# taz.de -- Regierung erleichtert Firmengründungen: Kapitalismus für fast all… | |
> Kleine und mittelgroße Unternehmen sind auf der Karibikinsel Kuba bald | |
> erlaubt. Das ist auch nötig – das Land ist in einer tiefen Krise. | |
Bild: Bald mit richtigen Unternehmern: Calle San Rafael in Havanna | |
HAVANNA taz | Die Backstube ist in einer alten Garage untergekommen, Lager, | |
Kühltresen und Verpackungsstation der Torten sind im früheren Esszimmer der | |
Familie von Julio Santos Pérez. „La Carolina“ heißt seine kleine | |
Konditorei, und die Bäcker arbeiten in zwei Schichten in der 19. Straße in | |
Vedado, dem modernen Zentrum von Havanna. | |
Rund zwei Dutzend Kubaner*innen arbeiten für Santos Pérez. Auf die | |
Idee, traditionelles Gebäck, Torten und Kekse zu produzieren, kam Julio | |
Santos Pérez 2014. „Ich wollte ein eigenes Unternehmen, aber kein weiteres | |
Restaurant gründen. Schon damals war die Konkurrenz groß, und so habe ich | |
Restaurants mit Torten, Kuchen und Teilchen beliefert“, sagt der 61-jährige | |
Mann mit dem sauber rasierten Kopf. | |
Pérez hat ein paar Jahre lang im Ausland gelebt, als Manager für ein | |
kubanisches Reiseunternehmen in Deutschland gearbeitet und auch Hotels | |
gemanagt, bevor er sich 2014 selbstständig machte. Damals war es noch nicht | |
möglich, ein kleines oder auch mittleres privates Unternehmen mit bis zu | |
100 Beschäftigten in Kuba anzumelden. In diesen Tagen wird das anders. | |
Die Staatsspitze hat zuletzt ihre Reformen beschleunigt, um [1][die | |
schlimmste Wirtschaftskrise] einzudämmen, die der Karibikstaat seit 30 | |
Jahren erlebt. „Überfällig“ sei die Verabschiedung der entsprechenden | |
Gesetze gewesen, sagt Santos Pérez. Die wurden im August in der „[2][Gaceta | |
oficial]“ veröffentlicht, dem Mitteilungsblatt der kubanischen Regierung, | |
ab kommenden Samstag sind sie gültig. | |
## Realität mit Restriktionen | |
Für Omar Everleny Pérez, Ökonom und Analyst aus Havanna, ein überfälliger | |
Schritt, auf den er fast zehn Jahren gewartet hat. Schon 2011 habe der | |
damalige Präsident Raúl Castro die Zulassung kleiner und mittlerer privater | |
Unternehmen angekündigt, erzählt der ehemalige Direktor des Studienzentrums | |
der kubanischen Wirtschaft (CEEC). „Zehn Jahre später sind sie endlich, | |
wenn auch mit zahlreichen Restriktionen, Realität“, sagt Everleny Pérez. | |
Gemeinsam mit anderen Experten plädiert er bereits seit Jahren dafür, Kubas | |
Wirtschaft mit der Zulassung von Genossenschaften, kleinen und mittleren | |
privaten Unternehmen zu flexibilisieren – und endlich Abschied von der | |
stark zentralisierten Staatswirtschaft zu nehmen. Dafür liefert das | |
Gesetzespaket rund um die „Mikro-, Klein- und mittleren Unternehmen“ sowie | |
Genossenschaften außerhalb der Landwirtschaft die Grundlagen – und passt | |
zugleich bestehende Gesetze und Steuerregeln an. | |
„Kein Schnellschuss, sondern ein über Monate ausgearbeitetes | |
Reformprojekt“, sagt Everleny Pérez, der an den Vorbereitungen zu den | |
Gesetzen teilgenommen hat – und ab und an über deren Halbherzigkeit stöhnt. | |
„Es ist positiv, dass ein Restaurant sich nun als Kleinunternehmen | |
definieren kann, aber warum darf eine Person nicht mehr als ein Unternehmen | |
führen und warum ausschließlich in Kuba wohnende Personen?“, fragt der | |
Ökonom. | |
Mit seinen Bedenken ist er nicht allein. Sein Kollege Pedro Monreal, der in | |
Paris für eine UN-Organisation arbeitet, kritisiert, dass private und | |
staatliche Akteure ungleich behandelt würden. Öffentliche Unternehmen seien | |
privilegiert. So müssen private Unternehmen alle Importe über staatliche | |
Dienstleister abwickeln. Außerdem [3][dürfen private Druckereien keine | |
Zeitungen, Magazine oder Buchprojekte auf Papier drucken], nur Werbung. | |
## Hürden für einige Branchen | |
Solche Hürden gibt es auch für andere Branchen. Im Gesundheitssektor zum | |
Beispiel. Privatiers sind auch im Presse- und Kommunikationswesen nicht | |
erlaubt, genauso wenig wie private Architektenbüros. Die Restriktionen | |
zeigten, dass es unterschiedliche Fraktionen in der politischen Führung | |
gibt, meint Pavel Vidal, kubanischer Finanzexperte mit Lehrauftrag im | |
kolumbianischen Cali. „Die einen fordern eine Marktöffnung, und die anderen | |
hängen dem sowjetischen Modell der Staatsbetriebe an“, sagt Vidal. | |
Dennoch begrüßt er den Schritt, denn er werde die Strukturen der | |
Inselökonomie nachhaltig ändern. Derzeit sind laut offiziellen Zahlen rund | |
618.000 Selbstständige in Kuba angemeldet, von denen allerdings 250.000 ihr | |
Geschäft gerade pandemiebedingt ruhen lassen. | |
Das hat viel mit dem Einbruch des Tourismus zu tun, der auch Konditor Julio | |
Santos Pérez hart getroffen hat. Er liefert seine Kuchen in Havanna | |
mittlerweile nach Hause – und hält sich so über Wasser. | |
Ob er sich jedoch den Traum von einer oder mehreren Filialen erfüllen kann, | |
ist fraglich. Vieles hängt davon ab, was die neuen Gesetze in der Praxis | |
hergeben. | |
Da ist Pavel Vidal optimistisch. „Die Gesetze zeigen, wie der private | |
Sektor in Kuba an Bedeutung gewinnen kann. Die Steuersätze sind angemessen, | |
und ich gehe davon aus, dass in zwei, drei Jahren der nichtstaatliche | |
Sektor in Kuba der wichtigste Arbeitgeber sein wird“, so die Prognose des | |
Ökonomen. Das hätte „revolutionären“ Charakter, denn 1978 wurden kleine … | |
mittlere Unternehmen auf der Insel verboten. | |
16 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Coronapandemie-in-Kuba/!5793153 | |
[2] https://www.gacetaoficial.gob.cu/es | |
[3] /Internetzensur-in-Kuba/!5794479 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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