# taz.de -- Rückzug aus der Politik wegen Rassismus: Die gläserne Decke | |
> Was ist uns eine plurale Gesellschaft wert, die sich auch in der Politik | |
> abbildet? Der Fall Tareq Alaows zeigt: Zuschauen und freuen reicht nicht. | |
Bild: Für viele Menschen gefühlt unerreichbar: Sitze im Bundestag in Berlin | |
Was wäre das für eine tolle Nachricht im September gewesen: „Erster | |
syrischer Geflüchteter zieht in den deutschen Bundestag ein.“ Wir Deutschen | |
hätten uns gegenseitig dafür auf die Schulter geklopft, wie weltoffen und | |
tolerant wir doch sind. Was wir seit Sommer 2015 alles erreicht haben, | |
gelebte Willkommenskultur eben. Doch das fällt aus. [1][Der | |
Grünen-Politiker Tareq Alaows hat seine Kandidatur am Dienstag | |
zurückgezogen]. | |
Der 31-Jährige wollte für den Wahlkreis Oberhausen und Dinslaken (NRW) | |
kandidieren und sich dort für eine humanere Asyl- und Migrationspolitik | |
einsetzen. Seinen Rückzug begründet er damit, dass er und ihm nahestehende | |
Menschen stark bedroht würden.. In der [2][Pressemitteilung des grünen | |
Ortsverbandes] spricht Alaows von massiven Rassismuserfahrungen, die er | |
seit seiner Kandidatur gemacht habe, und von einem Mangel an | |
diskriminierungsfreien Räumen in Parteien, Politik und Gesellschaft. | |
Wie frei und demokratisch ist also ein Land, in dem Rassismus darüber | |
entscheidet, wer für politische Ämter kandidieren kann und wer nicht? | |
Alaows Erfahrungen und die Konsequenzen, die er daraus zieht, sind kein | |
Einzelfall. Im vergangenen Jahr zog Ş[3][ener Şahin (CSU) aufgrund | |
rassistischer Anfeindungen] aus der eigenen Partei seine | |
Bürgermeisterkandidatur im bayerisch-schwäbischen Wallerstein zurück. | |
## Größere Sichtbarkeit passt nicht allen | |
Auch Expert:innen, Aktivist:innen und Journalist:innen haben sich | |
in den vergangenen Wochen wegen rassistischer, sexistischer und anderer | |
Bedrohungen aus der politischen Öffentlichkeit zurückgezogen. Ein Beispiel | |
dafür ist die [4][Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl], die wegen | |
regelmäßiger Hetzattacken seitens rechter Mobs, die sich auch gegen ihre | |
Kinder richten, auf Twitter pausiert. | |
Rassismus, Sexismus und Bedrohungen von rechts sind zwar hier in | |
Deutschland nichts Neues. Dennoch scheint diese Form der direkten | |
persönlichen Bedrohung in den letzten Jahren zuzunehmen. Ein Grund dafür | |
ist sicherlich die bessere Vernetzung von Rechten und Rechtsextremen im | |
Internet, die mit gezielten Hasskampagnen versuchen, Einzelne aus der | |
Öffentlichkeit zu drängen. | |
Ein weiterer Grund ist, dass Marginalisierte in den vergangen Jahren in der | |
Öffentlichkeit sichtbarer geworden sind: Frauen, [5][BiPOC] oder LGBTIQ | |
nehmen Raum ein, der ihnen zusteht. Sie sind in politische Ämter gerückt, | |
arbeiten als Journalist:innen und nehmen so aktiv teil an der | |
politischen Öffentlichkeit. Dass dieser Zustand nicht nur Nazis stört, | |
lässt sich fast täglich in deutschen Medien nachlesen. Die weiße | |
Mehrheitsgesellschaft fühlt sich bedroht, weil sie ihre Diskurshoheit | |
abgeben muss. Weil jetzt alle Menschen, die Teil dieser Gesellschaft sind, | |
auch mal mitreden möchten. | |
Die Betroffenen stoßen an eine gläserne Decke. Prinzipiell stehen ihnen | |
alle Möglichkeiten offen, doch in der Realität zeigt sich, dass manche | |
lieber nicht wagen sollten, in bestimmte Positionen gelangen zu wollen. | |
## Alleine als Vorzeigefigur | |
Natürlich hat nicht ganz Deutschland Personen im Umfeld von Tareq Alaows | |
bedroht. Aber Deutschland schaut eben auch zu. Jeden Tag. Wer möchte, dass | |
unsere vielfältige Gesellschaft auch in allen Positionen abgebildet wird, | |
muss Schutz gewährleisten und sich vor Menschen stellen. Wieder und wieder | |
scheint das nicht zu gelingen. | |
Einzelne haben es geschafft, die gläserne Decke zu durchbrechen, was | |
seitens der Mehrheitsgesellschaft als Beweis dafür angeführt wird, dass sie | |
nicht existiert. Politiker:innen wie Aminata Touré oder Cem Özdemir | |
müssen als Vorzeigefiguren herhalten, um zu zeigen, wie progressiv wir | |
sind. | |
Wenn der Fall Alaows für mehr stehen soll als für eine gescheiterte plurale | |
Demokratie, wenn er auch für einen Umbruch stehen soll, dann muss die Decke | |
verschwinden. Dafür muss die Mehrheit jedoch erst einmal akzeptieren, dass | |
es sie gibt. | |
31 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Bundestagskandidat-Tareq-Alaows/!5762851 | |
[2] https://www.gruene-dinslaken.de/rueckzug-der-bundestagskandidatur-von-tareq… | |
[3] /Rassismus-in-der-CSU/!5654483 | |
[4] /Bedrohungen-ausgeloest-von-Welt-Autor/!5705120 | |
[5] /Antirassistische-Sprache/!5702930 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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