# taz.de -- Rüstungsforscher über US-Militärhaushalt: "Die Kriegslobby ist s… | |
> Die Verschuldung lässt den Militärhaushalt der USA schrumpfen. Trotzdem | |
> hält Obama an der Idee fest, überall intervenieren können zu müssen, sagt | |
> William D. Hartung. | |
Bild: "Agil und flexibel" soll das US-Militär laut Obama sein. | |
taz: Herr Hartung, die Worte "Feind" und "Krieg" sind zentrale Bestandteile | |
der politischen Debatte in Washington. Wie erklären Sie sich das? | |
William D. Hartung: Kein anderes Land auf der Welt sagt: Wir müssen in der | |
Lage sein, zwei Kriege gleichzeitig zu kämpfen. In Washington ist das eine | |
akzeptierte Äußerung. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben viele | |
Neokonservative und Triumphalisten gesagt: Die USA werden jetzt die | |
mächtigste Nation seit Rom. Das ist beinahe eine imperiale Geisteshaltung. | |
Haben die Neokonservativen denn tatsächlich recht behalten? | |
Was in Irak und Afghanistan passiert ist, hat die USA geschwächt. Der Irak | |
taumelt am Rand des Abgrunds. Und es ist unklar, ob er eine reale | |
Demokratie wird. Ganz abgesehen davon, dass der Krieg unter falschen | |
Voraussetzungen begonnen wurde. Und in Afghanistan gibt es keine Garantie, | |
dass die Dinge dramatisch besser werden, wenn die USA abziehen. | |
Welche Rolle spielt die wirtschaftliche Krise bei dem Reden von Krieg? | |
Viele Menschen in den USA haben das Gefühl, dass die Dinge in die falsche | |
Richtung gehen. Sie glauben, dass das Militärische das ist, was wir am | |
besten können. Und dass es die Position der USA in der Welt verbessert. | |
Manche gehen damit um wie mit einer Sport-Metapher. Sie wollen Teil eines | |
Winning Teams sein. | |
Beunruhigt Sie das? | |
Nach zwei spektakulär erfolglosen Kriegen würde ich gern mehr | |
Neubewertungen hören, wie sich die USA zum Rest der Welt verhalten. | |
Finden Sie in der neuen Militärstrategie von Präsident Obama eine solche | |
neue Ausrichtung? | |
Er hat einige Reformideen aufgegriffen. So will er keine großen Bodenkriege | |
wie in Irak und Afghanistan mehr. Er setzt auf die Diplomatie und die | |
Stärkung der heimischen Wirtschaft. Aber die Schattenseite ist, dass er an | |
der Idee festhält, dass die USA die Fähigkeit behalten müssen, fast überall | |
in der Welt zu intervenieren. | |
Wohin sollte die Neubewertung gehen? | |
Zu einer sehr viel stärkeren Reduzierung der Streitkräfte. Zur Schließung | |
einiger überseeischer Stützpunkte. Und zu der Bestätigung, dass die USA | |
nicht unbedingt in der Lage sein müssen, jede beliebige Schlacht in der | |
Welt zu kämpfen. Zu etwas mehr Bescheidenheit, zu der Einsicht, dass die | |
USA nur ein Akteur unter vielen sind. Und Obama sollte einsehen, dass mehr | |
Konsensfindung nötig ist und die Entwicklungszusammenarbeit gestärkt werden | |
sollte. | |
Können mit der neuen Militärstrategie mehr Kriege gleichzeitig geführt | |
werden als bisher? | |
Ja. Denn wenn die großen Konflikte mit 50.000 bis 100.000 beteiligten | |
Soldaten enden, stehen mehr Ressourcen für kleinere Einsätze zur Verfügung. | |
Schon in der jüngeren Vergangenheit waren wir nicht nur in Irak und in | |
Afghanistan, sondern auch in Pakistan, in Jemen, in Somalia, in Uganda. | |
Jetzt reden wir von einer relativ kleinen Entsendung in den Südsudan. | |
Welche Konsequenzen hat die neue Strategie für den | |
militärisch-industriellen Komplex der USA? | |
Da gibt es Widersprüche. Finanziell wird die Veränderung nicht besonders | |
groß. Über einen Zeitraum von zehn Jahren werden die Militärausgaben mit | |
dem Vorschlag Obamas ungefähr um acht Prozent sinken. Damit werden die USA | |
immer noch sehr weit über dem Niveau des Kalten Kriegs liegen und etwa auf | |
der Höhe der Ausgaben unter George W. Bush. Für die Rüstungsunternehmer und | |
die Streitkräfte wird also immer noch sehr viel Geld da sein. | |
Warum jammern die Rüstungshersteller dann? | |
Weil sie in ihren Plänen von einem kontinuierlichen Haushaltsanstieg | |
ausgegangen sind. Jetzt müssen sie einige Anpassungen machen. | |
Möglicherweise müssen sie die Entwicklung eines neuen Atombombers - eines | |
Nachfolgers für die B2-Flieger, für den es noch keinen Namen gibt - und | |
eines neuen Flugzeugträgers verschieben. Auch die Produktion des | |
Kampffliegers F35 könnte sich verlangsamen - unter anderem wegen seiner | |
Kosten. Möglicherweise wird sich auch die Entwicklung von neuen Fahrzeugen | |
für die Armee verzögern. Aber zugleich werden die Budgets für andere | |
Bereiche wachsen. Zum Beispiel für den Cyberkrieg, wonach sich so viele | |
Unternehmen drängeln. Die Industrie ist nicht so hart betroffen wie sie | |
jetzt glauben macht. Und die Industrie schlägt zurück. Sie hat eine starke | |
Lobby. | |
Wie viele Menschen arbeiten in dem militärisch-industriellen Komplex und | |
wie sind sie von Kürzungen betroffen? | |
Ich schätze die Zahl auf zwischen fünf und sechs Millionen in den | |
Streitkräften, ihren Reserven und der Industrie. Die Kürzungen werden | |
Arbeiter treffen. Mit sinkender Truppenzahl werden auch mehr Leute Jobs in | |
der regulären Wirtschaft suchen. Die Alternative wäre, in anderen Bereichen | |
zu kürzen - etwa bei der Bildung oder der Infrastruktur. | |
Wollen die USA ihre internationale Militärkooperation ändern? | |
Die USA werden künftig mehr Zusammenarbeit bei spezifischen Konflikten | |
verlangen. Vor allem bei Militäraktionen in gewissen Regionen, wie bei dem | |
Krieg in Libyen. | |
War Libyen eine Art Generalprobe für die neue Strategie? | |
Es entsprach auf jeden Fall mehreren Anforderungen des neuen Ansatzes: | |
Keine Truppen am Boden und die USA sind nicht immer der Anführer. | |
Warum behalten die USA überhaupt Militärbasen in Europa? | |
Um näher an potenziellen Konfliktzonen im Nahen Osten und in Nordafrika zu | |
sein. | |
Der neue Schwenk des US-Militärs geht nach China. Ist das der Anfang eines | |
neuen Kalten Kriegs? | |
In Washington wird viel über die Stärkung der chinesischen Kriegsmarine | |
gesprochen und darüber, dass die USA darauf mit mehr Präsenz reagieren | |
müssten. Das hat Elemente von Kaltem Krieg. Aber so weit sind wir noch | |
nicht. Die wirtschaftlichen Beziehungen und beiderseitigen ökonomischen | |
Abhängigkeiten sind etwas anderes. Mit der Sowjetunion gab es einen | |
gewissen Handel mit Landwirtschaftsprodukten. Aber die Beziehung war nicht | |
annähernd so eng wie mit China. Heute verkaufen Unternehmen wie Boeing | |
große Mengen von Flugzeugen an China. | |
Wer sind die treibenden Kräfte hinter der US-Aufrüstung im Pazifik? | |
Ex-US-Militär-Befehlshaber aus der Region sind weniger streitlustig als | |
manche zivile Politiker. Die wollen, dass die USA eine Supermacht bleiben | |
und fühlen sich durch China bedroht. | |
Wie wichtig ist militärische Stärke für eine Supermacht? | |
Der Wettkampf wird vor allem ökonomisch sein. Die USA stecken zu viele | |
Ressourcen in die konventionelle militärische Eindämmungspolitik. Das wird | |
den US-Einfluss eher untergraben, als ihn zu vergrößern. | |
Und was würde passieren, wenn die USA nicht mehr Weltpolizist wären? | |
Es mag Fälle geben, wo regionale Konflikte aus dem Ruder laufen. Aber die | |
andere Seite ist, dass eine Menge Konflikte überhaupt erst wegen der | |
globalen Rolle der USA stattfinden. | |
Welche? | |
Der Irak. Teilweise auch Afghanistan, wegen des Ansatzes über eine breit | |
angelegte Bekämpfung von Aufständischen, anstatt zu den Basen von al-Qaida | |
zu gehen. Insgesamt wäre die Welt wahrscheinlich friedlicher. Das Problem | |
ist bloß, wie man mit Konflikten umgeht. Denn die USA sind nicht das | |
einzige Land mit interventionistischen Kapazitäten. Auch wenn die anderen | |
stärker auf ihre Regionen beschränkt sind. | |
In der Washingtoner Kritik an Obamas Militärstrategie ist viel von | |
kommenden Konflikten die Rede. Sehen Sie die auch? | |
Der Chef des Streitkräftekomitees im Repräsentantenhaus sagt, dass wir mit | |
der neuen Strategie nicht in der Lage wären, gleichzeitig Kriege in | |
Nordkorea und Iran zu führen. Ich kann mir keine Umstände ausmalen, wo | |
Bodenkriege irgendwie Sinn ergeben würden. Zwar kann es sein, dass Pakistan | |
sich zu einem Bürgerkriegsland entwickelt. Aber eine starke militärische | |
US-Präsenz würde die innenpolitische Lage womöglich entgegen den | |
US-Interessen verändern. | |
Betrachten Sie den Iran als Bedrohung? | |
Ja. Aber für die Region. Ich sehe nicht, dass der Iran eine direkte | |
Bedrohung für die USA wäre. Und selbst wenn er Atomwaffen hätte, würde er | |
sie wahrscheinlich nicht einsetzen, sondern als politischen Hebel nutzen | |
und als Schutzschild gegen potenzielle Interventionen. Aus der Perspektive | |
Israels verstehe ich zwar, dass es eine direktere Angelegenheit ist. Aber | |
Israel hat selbst Atomwaffen. Es gibt viele Gründe, weshalb eine atomare | |
Bewaffnung beunruhigend ist. Sie kann andere Länder in der Region anregen, | |
sich Atomwaffen zu beschaffen. Aber in den USA wird die Bedrohung | |
signifikant überbewertet. | |
Wie real sind die Kriegsvorbereitungen von Washington gegen Teheran? | |
Wir befinden uns an einem heiklen Wendepunkt. Es gibt viel Rhetorik, es | |
gibt politische Agitation bei den Republikanern. Verteidigungsminister Leon | |
Panetta sagt, wir erlauben dem Iran nicht, Atomwaffen zu haben. Der enge | |
Alliierte Israel redet über Militärschläge. Und der Chef der | |
US-Streitkräfte hat den Job, einen Plan für den Fall einer Intervention im | |
Iran zu erstellen. Die Gefahr, dass diese Rhetorik außer Kontrolle gerät, | |
besteht. Ich glaube nicht, dass es passiert, aber es ist nicht | |
ausgeschlossen. In jedem Fall wäre es eine katastrophale Entscheidung. | |
Was würde sich an der Militärstrategie der USA unter einem Präsidenten Mitt | |
Romney verändern? | |
Romney würde sehr viel mehr Geld ausgeben. Er hat gesagt, dass er das | |
Militärbudget bei mindestens 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts halten | |
will, das sind rund 600 Milliarden Dollar im Jahr. Romney hat aber nicht | |
erklärt, wie er das finanzieren will. Seine Rhetorik ist jedenfalls | |
streitlustiger. Einiges davon mag aber einem Zweckdenken entspringen. Seine | |
Basis möchte das hören. | |
18 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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