# taz.de -- Rekordüberschuss im Bundeshaushalt: Sparen macht arm | |
> Der Haushalt verzeichnet für 2019 einen Rekordüberschuss, der Staat baut | |
> seine Schulden ab. Was wie eine gute Strategie wirkt, schadet den | |
> Bürgern. | |
Bild: Kling absurd, ist aber wahr. Weil der Staat keine Schulden macht, schadet… | |
Es klingt wie eine gute Nachricht: Der Bundeshaushalt hat im Jahr 2019 | |
einen Überschuss verzeichnet. [1][13,5 Milliarden Euro betrug das Plus – | |
ein Rekord.] Diese Summe setzt Fantasien frei: Wie wäre es, wenn der Staat | |
dieses Geld nutzen würde, um seine Schulden weiter abzubauen? Normale | |
Unternehmen oder Familien dürfen doch auch nicht einen riesigen | |
Schuldenberg vor sich herschieben. | |
Momentan belaufen sich die deutschen Staatsschulden auf 1.930 Milliarden | |
Euro. Dies entspricht 23.229 Euro pro Einwohner, wie der deutsche | |
Steuerzahlerbund errechnet hat. Man stelle sich einmal vor, jeder | |
Bundesbürger hätte diese 23.229 Euro auf seinem Konto: Davon ließe sich ein | |
neuer VW Golf oder eine Weltreise finanzieren. | |
Es ist daher populär, zu glauben, dass die Bundesbürger deutlich reicher | |
wären, würde der Staat seine Schulden tilgen. Der Steuerzahlerbund befeuert | |
diese Vorstellung noch zusätzlich, indem er seine „Schuldenuhr“ laufen | |
lässt und pro Sekunde ausrechnet, wie tief der Staat im Minus ist. | |
Neuerdings läuft die Schuldenuhr jedoch rückwärts, weil der Staat | |
angefangen hat, seine Schulden zurückzuzahlen: Pro Sekunde sinkt die | |
Staatsschuld um 47 Euro. | |
Doch so erstaunlich dies scheinen mag: Diese 47 Euro machen niemanden | |
reicher. Stattdessen schafft es nur Probleme, dass der Staat seine Schulden | |
zurückzahlt und keine neuen Kredite aufnimmt. | |
Das veranschaulichen die Sorgen der Versicherungskonzerne, die nicht mehr | |
wissen, wie sie ihr Geld anlegen sollen. Die Deutschen besitzen 87,2 | |
Millionen Lebensversicherungsverträge. Im Durchschnitt gerechnet, hat schon | |
jedes Baby einen Vertrag. Also sammeln sich ordentliche Summen an, die die | |
Versicherungskonzerne investieren müssen: Momentan sind dies mehr als 1 | |
Billion Euro. | |
Da das Geld sicher sein soll, dürfen die Versicherungskonzerne nicht nur in | |
Aktien oder Immobilien investieren, sondern sind auf festverzinsliche | |
Papiere angewiesen. | |
Besonders [2][beliebt sind deutsche Staatsanleihen], denn es ist undenkbar, | |
dass die Bundesrepublik in die Pleite rutscht. Aber leider sind genau diese | |
Papiere Mangelware, weil der deutsche Staat keine neue Schulden aufnimmt. | |
Stattdessen zahlt er seine alten Kredite zurück – und verknappt damit das | |
Angebot an Staatsanleihen. | |
Da viele Versicherungen um wenige Staatsanleihen konkurrieren, ist das | |
Ergebnis klar: Die Zinsen, die der Bund für einen Kredit zahlen muss, | |
sinken. Im Dezember war ein zehnjähriges Darlehen für minus 0,27 Prozent zu | |
haben. Übersetzt: Versicherungen und andere Anleger werfen der deutschen | |
Regierung Geld hinterher, wenn sie nur bitte, bitte eine Staatsanleihe | |
kaufen dürfen. | |
Die Negativzinsen signalisieren, dass die Finanzmärkte darauf hoffen, | |
dass der deutsche Staat endlich Kredite aufnimmt. [3][Doch die | |
Bundesregierung will kein Geld geschenkt] bekommen. Stattdessen benutzt sie | |
die gesparten Zinsen, um die Staatsschulden noch schneller abzubauen. | |
Der Teufelskreis ist programmiert: Da der Staat keine Kredite will, fallen | |
die Zinsen weiter, der Staat spart noch mehr – und die Zinsen sinken | |
erneut. | |
Da Versicherungen und Banken keine Kreditzinsen mehr verdienen, können sie | |
ihren Sparern auch keine Renditen mehr zahlen. Das ist pure Logik. Dennoch | |
glauben viele Sparer, sie würden „enteignet“. Genauso irrational ist das | |
praktische Verhalten der Deutschen: Negativzinsen signalisieren, dass es | |
sich nicht mehr lohnt, Finanzvermögen anzuhäufen. Man müsste sein Geld also | |
verprassen. Doch das Gegenteil geschieht: Um die Negativzinsen zu | |
kompensieren, wird noch mehr gespart. | |
Immer mehr Geld sucht einen Kreditnehmer – während sich der Staat ebenso | |
hartnäckig weigert, dieser Kreditnehmer zu sein. Das wird unschön. | |
Eigentlich ist es einfach: Das Vermögen des einen sind die Schulden des | |
anderen. Wenn aber niemand Schulden haben will, gibt es auch kein Vermögen. | |
17 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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