite Erstaunliche: Man kann gerade die Verwandlung des als radikal | |
geltenden Jusos, der 2017 der Antigro-Bewegung in der SPD erst richtig | |
Schwung verlieh, in den stellvertretenden Vorsitzenden der SPD erleben. | |
Kühnert enterte die öffentliche Bühne mit dem Slogan: keine Groko. [4][Nun | |
klingt er deutungsoffen, abwägend, fast diplomatisch]. | |
Einerseits hätte ja die SPD-Basis selbst Ja zur Groko gesagt, andererseits | |
müsse man sehen, was man mit der Union noch zuwege bringen kann. Aber auf | |
keinen Fall dürfe die SPD nur pro forma mit der Union reden und den Bruch | |
unbedingt wollen. Kühnert ist irgendwie noch immer gegen die Groko, aber | |
jetzt, da der Bruch möglich ist, fallen ihm sehr viele Aber ein. | |
Bloß nichts überstürzen. Kühnert schlägt damit den Sound des | |
SPD-Leitantrags an (oder ist es umgekehrt?). Das Himmelsstürmerische, | |
Radikale scheint unmerklich zu verdampfen, Augenmaß, Verantwortungsethik, | |
das Machbare rücken in den Vordergrund. Findet hier statt, wofür die | |
Ex-Jusochefin Andrea Nahles immerhin zwei Jahrzehnte gebraucht hat: die | |
Ersetzung des Oppositionellen, Aufmüpfigen durch Pragmatismus und | |
Machttaktik, das Verschwinden des Prinzipiellen? Geht Kühnert in fast | |
forward den Weg so vieler anderer Jusochefs? | |
Eher nein. Denn der Rahmen ist seit Samstagabend [5][ja völlig anders]. Mit | |
der Wahl der linken Spitze Esken und Walter-Borjans haben sich die | |
Koordinaten, in denen sich die Partei bewegt, komplett verändert. Die SPD | |
darf in dem Spiel um die Große Koalition bei Strafe des Untergangs nicht | |
blindlings auf Raus aus der Groko setzen. Sie muss, falls die Groko | |
zerbricht, einen guten Grund dafür haben. Und der kann nicht sein, dass ein | |
paar Tausend GenossInnen mehr für Esken und Nowabo stimmten als für Scholz | |
und Geywitz. | |
Der Angriff von CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer zielt auf die schwache Stelle | |
der SPD – [6][ihre Zerrissenheit in Sachen Groko]. Ein großer Teil, weit | |
über die Jusos hinaus, hat einfach keine Lust mehr, an der Seite der Union | |
immer kleiner zu werden. Die Durchhalteparolen aus Berlin, das Selbstlob à | |
la: die SPD-MinisterInnen würden den Takt der Koalition bestimmen, klingt | |
in den Ohren vieler, vor allem in NRW, bekannt – und hohl. Denn das | |
fleißige Regieren in Berlin scheint die andere Seite des Verschwindens der | |
SPD – bei Wahlen, aber auch dabei, eine erkennbare eigenständige Kraft zu | |
sein. | |
Doch ein fast ebenso großer Teil, deren lauteste Stimme der | |
niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil ist, will die Groko | |
fortsetzen: wegen der Grundrente und um die auf halber Strecke liegen | |
gebliebene Energiewende umzusetzen. Kramp-Karrenbauers Attacke – | |
[7][Grundrente nur, wenn die SPD sich zur Regierung bekennt] – setzt genau | |
dort an. Sie provoziert die Groko-Skeptiker in der SPD, die das für | |
Erpressung halten. | |
Kühnert und die neue SPD-Spitze scheinen all diese Gefahren zu begreifen – | |
auch welche Risiken schnelle Neuwahlen bedeuten würden. Mit dem moderat | |
gehaltenen Leitantrag, der auf harte Forderungen – wie 12 Euro Mindestlohn | |
sofort oder ein massives Investitionsprogramm sofort – und auch rote Linien | |
für Verhandlungen mit der Union verzichtet, verschaffen sie sich | |
Zeitgewinn. Und sie brauchen Zeit, um zu finden, was der SPD gerade fehlt: | |
eine einleuchtende Begründung, warum sie die Groko verlässt. Oder warum sie | |
in der Groko bleibt. Letzteres ist, wenn man Kühnerts Ausflüge in die Welt | |
der Diplomatie richtig deutet, wahrscheinlicher. | |
4 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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