# taz.de -- Getötete Franzosen in Afghanistan: Der plötzliche Feind im Freund | |
> Wieder hat ein afghanischer Soldat plötzlich auf Isaf-Kollegen | |
> geschossen. Ursache dieser sich häufenden Fälle: Traumatisierung und | |
> gegenseitiges Misstrauen. | |
Bild: Die ersten französischen Soldaten bereiten sich auf ihren Abflug vor. | |
BERLIN taz | Frankreich hat sein Trainingsprogramm für afghanische | |
Streitkräfte vorläufig eingestellt. Das gab Präsident Nicolas Sarkozy am | |
Freitag bekannt, nachdem zuvor in der Provinz Kapisa ein afghanischer | |
Offizier nach einem "Wortgefecht" vier französische Soldaten erschoss und | |
mehrere verwundete. | |
Ähnliche Vorfälle hatten zuletzt wieder zugenommen. Am 29. Dezember und 8. | |
Januar erschossen afghanische Soldaten in derselben Provinz drei | |
französische Fremdenlegionäre. Ebenfalls im Januar tötete ein Afghane einen | |
US-Soldaten während eines Volleyballspiels in der Provinz Zabul. Im Februar | |
2011 tötete ein afghanischer Soldat in der Provinz Baghlan zwei | |
Bundeswehrsoldaten und verwundete acht. | |
Im bisher schwerwiegendsten Fall erschoss ein afghanischer Oberst im | |
letzten April im Kommandozentrum des Militärflughafens Kabul neun | |
Amerikaner und zwei Afghanen. Der Untersuchungsbericht darüber gelangte | |
erst am Mittwoch in die Medien: keine klaren Motive, Tat eines | |
Einzelgängers - also keine Verbindung zu den Taliban. Der Täter habe | |
"möglicherweise" unter Geisteskrankheit gelitten. | |
Die Statistik solcher Vorfälle hält Isaf zurück. Im letzten Frühjahr | |
tauchte kurz ein Bericht im Internet auf, den US-Sozialwissenschaftler für | |
das Isaf-Regionalkommando Ost erstellt hatten. Er zählt mindestens 26 | |
Angriffe von Mai 2007 bis Mai 2011 mit 58 Toten - 6 Prozent aller | |
Isaf-Verluste in dieser Zeit. Nachdem Medien den Bericht aufgriffen, wurde | |
er als geheim eingestuft, wohl auch, weil sein Fazit - es bestehe eine | |
"rapide wachsende systematische Gefahr" solcher Angriffe - zu weit geht. | |
## "Keine Anzeichen" dass die Taliban "infiltrieren" | |
In der Tat übernahmen die Taliban nur für einen kleineren Teil die | |
Verantwortung. Erst am Montag sagte ein Isaf-Sprecher in Kabul, es gebe | |
"keine Anzeichen", dass die Taliban "die afghanischen Streitkräfte | |
ernsthaft infiltrieren". Sicherlich haben die Nato-Staaten kein Interesse, | |
ein Kernstück ihrer Strategie der Verantwortungsübergabe bis Ende 2014 an | |
die Karsai-Regierung in Frage zu stellen, also Aufbau und Ausbildung | |
afghanischer Streitkräfte. Doch dürften noch andere Faktoren wichtig sein. | |
Laut Weltgesundheitsorganisation leidet "eine Mehrheit" aller Afghanen an | |
Depressionen, Angstzuständen und "fast die Hälfte" an posttraumatischen | |
Belastungsstörungen - somit auch Polizisten und Soldaten. Der bereits | |
zitierte Bericht nennt auch tiefsitzende Animositäten zwischen afghanischen | |
und Isaf-Militärs sowie tiefes Misstrauen zwischen Zivilisten und Isaf. | |
Afghanische Offiziere werfen Amerikanern vor, "rüde, arrogant und | |
beleidigend" zu sein. | |
Die letzten Vorfälle kommen zudem nur kurz nach Auftauchen eines Videos, in | |
dem US-Soldaten auf getötete Taliban urinieren, sowie nachdem das Londoner | |
Verteidigungsministerium bestätigte, dass zwei britische Soldaten wegen des | |
Verdachts der sexuellen Nötigung afghanischer Kinder festgenommen worden | |
seien. Auch töten US-Truppen immer wieder "versehentlich" afghanische | |
Verbündete und Zivilisten. | |
20 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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