# taz.de -- Russische Opfer im Ukraine-Krieg: Mehr als 47.000 Soldaten gestorben | |
> Offizielle Angaben zu Opfern in der russischen Armee gibt es nicht. Die | |
> unabhängigen Medien „Meduza“ und „Mediazona“ haben sie nun berechnet. | |
Bild: Ein ukrainischer Soldat feuert in der Region Donezk auf russische Stellun… | |
BERLIN taz | Die Zahl der im Ukraine-Krieg gestorbenen russischen Soldaten | |
liegt offenbar weitaus höher als bekannt. Das zeigt eine gemeinsame | |
Recherche der unabhängigen russischen Medien, [1][Meduza] und | |
[2][Mediazona], die am Montag veröffentlicht wurde. Demnach sind bereits | |
mindestens 50.000 russische Soldaten gestorben. | |
Der staatliche Statistikdienst Rosstat wurde in Russland eingestellt. | |
Offizielle Angaben über Todesopfer in der russischen Armee werden seit | |
September 2022 nicht mehr bekannt. Um mehr Klarheit in dieser dunklen | |
Ziffer zu schaffen, haben Meduza und Mediazona Informationen aus dem | |
sogenannten Register für Erbschaftsfälle untersucht, in dem die | |
Erbschaftsanträge russischer Bürger gesammelt werden. Die Zahl dieser | |
Anträge wurde mit den Sterbezahlen der Vorjahre verglichen, um die | |
sogenannte Übersterblichkeit zu berechnen. | |
Das ist eine Methode, die weltweit auch während der COVID-19-Pandemie | |
verwendet wurde oder [3][zur Berechnung von Hitzetoten]. Gibt es | |
[4][während einer Krankheitswelle unerwartet viele Tote], ist anzunehmen, | |
dass sie dem Erreger erlegen sind. Gibt es während eines Krieges mehr Tote, | |
als aufgrund der Vorjahre erwartbar gewesen wäre, ist anzunehmen, dass sie | |
Opfer des Krieges wurden. So konnten die Todeszahlen berechnet werden. | |
Die Schlussfolgerungen der zwei russischen Medien wurden anschließend durch | |
eine statistische Analyse des unabhängigen Soziologen Dmitriy Kobak | |
überprüft. Kobak forscht in Wahlstatistiken und Übersterblichkeit an der | |
Universität Tübingen. Er legt seinen Berechnungen die offiziellen | |
Mortalitätsdaten für 2022 zugrunde, die ihm von Rosstat auf offizielle | |
Anfrage zur Verfügung gestellt wurden. Beide Teile der Recherche wurden | |
unabhängig voneinander durchgeführt. | |
Informationen über mindestens 27.000 Todesopfer | |
„Es besteht kein Zweifel daran, dass das russische Verteidigungsministerium | |
über genaue Informationen zu den Opfern verfügt“, schreibt Meduza in seiner | |
Recherche. Das letzte Mal hat sich die Behörde am 21. September 2022 dazu | |
geäußert – am Tag der von Putin angeordneten Teilmobilisierung. Damals gab | |
das Ministerium bekannt, dass 5.937 russische Soldaten getötet worden | |
seien. | |
Seitdem war eine von unabhängigen zivilen Freiwilligen in Zusammenarbeit | |
mit Journalisten von Mediazona und dem BBC Russian Service | |
zusammengestellte Datenbank die einzige öffentliche und dennoch | |
zuverlässige Quelle über Todesopfer beim russischen Militär. Dabei handelt | |
es sich um eine Liste verstorbener russischer Soldaten, deren Namen | |
öffentlich wurden – in erster Linie in sozialen Netzwerken, wo Angehörige | |
und Freunde Nachrufe veröffentlichen, aber auch auf Friedhöfen. | |
Diese Datenbank enthält inzwischen Informationen über fast 27.000 Opfer. | |
Allerdings haben viele Familien Angst, etwas über ihre Toten öffentlich zu | |
sagen. Ihnen droht Strafverfolgung durch die Sicherheitsbehörde. Hinzu | |
kommt, dass seit Herbst 2022 ein großer Teil der russischen Kämpfer in | |
Gefangenschaft ist. | |
Nach der Recherche von Meduza und Mediazona im Register für Erbschaftsfälle | |
erschließt sich, dass in den Altersgruppen zwischen 15 und 49 Ende 2022 | |
insgesamt etwa 25.000 mehr männliche Todesfälle verzeichnet wurden, als | |
ohne Krieg erwartbar gewesen wären. Bis zum 27. Mai dieses Jahres liegen | |
Daten vor, und bis dahin beträgt die Gesamtzahl der Todesfälle mindestens | |
47.000. | |
## Kein öffentliches Register für Vermisste in Russland | |
In Russland ist es unmöglich, eine grobe Schätzung der Zahl der im Krieg | |
vermissten Personen zu machen. Im Gegensatz zur Ukraine, wo im Juni dieses | |
Jahres 23.000 vermisste Bürger verzeichnet waren, wurde in der Russischen | |
Föderation kein öffentliches Register der Vermissten eingerichtet. | |
Viele verstorbene russische Militärangehörige, deren Leichen nicht gefunden | |
und/oder der Russischen Föderation übergeben wurden, sind bis vor kurzem | |
fast nie in die zivile Sterblichkeitsstatistik aufgenommen worden. Denn die | |
Standesämter haben keine Bescheinigungen über ihren Tod ausgestellt, | |
Rosstat hat sie nicht in seinen Statistiken gezählt und ihre Spuren sind | |
nicht im Register für Erbschaftsfälle enthalten. Aus diesem Grund fällt es | |
besonders schwer, weitere Informationen über Vermisste, Gefangenen oder | |
Verwundete zu sammeln. | |
Insgesamt dürfte die Zahl der Kriegsopfer in Russland noch deutlich höher | |
liegen als die jetzt von Meduza und Mediazona errechneten 47.000. Laut den | |
beiden Medien „kann man vorsichtig davon ausgehen, dass bis Ende Mai 2023 | |
insgesamt etwa 150.000 Menschen ums Leben gekommen sind“. Diese Zahl | |
umfasst sowohl getötete oder an Verwundungen verstorbene Soldaten als auch | |
solche, die aufgrund von schweren Verwundungen aus der Armee entlassen | |
wurden. Vermisste und gefangene Russen sowie ukrainische Bürger, die in den | |
Einheiten der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk kämpfen, | |
sind in dieser Zahl nicht enthalten. | |
Eine ausführliche Erklärung aller Schritte der jeweiligen Recherchen und | |
die damit verbundenen Problemen und Schwierigkeiten können Sie [5][hier] | |
(russischer Text) oder [6][hier] (englischer Text) lesen. Die detaillierten | |
Grafiken der Recherche von Meduza und Mediazona [7][finden Sie hier] | |
(russischer Text). | |
[8][Meduza] ist eine zweisprachige Internetzeitung mit Sitz in Riga, | |
Lettland, die im Oktober 2014 als Exilmedium gegründet wurde. | |
Mediazona ist ein russisches unabhängiges Medienunternehmen, das sich auf | |
die anti-putinistische Opposition konzentriert. Gegründet wurde die | |
Plattform und von [9][Maria Aljochina] und Nadeschda Tolokonnikowa, | |
Mitbegründer der Protestgruppe und Band Pussy Riot. | |
10 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://meduza.io/feature/2023/07/06/pogibshih-rossiyskih-soldat-preview-8f… | |
[2] https://zona.media/preview/75058 | |
[3] /Uebersterblichkeit-im-Hitzemonat/!5873837 | |
[4] /Uebersterblichkeit-in-Deutschland/!5909707 | |
[5] https://meduza.io/feature/2023/07/06/pogibshih-rossiyskih-soldat-preview-8f… | |
[6] https://meduza.io/en/feature/2023/07/09/bring-out-your-dead-preview-2494133… | |
[7] https://zona.media/preview/75058 | |
[8] /Unser-Fenster-nach-Russland/!t5916992 | |
[9] /Pussy-Riot-Mitglied-entkommt-Hausarrest/!5850252 | |
## AUTOREN | |
Gemma Teres Arilla | |
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