# taz.de -- Resignation in Belarus: Im Kreis | |
> Die Menschen sind müde und haben den Glauben an Gerechtigkeit verloren. | |
> Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 85. | |
Bild: Polizisten führen einen Demonstranten in Minsk ab; 27. März 2021 | |
Ich schreibe diese Kolumne und mir wird klar, dass wir uns seit August im | |
Kreis drehen. Die Nachrichten überraschen niemanden mehr, ein Tag gleicht | |
dem anderen. Die Menschen sind müde und verlieren den Glauben an | |
Gerechtigkeit. [1][Journalist*innen] schreiben auf Facebook, dass sie | |
emotional und professionell ausgebrannt seien. Sie bitten ihre | |
Kolleg*innen darum, ihnen gegenüber etwas nachsichtiger zu sein. Und sie | |
sagen, dass es schon normal geworden sei, wenn sie auf ihre Nachrichten | |
keine Antwort bekämen. Ausgebrannt eben. | |
Zum Beispiel: Es wird darum gebeten, nicht am Wochenende und an Feiertagen | |
anzurufen sowie nicht nachts zu schreiben. Alle sind ermüdet von den | |
schlechten Nachrichten, doch diese nehmen kein Ende. Es fühlt sich so an, | |
als ob die Staatsmacht immer weiter drückt, bis alle endlich klein | |
beigeben. | |
Am vergangenen Freitag begann im Minsker Justizpalast der Prozess gegen | |
Studierende. Es gibt 12 Beschuldigte – Student*innen der Universität | |
sowie Absolvent*innen der Fakultäten für Medizin und Pädagogik. Ihnen | |
wird vorgeworfen, im November 2020 Aktionen organisiert und vorbereitet zu | |
haben, die die öffentliche Ordnung massiv verletzen. Die Betroffenen sind | |
seit mehr als sechs Monate in Untersuchungshaft, aber erst jetzt fand die | |
erste Verhandlung statt. | |
In den Gerichtssaal wurden nur Verwandte hinein gelassen, auf der Straße | |
versammelten sich jedoch Hunderte engagierte Belarus*innen. Vor dem Gericht | |
standen schon am frühen Morgen Fahrzeuge der Miliz und der Spezialkräfte | |
des OMON. Angesichts dieser Anzahl von Menschen gab die Miliz per Megaphon | |
bekannt, dass niemand mehr in den Gerichtssaal herein gelassen werde und | |
forderte die Menge auf, auseinander zu gehen. | |
Aber die Menschen blieben. Festnahmen begannen. Einige liefen weg. Aber | |
Ljubow Kasperowitsch, Journalistin des Onlineportals tut.by, die ihre | |
Arbeit tat, gelang das nicht. Sie stolperte und fiel hin. | |
Ljuba ist schon mehr als 72 Stunden hinter Gittern und kommt dieser Tage | |
vor Gericht. Die Anklage lautet auf Teilnahme an verbotenen | |
Massenveranstaltungen – Artikel 24.23, Absatz 1. Derzeit weiß noch niemand, | |
wie das alles endet. | |
Belaruss*innen werden bestraft und festgenommen: wegen falscher Socken, | |
eines Protests mit Süßigkeiten (im vergangenen Oktober wurde eine 75jährige | |
Belarussin zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie zu einer Protestaktion | |
Süßigkeiten in weiß-rot-weiß mitgebracht hatte, Anm. d Red.) und | |
„unkorrekter Hosen“. Wegen einer weiß-rot weißen Flagge (offizielle Fahne | |
der belarussischen Volksrepublik 1918 bis 1991, Anm. d. Red.) am eigenen | |
Haus und weil sie sich mit mehr als drei Menschen in den Höfen ihrer | |
Wohnhäuser treffen, was schon als Streik gilt. Sogar dafür, dass sie | |
festgenommene Landsleute unterstützen, werden Menschen bestraft. | |
„Ich gehe ins Geschäft, um einzukaufen. Ich hoffe, dass das keinen | |
Straftatbestand erfüllt, wenn ich in der Schlange stehe“, kommentieren | |
Belaruss*innen die Nachrichten. | |
Derzeit befinden sich 16 Medienvertreter*innen hinter Gittern. Drei | |
Journalistinnen sitzen eine Haftstrafe ab: Darja Schultzowa und Katerina | |
Andreewa von Belsat wegen eines Streams über eine Aktion zum Gedenken an | |
[2][Roman Bondarenko]. (Bondarenko starb am 12. November 2020 in Minsk, | |
nachdem er von Sicherheitskräften in Zivil zusammen geschlagen worden war. | |
Laut offizieller Version soll er betrunken gewesen sein, Anm. d. Red.). Sie | |
wurden zu zwei Jahren Strafkolonie verurteilt. | |
Bereits ein halbes Jahr sitzt Katerina Borisewitsch für einen Beitrag | |
darüber, dass Roman Bondarenko nüchtern gewesen sei. Sie soll als nächste | |
frei kommen – das hoffen wir jedenfalls. (Katerina Borisewitsch kam am | |
Mittwoch auf freien Fuß, Anm. d. Red.) Auf ihren Prozess wartet auch die | |
Führung des Presseklubs, die Journalist*innen Ksenia Luzkina und | |
Andrzej Potschobut sowie der Medienmanager Andrei Aleksandrow. Alle sind | |
müde … | |
Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
22 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Olga Deksnis | |
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