# taz.de -- Rüstungskontrolle und Atomwaffen: Ein Vertrag ohne China | |
> Das Einbeziehen Pekings in die nukleare Rüstungskontrolle ist nicht | |
> realistisch – eine gute Zusammenarbeit von Russland und den USA leider | |
> auch nicht. | |
Bild: Französischer Atomwaffentest 1971. In den USA laufen Debatten, solche Te… | |
Gute Nachrichten: Die beiden nuklearen Supermächte USA und Russland | |
sprechen wieder miteinander über Rüstungskontrolle. Schon allein das ist | |
positiv. Die Ergebnisse des Treffens zwischen dem US-Sonderbeauftragten | |
Marshall Billingslea und dem russischen Vizeaußenminister Sergei Rjabkow | |
[1][Ende Juni in Wien] sind indes unklar. Aber immerhin: Es wurden | |
technische Arbeitsgruppen eingerichtet; es soll eine zweite Gesprächsrunde | |
geben. | |
Gibt dies Anlass zu neuer Hoffnung auf einen Wendepunkt für die | |
Rüstungskontrolle und die Beziehungen zwischen den Großmächten? Bei | |
nüchterner Betrachtung der Ausgangspositionen und dessen, was bisher über | |
die Gespräche bekannt geworden ist, sind leider Zweifel angebracht. | |
Russland dürfte aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage kein Interesse an | |
einem neuen Wettrüsten haben; gleichzeitig wird Präsident Putin jedoch | |
darauf bedacht sein, weiterhin auf Augenhöhe mit den USA zu bleiben. Von | |
besonderer Bedeutung wird dabei die Bewahrung bilateraler strategischer | |
Stabilität durch Gewährleistung der sogenannten Zweitschlagsfähigkeit sein | |
– also der Fähigkeit, auch nach einem erlittenen massiven nuklearen | |
Erstschlag mit dem eigenen Nuklearwaffenpotenzial Vergeltung zu üben und | |
dem Gegner unannehmbaren Schaden zuzufügen. Diese Fähigkeit sieht Russland | |
durch den Aufbau der amerikanischen Raketenabwehr gefährdet; Präsident | |
Trump lehnt jedoch bisher Verhandlungen hierüber strikt ab. | |
Den USA geht es um diese Kernpunkte: Sie wollen China in die Verhandlungen | |
einbeziehen, und sie verlangen Verhandlungen über alle Nuklearwaffen und | |
die Klassifizierungen nach Reichweiten und die Unterscheidung zwischen | |
taktischen und strategischen Waffen, die bei Rüstungskontrollvereinbarungen | |
bislang üblich sind, wollen sie aufheben. Schließlich wollen sie die | |
Kontrollmaßnahmen („Verifikation“) über den bisherigen „New START“-Ve… | |
und die bilateralen amerikanisch-russischen Begrenzungen der | |
Nuklearwaffenpotenziale verbessern. | |
## USA und Russland wollen China dabeihaben | |
Sowohl Russland als auch die USA dürften ein großes Interesse an einer | |
Teilnahme Chinas an Verhandlungen haben. Dies wäre nicht nur angesichts der | |
zunehmend aggressiveren, die internationale Stabilität untergrabenden | |
Außenpolitik Chinas zu wünschen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat | |
darauf aufmerksam gemacht, dass China beträchtlich militärisch aufrüstet – | |
es steht bei den Militärausgaben inzwischen weltweit hinter den USA an | |
zweiter Stelle – und es in seiner Verantwortung als Militärmacht mit | |
globalem Anspruch und globaler Reichweite seiner Waffensysteme liege, sich | |
rüstungskontrollpolitisch zu engagieren. | |
China hatte jedoch umgehend nach Ankündigung des Treffens in Wien eine | |
Teilnahme ausgeschlossen. Diese Absage kommt nicht überraschend: China hat | |
sich in der Vergangenheit einer Einbeziehung unter Verweis auf sein relativ | |
kleines Potenzial – über 320 nukleare Sprengköpfe, während die USA über | |
5.800 und Russland über 6.375 zählen – stets verweigert und gefordert, dass | |
zunächst Russland und die USA auf Chinas Niveau abrüsten müssten. | |
Absehbar wird die Volksrepublik bei ihrer ablehnenden Haltung bleiben. | |
Zudem stellt sich mit dem Ruf nach einer Beteiligung Chinas ein | |
konzeptionelles Problem: Was kann ein tragfähiges Ergebnis für trilaterale | |
Verhandlungen sein? Der numerische Gleichstand der Potenziale war immer der | |
Maßstab für die Rüstungskontrollvereinbarungen zwischen den USA und | |
Russland. Dieser scheidet bei Beteiligung Chinas jedoch aus – eine | |
Reduzierung auf Chinas Niveau dürfte weder für die USA noch für Russland | |
akzeptabel sein. Zudem hat China keine Tradition der Offenheit und | |
Transparenz über seine militärischen Potenziale. | |
## Verlängerung des jetzigen Vertrags wäre eine Lösung | |
Davon abgesehen ist es völlig unrealistisch, in kurzer Frist ein so | |
ambitioniertes Abkommen zu erreichen, wie es offenbar den USA vorschwebt. | |
Erste greifbare Zwischenergebnisse noch vor Auslaufen des „New | |
START“-Vertrags im Februar 2021 dürften unmöglich sein. Damit stellt sich | |
die Frage nach der Verlängerung des Vertrags – dieser Schritt schließt ja | |
nicht aus, dass sich die Parteien noch vor Ablauf der Verlängerungsfrist | |
von fünf Jahren auf weitergehende Vereinbarungen einigen. | |
Die Vertragsverlängerung könnte ein wichtiges und vorzeigbares Ergebnis der | |
bilateralen amerikanisch-russischen Bemühungen sein. Russland hat sich dazu | |
bereit erklärt, die US-Regierung hält sich hierzu bisher jedoch noch | |
bedeckt. Eine Verlängerung des „New START“-Vertrags wäre auch deshalb | |
wichtig, weil damit ein bedeutsames Signal für die Anfang nächsten Jahres | |
anstehende Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag – der zentralen | |
internationalen Norm für nukleare Abrüstung – gesetzt würde. Dies gilt | |
besonders vor dem Hintergrund des bei der überwältigenden Mehrheit der | |
Vertragsstaaten bestehenden Eindrucks, dass die Nuklearwaffenstaaten ihrer | |
Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung nicht nachkommen. | |
Es ist verfrüht, aus dem amerikanisch-russischen Treffen in Wien definitive | |
Schlüsse zu ziehen. Dennoch dürfte es weder einen Wendepunkt für das | |
amerikanisch-russische Verhältnis noch ein Abrücken der Trump-Regierung von | |
ihrer Strategie bedeuten, sich durch ein „Abräumen“ | |
rüstungskontrollpolitischer Vereinbarungen militärische Handlungsfreiheit | |
zu verschaffen. Die aktuellen Debatten in den USA über eine Wiederaufnahme | |
von Nukleartests und die Entscheidung des Verteidigungsausschusses des | |
US-Senats, in den Verteidigungshaushalt von 2021 10 Millionen Dollar für | |
die mögliche Durchführung eines Tests einzustellen, sind ominöse | |
Vorzeichen. | |
Bisher spricht leider nichts für den Beginn einer neuen Ära pragmatischer | |
und verantwortungsvoller Zusammenarbeit der Großmächte. Aber es gibt keinen | |
Grund, sich mit der Situation und der Fortsetzung oder gar Verschärfung des | |
nuklearen Wettrüstens abzufinden. | |
21 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Sipri-Jahresbericht-zu-Ruestungsausgaben/!5689537 | |
## AUTOREN | |
Rüdiger Lüdeking | |
## TAGS | |
Atommacht | |
China | |
Nuklearwaffen | |
China | |
Waffenhandel | |
Rüstungskontrolle | |
Atommüllentsorgung | |
Rolf Mützenich | |
Rüstungspolitik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Konflikt zwischen Großmächten: USA schließen chinesisches Konsulat | |
Chinas Vergeltung auf die Eskalation aus Washington ist nur eine Frage der | |
Zeit. Derweil steigen Rauchfahnen aus dem Hof des Konsulats auf. | |
Sipri-Jahresbericht zu Rüstungsausgaben: Explosive Grundstimmung | |
Steigende Rüstungsausgaben, fehlende Verhandlungen: Das | |
Friedensforschungsinstitut Sipri sieht die internationale Sicherheit in | |
Gefahr. | |
US-Rückzug aus „Open Skies“-Abkommen: Haltet Russland im Vertrag | |
Der Rückzug der USA aus „Open Skies“ ist ein schwerer Schlag für die | |
Rüstungskontrolle. Europa ist gefordert. | |
Atomkraft in Japan: Japans irrsinnige Atompolitik | |
In Rokkasho soll eine Wiederaufbereitungsanlage für Plutonium in Betrieb | |
gehen. Doch der dazugehörige Brennstoffkreislauf ist längst Fiktion. | |
Grüne über Atomwaffen in Deutschland: „Wie aus dem Kalten Krieg“ | |
Die Groko streitet über US-Atomwaffen, die in Deutschland stationiert sind. | |
Auch die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger fordert deren Abzug. | |
Trump und die Rüstungspolitik: Ein Präsident mit Sprengkraft | |
Donald Trump macht internationale Politik so wie Geschäfte: Der Stärkere | |
soll sich durchsetzen. Opfer sind die Rüstungskontrolle und das humanitäre | |
Völkerrecht. |