# taz.de -- „Reclaim Your City“-Kongress in Berlin: „Freiraum für alle“ | |
> Bis Sonntag findet der „Reclaim Your City“-Kongress statt, der sich mit | |
> Formen der Stadtaneignung beschäftigt. Kelly Pappe vom Kollektiv pappsatt | |
> im Interview. | |
Bild: „Ein Raum, in dem sich jeder ohne Grenzen bewegen kann“ | |
taz: Herr Pappe, Sie sind Teil des Künstlerkollektivs pappsatt, das den | |
bevorstehenden „Reclaim Your City“-Kongress (zu Deutsch: „Fordere deine | |
Stadt zurück“) mit organisiert. Warum müssen wir uns denn unsere Stadt | |
zurückholen? | |
Kelly Pappe: Weil uns immer mehr öffentlicher Raum weggenommen wird. Dafür | |
gibt es viele Beispiele: In Kreuzberg versuchen Investoren aus dem Kiez ein | |
Monopoly-Spiel zu machen. Das Dragoner-Areal, eine der größten ungenutzten | |
Flächen Berlins, sollte verkauft werden, um die Haushaltskasse zu füllen. | |
Oder auch die Cuvry-Brache, die letztes Jahr geräumt wurde und sonst immer | |
ein Ort des Zusammentreffens von Kunst, Kultur und Aktivismus war. Wir als | |
Stadtbewohner müssen unseren Anspruch auf diese Orte deutlich machen. | |
Und das mit umstrittenen Mitteln, etwa illegalen Partys? | |
Wir wollen mit den Partys einen Raum schaffen, an dem sich jeder ohne | |
Grenzen bewegen kann. Ohne Eintritt und ohne Polizei. Mit den Partys lassen | |
wir die Grenzen zwischen den Machern und Teilnehmern verschwimmen, jeder | |
ist ein Teil des Protests. So lassen sich viele junge gleichgesinnte | |
Menschen mobilisieren. | |
Wie viel Politik steckt in Partys? | |
Party und Politik hängen zusammen. Wir wollen mit den Partys auf die | |
politischen Umstände hinweisen. Die Gebäude, in denen wir feiern, haben | |
immer eine Bedeutung. Die letzte Party fand in einem alten Möbelhaus statt, | |
das schon lange leer stand und nun abgerissen werden sollte, weil der Bau | |
der Autobahn 100 bevorstand. Auch die Dekoration der Orte, an denen wir | |
feiern, spielt eine Rolle. Wir laden Künstler ein, die die Gebäudewände mit | |
politischen Botschaften besprühen und auch mit ihrer Kunst auf das Problem | |
hinweisen, dass uns hier gerade etwas Wichtiges weggenommen wird. | |
Wie findet man zu den Partys, die nicht legal sind? | |
Wir benutzen aus politischer Überzeugung kein Facebook. Deshalb werden – | |
ganz klassisch offline – Handzettel an belebten Orten verteilt, mit einem | |
Treffpunkt. Von dort werden die Gäste dann abgeholt und zur Location | |
geführt. | |
Es geht also nicht einfach nur um den Kick beim Saufen an verbotenen Orten? | |
Mit den Partys wollen wir oft bevorstehende Räumungen verhindern. Aber es | |
entspricht natürlich mehr der Symbolik der Aneignung, wenn man sich einen | |
umkämpften Ort einfach zugänglich macht. Außerdem ist es immer wieder | |
spannend zu sehen, was man mit entsprechender Gestaltung alles erreichen | |
kann. Aber der kriminelle Akt ist nicht immer entscheidend. Hauptsache, weg | |
von herkömmlichen Politikmethoden – die zeigen nämlich keine Wirkung. | |
Und wenn doch mal die Polizei kommt? | |
Das haben wir eingeplant, die Illegalität ist eben Teil dieser bewussten | |
Grenzüberschreitung. Bis jetzt hatten wir aber noch keine Probleme. Und | |
falls doch, dann müssen wir eben abhauen. Genauso ist das beim | |
Graffitisprühen. Eine Gruppe sprüht, die andere passt auf. Die Illegalität | |
macht für einige vielleicht auch die Attraktivität aus, weil man sich so | |
rebellisch fühlt. | |
Warum wollen Sie alle unerkannt bleiben, obwohl Eure Botschaft doch | |
medienwirksam verbreitet werden? | |
Mit unseren Aktionen befinden wir uns oft am Rande der Legalität, in einer | |
rechtlichen Grauzone sozusagen. Seien es Graffiti, Besetzungen oder eben | |
auch Partys. Da muss man seinen Namen nicht unbedingt in der Zeitung lesen | |
oder ein Pseudonym wählen. | |
Beim Kongress tretet Ihr aber nicht anonym auf. Was erhofft ihr euch von | |
der Veranstaltung, die dieses Wochenende zum ersten Mal stattfindet? | |
Nach zehn Jahren künstlerischem Aktivismus wollen wir Bilanz ziehen. Wir | |
wollen schauen, wo Kunst und Kultur in der Stadtentwicklung überhaupt | |
stehen. Mit Vorträgen, Diskussionen und Workshops wollen wir eine | |
Schnittstelle bilden zwischen Gestaltung und Politaktivismus. | |
Der Kongress ist aus eigenen Mitteln finanziert und wird von Ehrenamtlichen | |
organisiert. Was motiviert, eine derart umfangreiche Veranstaltung auf die | |
Beine zu stellen? | |
Unsere Motivation ist ganz klar politisch. Nicht nur mit den Partys setzen | |
wir Zeichen, sondern auch mit sogenannter Urban Art, also mit Kunst im | |
öffentlichen Raum. Hierzu zählen übrigens nicht nur Graffiti, sondern auch | |
Aufkleber, Plakate und jegliche Intervention im Stadtbild. Denn die Stadt | |
gehört uns! Wir streben Vergesellschaftung an und nicht Privatisierung – | |
vor allem Privateigentum stellen wir infrage. Denn der Raum in der Stadt | |
ist für alle da. | |
Ihr legt mit eurer urbanen Kunst Wert auf ein antikapitalistisches | |
Grundverständnis. Aber die Stadt schmückt sich in aller Welt mit den | |
Graffiti und nutzt das Image des hippen Berlins für Marketingzwecke. Ist | |
das nicht ein Widerspruch? | |
Das ist ein Dilemma, in dem sich derzeit viele Kulturschaffende befinden. | |
Hier befinden wir uns selber noch in der Meinungsfindung, zu der auch der | |
Kongress beitragen soll. | |
25 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Julia Schnatz | |
## TAGS | |
Besetzung | |
Kongress | |
Stadtpolitik | |
Graffiti | |
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
Cuvrybrache | |
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