| # taz.de -- Rückzug von Robert Habeck: Der Erklärbär geht | |
| > Habeck war der einzige deutsche Politiker mit Popstarqualitäten. Er war | |
| > selbstverliebt und lässig. Jetzt geht er – und sagt dabei ein bisschen zu | |
| > oft „ich“. | |
| Bild: Er war Grünen-Chef und Vizekanzler: Robert Habeck wenige Tage bevor er b… | |
| Robert Habeck verlässt den Bundestag und geht erst mal ins Ausland. Er war | |
| der Günter Netzer der bundesdeutschen Politik – das schlampige Genie, | |
| immer mit dem Blick für den ganzen Platz, mit dem Hemd über der Hose und | |
| überschaubarer Lust zu rennen. Einer, der gescheit reden konnte, aber die | |
| wichtigen Zahlen nicht immer parat hatte. | |
| Habeck war der einzige bundesdeutsche Politiker in den letzten Jahren mit | |
| Popstarqualitäten. Mit großem Ego und performativen Fähigkeiten. Manchmal | |
| verabschiedete er sich von der Bühne mit einer Art Verbeugung wie eine | |
| Diva. Die genau kalkulierte Selbstinszenierung, die Fähigkeit, für andere | |
| etwas symbolisieren zu können, ist für Popstars das Entscheidende. | |
| Robert Habeck hat die Grünen sieben Jahre lang geprägt. Am Montag hat er | |
| [1][seinen Abschied aus der Politik in der taz verkündet]. In den ersten | |
| drei Sätzen des taz-Interviews sagt er siebenmal „ich“. Das ist auch für | |
| jemand, der sich selbst für bedeutend hält, eher viel. In einem recht | |
| kurzen Instagram-Video, worin Habeck seinen Abschied erklärt, sagt er | |
| ganze 45-mal „ich“. | |
| Und macht eine verblüffende Ansage an die Hunderttausenden, die ihn per | |
| Mail und Petition aufgefordert hatten, in der deutschen Politik zu bleiben. | |
| Um deren Erwartungen zu erfüllen, „muss ich das Unerwartete tun“, sagt er. | |
| Soll heißen: Ihr wollt, dass ich bleibe, aber ich gehe und erfülle damit | |
| das, was ihr wollt. Das ist ein rhetorischer Taschenspielertrick, mit dem | |
| Eltern abends die Kinder ins Bett zu schicken versuchen. | |
| ## Das Habeck'sche Mega-Ich | |
| Egomanen sind oft verhärtet. Habeck ist das null. Er hat eine Art lässige | |
| Selbstverliebtheit etabliert, verbunden mit einer in Dauerschleife | |
| laufenden Selbstreflexion samt mitunter koketter Fehlerkultur. Und | |
| Selbstironie. „Ich will nicht als Gespenst durch die Flure des Bundestages | |
| laufen“, sagt er. | |
| Dieses Habeck’sche Mega-Ich, das manchen gehörig auf die Nerven geht, ist | |
| kein individueller Defekt, sondern eine Déformation professionnelle. Für | |
| Politiker ist robuste Selbstüberschätzung überaus nützlich – denn sie | |
| schützt davor, im ersten Shitstorm und nach der ersten Niederlage in einem | |
| Strudel aus Selbstzweifeln zu versinken. | |
| Robert Habeck ist der politische Typus der Post-Volksparteien-Zeit. In der | |
| Bundesrepublik gab es lange ein solides, fest verschweißtes politisches | |
| System mit zwei Parteien im Zentrum. Es gab viele Parteisoldaten und eine | |
| begrenzte Zahl von Solisten und Vordenkern. Intellektuelle, die Germanistik | |
| studiert hatten und gleichzeitig Vizekanzler wurden, waren nicht | |
| vorgesehen. | |
| Diese Volksparteikultur mit ihren Rhetoriken und Ritualen zerbröckelt | |
| langsam. Damit ändert sich auch das Profil der Anforderungen an Politiker. | |
| In der Ära der Volksparteien war die Hartwährung im politischen Geschäft, | |
| Seilschaften zu knüpfen und innerparteiliche Loyalitäten herzustellen. Wenn | |
| man auch noch klug und charmant war und elegant reden konnte, war das der | |
| Bonustrack. | |
| Beim Post-Volkspartei-Typus, den Habeck idealtypisch verkörpert, ist es | |
| genau umgekehrt: Das Ich, das nach außen schillernd performt, anregt, | |
| Visionen entwirft, ist die Hartwährung. Seilschaften nach innen zu bilden, | |
| ist irgendwie auch wichtig. Es war kein Zufall, dass Habeck keine | |
| Parteikarriere geplant hatte und irgendwie in die Politik gepurzelt ist. Es | |
| war kein Zufall, dass er 2021 den Kampf um die Kanzlerkandidatur gegen | |
| Annalena Baerbock verlor, die besser in Seilschaften war. Das war schade. | |
| Mit ihm hätten die Grünen vielleicht die Wahl gewonnen. | |
| Habeck hat die leere Sprache der politischen Apparate, in der dauernd | |
| „Verantwortung übernommen“ und „Zukunft gestaltet“ wird, nonchalant hi… | |
| sich gelassen. Das passte in die Zeit. Denn eine individualisierte, | |
| diskursiv anspruchsvolle Gesellschaft reagiert nicht mehr auf Machtworte | |
| oder Leerformeln. Sie will umworben, ernst genommen und überzeugt werden. | |
| Kurzum, das Modell Habeck war das perfekte Politangebot für uns, die | |
| gebildeten Egoisten mit schlechtem Gewissen, die mehr als nur ahnen, dass | |
| unsere Art zu leben die Erde ruiniert. Er hat mit schwebender | |
| Freundlichkeit und unaufdringlicher Intellektualität all die linksliberalen | |
| Werte verkörpert und Codes bedient, die wir schätzen. Er war klug, smart – | |
| und entnervt, wenn die Debatten (wie früher in der WG, im hierarchiearmen | |
| Job, auf dem Parteitag) wieder mal dauerten. | |
| Und er war ein anderer Typ Mann – attraktiv für Frauen und ein rotes Tuch | |
| für manche oldschool Machos. „Kinderbuchautor“, ätzte Markus Söder, | |
| „Wuschelbär“ nannte ihn Merz. Das sollte heißen: nicht hart genug für die | |
| echte Welt, in der echte Männer wie Söder und Merz das Sagen haben. In | |
| dieser wütenden Kritik steckte viel verunsicherte Männlichkeit. | |
| Robert Habeck war der Gegenentwurf zu den autoritären Machern, die früher | |
| die Republik regierten. Er war die Alternativversion eines Machtpolitikers. | |
| Ist er gescheitert? Habeck hat in der Ampel die zum Stillstand gekommene | |
| Energiewende wieder angekurbelt. Eine Regierung ohne Grüne hätte das nicht | |
| getan. Das steht auf der Habenseite. Es spricht viel dafür, dass, wie nach | |
| dem rot-grünen Ende 2005, die Union diesen Impuls unwillig verwalten wird – | |
| aber nicht abwürgen kann. | |
| Zudem steht auf der Habenseite von Wirtschaftsminister Habeck, dass er nach | |
| Putins Überfall auf die Ukraine die grünen Ziele in den Hintergrund räumte | |
| und (sieht man von der Gasumlage ab) zielstrebig und fehlerarm mit | |
| LNG-Terminals und Gasdeals die Schäden der deutschen Abhängigkeit von | |
| Russland reparieren half. Wenn man sich die CDU-Laientruppe um Carsten | |
| Linnemann anschaut, kann man zweifeln, ob sie in der Lage wäre, auf | |
| Katastrophen so schnell, pragmatisch und entschlossen zu reagieren. | |
| Gescheitert ist der grüne Kurs, den Habeck nicht erfunden, aber | |
| perfektioniert und dogmatisiert hat. Die Grünen sollten [2][in der Mitte | |
| Bündnisse mit den Eliten schließen] und eine sanfte klimaneutrale | |
| Ökologisierung anstoßen, möglichst ohne Zumutungen. Das hat zwar auch der | |
| linke Flügel der Grünen schon vor längerer Zeit akzeptiert. Aber niemand | |
| konnte den ideellen Überbau dieses machtpolitischen Moves so eloquent und | |
| wortreich begründen wie Habeck. | |
| Dieser schwarz-grüne Traum (die Ampel war nur Ersatz) ist nicht am | |
| ungehobelten Gepolter von Markus Söder gescheitert. In Zeiten des | |
| rechtspopulistischen Vormarschs ist die Koalition der Operngänger nicht | |
| besonders angesagt. Habeck aber hat die Union [3][im Wahlkampf 2025] noch | |
| gestalkt, als Merz [4][mit der AfD zum Thema Migration gemeinsam | |
| abstimmte]. Hunderttausende ehemalige Grünen-WählerInnen machten danach ihr | |
| Kreuz lieber bei der Linkspartei. | |
| Habeck begründete seinen Rückzug nun in der taz mit dem Befund, dass die | |
| Mitte, der Fixstern seines politischen Denkens, zerfalle. Als | |
| Wirtschaftsminister habe er verstehen müssen, dass „die Gesellschaft | |
| vielleicht gar keine Mitte hat, sondern nur lauter Gruppen, die ihre | |
| materiellen Interessen über das Gemeinsame stellen“. | |
| In diesem Bild sind die Grünen die idealistischen Sachwalter des | |
| Gemeinwohls, die hilflos mitansehen müssen, wie Interessengruppen aus | |
| niedrigen Motiven ihre Konzepte ruinieren. Das ist für einen, der als | |
| ausgebuffter Realo gilt, ein verblüffender, ja naiver Satz. Im politischen | |
| Geschäft gelten Interessen mehr als die Kraft des besseren Arguments und | |
| Habermas’ Diskursethik? Willkommen in der Realität. | |
| Vielleicht war Habeck mit seiner Fixierung auf die rechte Mitte zu viel | |
| Realo. Doch gleichzeitig war er es auch zu wenig. Das legt das | |
| Heizungsgesetz nahe, seine größte Niederlage. Die Grünen sahen sich dabei | |
| mit einer Kampfformation aus fossiler Lobby, Springer-Presse, AfD und | |
| illoyalen Ampelkoalitionspartnern konfrontiert. Und gaben die Losung aus: | |
| Durchhalten. Wie beim Ausstieg aus der Atomkraft, wie beim Einstieg in die | |
| Erneuerbaren. Bloß nicht umfallen. | |
| Doch was beim AKW-Ausstieg richtig war, war beim Heizungsgesetz falsch. Die | |
| Abgeordneten von SPD und FDP kamen aus ihren Wahlkreisen nach Berlin zurück | |
| und berichteten von empörten Älteren, die um Heizung oder Haus fürchteten. | |
| Die grünen Abgeordneten kamen nach Berlin, berichteten von zufriedenen | |
| Hausbesitzern mit Wärmepumpe und hielten panische Rentner für eine | |
| Erfindung der Bild-Zeitung. Die Habeck-Grünen fühlten sich schon als neue | |
| Volkspartei. Das war eine gefährliche Illusion. Denn sie waren und sind | |
| eine Milieupartei. Beim Heizungsgesetz fehlten ihnen die gesellschaftlichen | |
| Echokammern. Deshalb begriffen sie nicht, wo die Grenze für ökologische | |
| Modernisierung in einer alternden Gesellschaft verläuft. | |
| Wie geht es ohne den Chef weiter? Die Post-Habeck-Grünen sollten die | |
| starre parteitaktische Fesslung an die Mitte lockern und unverbindlich | |
| auch mal schauen, was sich links so tut. In der Mitte wartet sowieso gerade | |
| niemand auf sie. Andererseits könnten sie den messianischen Anspruch, nur | |
| sie könnten Welt und Demokratie retten, etwas herunterdimmen. | |
| Man müsse manchmal eine Tür zuziehen, damit eine neue aufgehe, sagt Habeck. | |
| Und geht. Es gibt aber auch Drehtüren. Wir könnten ihn brauchen. | |
| Bescheidener und mit ein paar Dutzend „ich“ weniger. | |
| 29 Aug 2025 | |
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| Stefan Reinecke | |
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