| # taz.de -- Romandebüt von Hannah Lühmann: Zufall oder ein schlechter Witz | |
| > Die Protagonistin steckt erst im Leben und schließlich im Wald fest: | |
| > „Auszeit“ erzählt von einer Sinnkrisen und einem Schwangerschaftsabbruch. | |
| Bild: Vor der Großstadt und dem Leben entfliehen für eine Auszeit im Bayrisch… | |
| „Ich glaube, das Maß, in dem mir meine Begeisterung abhandengekommen ist, | |
| ist nicht normal.“ Das ist einer der Gedanken, die Henriette kommen, als | |
| sie in einer Hütte im Bayrischen Wald hockt. Hier verbringen sie und ihre | |
| Freundin Paula Zeit, um dem Leben in der Großstadt zu entfliehen, das, | |
| obwohl sie beide erst Anfang dreißig sind, festgefahren wirkt. | |
| Henriette ist die Protagonistin in Hannah Lühmanns Debütroman, der heißt | |
| wie das, was Paula ihrer Freundin verordnet: eine „Auszeit“. Und die hat | |
| Henriette nötig. Denn während um sie herum alle ins sogenannte | |
| Erwachsenenleben starten – Karrieren beginnen, Familien gründen, Bünde | |
| schließen –, steckt Henriette fest. Ihr fehlt „auf elementare Weise der | |
| innere Antrieb“. | |
| Dafür, ihre Dissertation zu beenden, für Gedanken über ihre Zukunft, ja | |
| sogar für die Trauer um das Kind, das sie abgetrieben hat. Um all dem Raum | |
| zu geben, hat sich Henriette ins Nirgendwo schleppen lassen, wo Paula | |
| versucht, sie mit Yoga, Reiki und selbstgekochtem Essen aus ihrer | |
| Stagnation zu befreien. | |
| Lühmann, 1987 in Berlin geboren, versucht auf 170 Seiten ein Bild ihrer | |
| Generation zu zeichnen. Von gesellschaftlichem Wohlstand geprägt und mit | |
| allen Möglichkeiten, ihre Träume zu verwirklichen, strebt die Generation Y | |
| ein hohes Maß an Selbstverwirklichung an, sagt man ihr nach. | |
| ## Gen Y: Zu selbstbezogen? | |
| Doch nicht jede*r erreicht dies, und so muss sich auch Henriette | |
| eingestehen, dass sie sich auf ihrem Lebensweg verirrt hat. Man folgt ihren | |
| inneren Monologen und gedanklichen Rückblenden, anhand derer Henriette | |
| versucht zu verstehen, wie sie an diesen Punkt gekommen ist: Es „kommt mir | |
| vor, als ob alles, was mir bisher passiert ist, Zufall wäre. Zufall oder | |
| ein schlechter Witz.“ | |
| Lühmanns Protagonistin verkörpert das, was der Generation Y oft vorgeworfen | |
| wird: zu selbstbezogen, zu undankbar für die Möglichkeiten, die sie hat, | |
| und zu wenig entscheidungsfreudig. Hier reiht sich Henriette perfekt ein. | |
| Selbst die eine aktive Entscheidung, die sie trifft – der | |
| Schwangerschaftsabbruch –, scheint eher das Ergebnis einer generellen | |
| Überforderung zu sein. | |
| Die Protagonistin und die Autorin gehören derselben Generation an, beide | |
| haben sie etwas Geisteswissenschaftliches studiert. Lühmann allerdings mit | |
| mehr Erfolg, ist sie nach einem Philosophie-, dann einem | |
| Kulturjournalismusstudium doch heute stellvertretende Ressortleiterin im | |
| Feuilleton der Welt. Auch eine abgebrochene Schwangerschaft verbindet | |
| beide, wie Lühmann in einem Podcast verriet. | |
| Trotz der ähnlichen Lebensrealitäten wirkt Lühmanns Protagonistin, ebenso | |
| wie die Figur der esoterischen, geerdeten Freundin, schablonenhaft. Das ist | |
| schade, denn aus dem Gefühl der Ohnmacht, das Henriette überkommt und das | |
| wie eine [1][depressive Phase] wirkt, ließe sich mehr ziehen. So ist der | |
| Roman eher etwas für ein kleines Klientel, das sich mit Henriette zu | |
| identifizieren vermag. Anderen dürfte es eher als Bestätigung ihrer | |
| Vorurteilen der Generation Y gegenüber dienen. | |
| 18 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophia Zessnik | |
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