| # taz.de -- Reichsbürgerin unter Linken: Der Schock sitzt tief | |
| > Die Honigfabrik ist ein linkes Hamburger Kulturzentrum. Vor einigen | |
| > Wochen kam heraus: Eine Mitarbeiterin hat sich den Reichsbürgern | |
| > angeschlossen. | |
| Bild: Im Aufarbeitungsmodus: die Honigfabrik in Hamburg-Wilhelmsburg | |
| Hamburg taz | Der kleine Veranstaltungssaal im Erdgeschoss der Honigfabrik | |
| füllt sich. Es ist das erste Stück, das am Theatertag in dem Kulturzentrum | |
| in [1][Hamburg-Wilhelmsburg] aufgeführt wird. Bunt geschminkte Kinder | |
| strömen auf die noch freien Plätze vor der beleuchteten Bühne. Inmitten der | |
| vielen Kinder und Eltern sitzen auch einige Renter*innen, die darauf | |
| warten, dass das Theaterstück „3 Freundinnen“ beginnt. Die Kinder haben es | |
| sich selbst erarbeitet, im Rahmen der „Kinderkultur“, so heißt das | |
| Programm. | |
| Die Honigfabrik ist altes Backsteingebäude mit Schornstein, erbaut 1906. | |
| Als Kulturort geht sie auf die linken Jugendbewegungen der 70er Jahre | |
| zurück. Falken, DKP und anderen Initiativen träumten damals von einem | |
| selbstverwalteten Zentrum, in dem Jung und Alt zusammenkommen. Seither | |
| versteht sich die Honigfabrik als ein Ort der Freiheit und Offenheit und | |
| setzt sich gegen jegliche Form der Ausgrenzung ein. | |
| Wilhelmsburg, mit 53.000 Einwohner*innen die größte bewohnte Flussinsel | |
| Europas, galt lange als Hamburger Problemstadtteil: Das Bildungsniveau war | |
| niedrig und Perspektiven fehlten. Anfang der 2000er wollte man [2][den | |
| Stadtteil aufwerten] und Familien aus anderen Vierteln locken. Heute ist | |
| ein Viertel der Anwohner*innen unter 25 Jahre alt, viele von ihnen | |
| studieren. Steigende Preise, der Wohnungsmangel und die Verdrängung | |
| alteingesessener Wilhelmsburger*innen sorgen immer wieder für | |
| Spannungen. | |
| Die Hoffnung, mit der Honigfabrik einen Ort der Freiheit und Offenheit | |
| geschaffen zu haben, bekam Mitte Juni einen Dämpfer: Eine Recherche des | |
| „Bündnis gegen Rechts“ enthüllte, dass Maren B., eine Mitarbeiterin der | |
| Kinderkultur, Mitglied der rechten Sekte „Königreich Deutschland“ ist. Das | |
| Bündnis veröffentlichte Fotos, auf denen Maren B. beim Zukunftskongress der | |
| Sekte im Ladiges Hof in Holm zu sehen ist. Mit rund 70 Teilnehmer*innen | |
| sollte es das wichtigste Treffen des Jahres werden, um die Strukturen | |
| deutschlandweit auszubauen. | |
| ## Königreich Deutschland | |
| Das „Königreich Deutschland“ zählt zu den zahlreichen Splittergruppierung… | |
| der Reichsbürgerbewegung – sie lehnen die Legitimität der Bundesrepublik | |
| Deutschland ab oder leugnen deren Existenz, glauben an das Fortleben des | |
| Deutschen Reiches oder dass der deutsche Staat eine Firma ist. Manche | |
| planen gewaltsame Staatsumstürze, andere gründen eigene Hoheitsgebiete, in | |
| denen sie Scheinstaaten ausrufen – wie auch das „Königreich Deutschland“. | |
| Bis heute konnte ihr Anführer, der selbsternannte „König von Deutschland“ | |
| Peter Fitzek, [3][4.000] bis [4][6.000 Mitglieder] rekrutieren, die Zahlen | |
| schwanken je nach Quelle. Wer Mitglied werden möchte, muss sich einer | |
| „Staatsprüfung“ unterziehen, das Königreich bittet außerdem um eine Spen… | |
| oder eine Kapitalüberlassung. Im Gegenzug erhalten seine Mitglieder einen | |
| „Staatsbürgerausweis“. | |
| Laut „Bündnis gegen Rechts“ steht Fitzek in Verbindung zu „Querdenken 40… | |
| der esoterisch-antisemitischen Anastasia-Bewegung, die vom | |
| Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird, | |
| Mitgliedern der AfD und dem Holocaustleugner Nikolai Nerling. Seit 2023 | |
| könnten verstärkte Aktivitäten im Hamburger Raum beobachten werden. | |
| Maren B. hatte in der Honigfabrik bereits im Januar zum 31. 07. gekündigt, | |
| weil sie aufs Land ziehen wollte. Als sie von den Mitarbeitenden der | |
| Honigfabrik mit der Recherche konfrontiert wurde, gab sie zu, seit Dezember | |
| 2023 offizielles Mitglied bei den Reichsbürgern zu sein. Daraufhin kündigte | |
| das linke Kulturzentrum Maren B. fristlos. In den vergangenen Jahren hatte | |
| sie Aufgaben im Bereich der Kinderkultur übernommen. | |
| ## Nichts mitgekriegt | |
| „Die Honigfabrik ist vor den Kopf gestoßen und wir können es nicht fassen, | |
| dass wir nichts mitgekriegt haben“, schrieben die Mitarbeiter*innen in | |
| ihrer Stellungnahme vom 11. Juni. „Was mit Gemeinschaft lockt und so | |
| unschuldig daher kommt wie das friedliche Leben auf dem Land, baut auf | |
| Ausgrenzung, Hass, Rassismus und Antisemitismus – steht für all das, | |
| wogegen sich die Honigfabrik seit über 40 Jahren einsetzt.“ | |
| Doch wie konnte es passieren, dass eine Reichsbürgerin inmitten linker | |
| Strukturen unentdeckt blieb und mit Kindern arbeitete? | |
| Bisher haben weder die Eltern noch die Kinder aus dem Kinderkulturbereich | |
| von Erfahrungen berichtet, an denen erkennbar gewesen wäre, dass sich Maren | |
| B. radikalisierte, dass sie andere ausgrenzte oder rechtes Gedankengut ihre | |
| Arbeit beeinflusste. Im Gegenteil, Maren B. wird einhellig als offene, | |
| klare und zugängliche Person beschrieben, der sich auch viele Familien | |
| anvertrauten, die von Rassismus betroffen sind. | |
| „Das so etwas jetzt in einem Nahraum passiert, an einem Ort, bei dem es | |
| ganz stark um Vertrauen geht, war für viele Eltern ein Schock“, sagt Sven | |
| Jan Schmitz, direkter Kollege und Nachfolger von Maren B. Viele Familien | |
| seien verunsichert, hätten ohnehin große Angst, Deutschland verlassen zu | |
| müssen. „Das sind Ängste, die die Kinder klar benennen“ und sich durch den | |
| Vorfall mit Maren B. weiter verstärkt hätten. | |
| In der ersten Woche nach der Enthüllung setzten die Mitarbeitenden alle | |
| zwanzig Angebote der Kinderkultur aus und richteten stattdessen eine offene | |
| Anlaufstelle ein, um einen gemeinsamen Umgang mit der Situation zu finden. | |
| „Gerade für diejenigen Kinder, die davon erfahren haben und hierherkommen, | |
| wäre das Signal einer verschlossenen Tür fatal gewesen“, sagt Schmitz. Die | |
| offene Anlaufstelle konnten Eltern und Kinder nutzen, um sich über den | |
| Vorfall auszutauschen. | |
| „Wir stehen im Moment vor vollendeten Tatsachen und müssen sehen, wie wir | |
| damit umgehen“ sagt Oliver Menk, Leiter der Geschichtswerkstatt. Ein Tag | |
| bevor Maren B's Geheimnis an die Öffentlichkeit gelangte, organisierte er | |
| einen Stolpersteinrundgang in Wilhelmsburg. Er sieht erschöpft aus, die | |
| Überforderung ist ihm anzumerken. | |
| ## Ringen um Worte | |
| Auch die anderen Teammitglieder ringen um Worte, während sie über Maren B. | |
| sprechen: „Es ist einfach gruselig zu sehen, was man alles verheimlichen | |
| kann, wenn man es nicht nach außen tragen möchte“, sagt Finn Brüggemann, | |
| der für die Öffentlichkeitsarbeit des Kulturzentrums verantwortlich ist. | |
| Auch Schmitz fällt es schwer, sich zu erklären, wie Maren B. sich | |
| radikalisieren konnte, ohne dass es jemand mitbekam. | |
| Maren B’s Absichten bleiben bisher unklar. Arbeitete sie in der | |
| Honigfabrik, weil sie die dort etablierten, linken Strukturen schwächen und | |
| mit rechtem Gedankengut unterwandern wollte? Oder radikalisierte sie sich | |
| allmählich, bis sie feststellen musste, dass ihre Ansichten in der | |
| Honigfabrik keinen Platz haben? | |
| Sicher ist: Es wird ein langer Prozess sein, das Geschehene aufzuarbeiten. | |
| Dabei möchten sich die Mitarbeitenden vor allem um diejenigen kümmern, die | |
| „von der rassistischen Erscheinung unserer Gesellschaft“ betroffen sind. | |
| Gemeinsam mit externen Trägern wie dem Mobilen Beratungsteam gegen | |
| Rechtsextremismus möchten sie beispielsweise Räume für migrantische Kinder | |
| gestalten, ihr Selbstbewusstsein stärken und sie sich sicher fühlen lassen. | |
| ## Elten wollen bei der Aufarbeitung helfen | |
| Ist es möglich, dass es Strukturen in der Honigfabrik gibt, die den Vorfall | |
| begünstigt haben? Die Mitarbeitenden wollen dem nachgehen, ihre Werte neu | |
| definieren und Veranstaltungen anbieten, die über die Reichsbürgerszene | |
| aufklären. | |
| Viele Eltern hätten bereits angeboten, die Aufarbeitung mitzugestalten, | |
| berichtet Schmitz. „Man spürt, dass Wilhelmsburg gewachsene Strukturen hat, | |
| die sich mit antirassistischer Arbeit auseinandersetzen.“ Es besteht also | |
| Hoffnung, dass linke Strukturen auch nach Rückschlägen wie diesem | |
| widerstandsfähig und vertrauenswürdig bleiben können. | |
| Auf der Bühne der Honigfabrik wird es unruhig: Die „3 Freundinnen“ reisen | |
| in die Zukunft, weil sie damit beauftragt wurden, die Welt vor dem Bösen zu | |
| retten. Dort begegnen sie sich selbst und müssen feststellen, dass sie ihre | |
| Träume und Freundschaften im Alter vernachlässigt haben. „Sei nett zu den | |
| Menschen da draußen“, rät die eine; „Mach das, was dich glücklich macht�… | |
| die andere. Dann nehmen sie sich sanft in den Arm – die Welt ist wieder ein | |
| besserer Ort. Zumindest hier auf der Bühne. | |
| 19 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hamburg-Wilhelmsburg/!t5031838 | |
| [2] /Debatte-ueber-Stadtentwicklung/!5062156 | |
| [3] /Rechtes-Schloss-in-Sachsen/!5854946 | |
| [4] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/reichsbuerger-… | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Lasyan | |
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