# taz.de -- Rechtsextremer Täter in Halle: Der virtuelle Terrorist | |
> Er hatte ein Massaker geplant, sagt der Generalbundesanwalt über den | |
> Halle-Attentäter Stephan B. Radikalisierte er sich in einer rechten | |
> Online-Szene? | |
Bild: Der mutmaßliche Täter Stephan B. kurz vor der Haftprüfung beim Bundesg… | |
Am Donnerstag herrscht Fassungslosigkeit in Benndorf. Gut 2.000 Einwohner | |
zählt der Ort in Sachsen-Anhalt, 40 Kilometer vor Halle. Kleine | |
Einfamilienhäuser, eine Kirche, ein Schützenverein. Und in der Nacht zu | |
Donnerstag nun auch ein Polizeigroßeinsatz. Weil Stephan B. hier gewohnt | |
haben soll, eine Durchsuchung stattfand. Der Attentäter von Halle. | |
Am nächsten Morgen gibt Bürgermeister Mario Zanirato noch vor dem Frühstück | |
Interviews. Er habe Stephan B. nur mal gesehen, seine Mutter lebe ja im | |
Ort, sagt er später auch der taz am Telefon. „Ich habe zu ihm keine | |
Zuordnung.“ Der Mann sei unauffällig gewesen, auch von Waffenbasteleien | |
habe man nichts mitbekommen, sagt Zanirato. Es sei „schlimm, was in Halle | |
passiert ist“. Auch eine Nachbarin sagt, sie kenne Stephan B. nur vom | |
Hallosagen. Sie nennt ihn arbeitslos und „nicht ganz auf der Höhe“. Egal, | |
wen man fragt: Angeblich hat ihn kaum jemand mal gesehen. | |
## Spurensuche der Behörden | |
Bundesweit läuft da schon die Spurensuche zu Stephan B. auf Hochtouren. | |
Auch die Sicherheitsbehörden durchforsten ihre Dateien, kontaktieren | |
V-Leute: Wer war der 27-Jährige? War er politisch auffällig? Hätte man ihn | |
auf dem Schirm haben können? Ja, müssen? | |
Die Tat vom Mittwoch hatte Halle kalt erwischt. Schwerbewaffnet und in | |
Kampfmontur war Stephan B. mit einem Leihwagen nach Halle gefahren. Dort | |
hatte er versucht, die Synagoge zu stürmen. Die Tat übertrug er live ins | |
Internet. Als der Rechtsextremist an der Tür des Gebetshauses scheiterte, | |
erschoss er eine vorbeilaufende Passantin, Jana L. „Muss das sein, wenn ich | |
hier langgehe?“, hatte die 40-Jährige gefragt, offenbar ohne den Ernst der | |
Lage zu erkennen. Dann drückte B. ab. | |
Mit seinem Auto fuhr der 27-Jährige danach weiter durch die Stadt, stieß | |
auf einen Dönerladen. „Döner, nehm wa“, sagt B. im Tatvideo. Er stürmte … | |
den Imbiss und erschoss einen Mann – Kevin S., einen 20-Jährigen. Der | |
flehte noch um sein Leben, aber auch hier schoss B. kaltblütig. „Fresse, | |
Mann.“ | |
Nach einem Schusswechsel mit der Polizei vor dem Imbiss floh Stephan B. | |
schließlich aus der Stadt, kaperte in Wiedersdorf ein Taxi, baute damit auf | |
einer Landstraße in Werschen, 60 Kilometer südlich von Halle, einen Unfall | |
und wurde festgenommen. Noch über Stunden dauerte da der Ausnahmezustand in | |
Halle an, bei dem anfangs nicht mal klar war, wie viele Täter eigentlich | |
unterwegs waren. | |
## Vier Kilo Sprengstoff | |
Am Donnerstagmittag tritt nun in Karlsruhe Bundesjustizministerin Christine | |
Lambrecht vor die Presse. Von einem „rechtsextremistischen Terroranschlag | |
eines Einzeltäters“ spricht die SPD-Frau. Daneben steht Generalbundesanwalt | |
Peter Frank, dessen Behörde die Ermittlungen bereits am Mittwoch an sich | |
zog. „Was wir gestern erlebt haben, war Terror“, sagt auch er. „Stephan B. | |
hatte sich zum Ziel gesetzt, ein Massaker anzurichten.“ Vier Kilo | |
Sprengstoff hätten sich allein in seinem Auto befunden. B. habe sich in | |
einer Tradition mit dem Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant gesehen. | |
Mit der Liveübertragung der Tat habe er eine „weltweite Wirkung erzeugen“ | |
wollen. | |
Wenig später nennt auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in Halle | |
den Anschlag eine „Schande für unser ganzes Land“. Die rechtsterroristische | |
Gefahr sei „sehr hoch“. Zu Stephan B. lägen „Stand jetzt“ keine | |
polizeilichen Erkenntnisse vor. Und jüdische Einrichtungen im Land würden | |
nun „dauerhaft“ unter Schutz gestellt. | |
Auch in Sicherheitskreisen wird beteuert, dass Stephan B. politisch bisher | |
nicht auffällig gewesen und in keiner Datei gelistet worden sei. Es bleibt: | |
ein Abiturient, abgebrochenes Chemiestudium, ein Einzelgänger. Sein Vater | |
sagt der Bild, sein Sohn habe immer gehadert und anderen die Schuld | |
gegeben. „Der Junge war nur online.“ | |
## Gamification of terror | |
Aber nun, spätestens nach dem Tatvideo ist klar: Stephan B. war auch | |
Rechtsextremist. Und er bewegte und radikalisierte sich offenbar in einer | |
ebenso rechtsextremen Online-Community. Auf Portalen wie 4chan oder Steam | |
werden Rechtsterroristen wie Anders Breivik oder der | |
Christchurch-Attentäter Tarrant gefeiert und Highscores mit Todesopfern | |
erstellt. Angestachelt wird auch zu realen Taten. Von einer „gamification | |
of terror“ ist inzwischen die Rede. | |
An diese Community verschickte auch Stephan B., unter dem Alias | |
„Spilljuice“, vor der Tat einen Link zu seinem Livestream auf der | |
Streamingplattform Twitch. Dort spricht er bewusst auf Englisch, nennt sich | |
selbst „Anon“ – ein beliebtes rechtes Online-Pseudonym. Dann leugnet B. d… | |
Holocaust, macht den Feminismus für niedrige Geburtenraten verantwortlich, | |
die zu Massenimmigration führten. Und nennt „den Juden“ als Grund aller | |
Probleme. Später redet er auch von einer „Internet-SS“. | |
Dazu kommt eine Dokumentensammlung, die Stephan B. ebenfalls vor seiner Tat | |
ins Internet stellte und das die Sicherheitsbehörden für authentisch | |
halten. Auch dieses ist in Englisch verfasst, mit Verweis auf 4chan und | |
ebenfalls einer Art Hitliste – einer Auflistung, auf welche Weise B. | |
Menschen töten wollte. | |
Und offenbar bereitete sich Stephan B. über Monate auf die Tat vor. Zuerst | |
habe er einen Anschlag auf eine Moschee oder ein „Antifa-Kulturzentrum“ | |
geplant, heißt es in dem Pamphlet. Der Hauptfeind aber seien die Juden. Den | |
Anschlag habe er gezielt für Jom Kippur geplant. Dann würden die meisten | |
Juden in die Synagoge gehen. | |
Auch hatte Stephan B. das Gebetshaus in Halle zumindest grob | |
ausgekundschaftet. In dem Dokument wird beschrieben, wie schwierig es sei, | |
in die Synagoge zu kommen, da diese von hohen Mauern und einer gesicherten | |
Tür geschützt sei. Er wolle es dennoch versuchen, schreibt B. Wenn nur ein | |
Jude getötet würde, wäre es das schon wert. | |
In dem Dokument werden auch die Waffen für den Anschlag präsentiert: fünf | |
Gewehre, eine Pistole, ein Schwert, dazu mehrere Handgranaten, Rohr- und | |
Nagelbomben sowie 730 Schuss Munition. Etliche Waffen seien selbst | |
ausgebaut, die Granaten „Monate im Voraus“ präpariert, wird behauptet. | |
Teile kommen zudem aus einem 3D-Drucker. | |
Die Waffen sind auch in dem 36 Minuten langen Tatvideo zu sehen. Genauso | |
aber auch, wie Stephan B. bei seiner Tat immer wieder Probleme damit hat. | |
Er selbst nennt sich daraufhin einen „Versager“. „Ich habe definitiv | |
bewiesen, wie wertlos improvisierte Waffen sind.“ | |
Wäre es nicht zu den Aussetzern gekommen und B. in die Synagoge gelangt – | |
es hätte wohl weit mehr Opfer gegeben. In rechten Internetforen wird der | |
27-Jährige auch vorwiegend kritisiert: Seine Tat sei zu dilettantisch | |
gewesen. | |
## Rechtsextreme Onlineszene | |
Die Sicherheitsbehörden stellt diese Szene vor neue Herausforderungen. Erst | |
kürzlich legte der Verfassungsschutz einen Reformplan vor: So soll ein | |
„digitales Lagebild“ erstellt und auf Online-Plattformen gezielt nach | |
Radikalisierungen von Usern gesucht werden. Auch das Bundeskriminalamt | |
kündigte den Aufbau einer „nationalen Zentralstelle“ an, um die Verfasser | |
von Hasspostings zu identifizieren. | |
Auch für die Zivilgesellschaft ist die Aufgabe komplex. Für David Begrich | |
etwa vom Verein Miteinander, der in Sachsen-Anhalt zu den profundesten | |
Kennern der rechten Szene gilt. Aber auch Begrich ist im Fall Stephan B. | |
etwas ratlos. Man durchforste gerade Fotos, höre sich um, sagt er. Aber | |
eine bekannte Figur der rechtsextremen Szene sei B. bislang nicht. Vor ein | |
paar Jahren noch hätte man die Täter und ihre Vorgeschichte gekannt, sagt | |
Begrich. Heute aber könne die Radikalisierung in wenigen Wochen verlaufen, | |
unbemerkt über das Internet. „Das stellt auch uns vor neue | |
Herausforderungen.“ | |
Auch Kira Ayyadi von der Amadeu Antonio Stiftung sieht die Tat von Stephan | |
B. in eine rechtsextreme Online-Szene eingebettet. „Seine Wortwahl, das | |
Streaming, das Manifest, das alles passt da rein“, sagt die Expertin, die | |
einige Jahre selbst in Halle lebte. Die Sicherheitsbehörden hätten diese | |
Szene zu spät in den Blick genommen, kritisiert Ayyadi. „Die enorme | |
Gefährlichkeit wurde nicht erkannt.“ Was es nun auch brauche, sei eine Art | |
„digitales Streetworking“. Experten, welche die Szene beobachten würden und | |
Ansprechpartner für Menschen wären, denen eine Radikalisierung von | |
Angehörigen auffalle. | |
Aber auch weitere Fragen stehen nun im Raum: Woher hatte Stephan B. all die | |
Waffen? Gab es doch Mitwisser oder Mittäter? Baute B. die Waffen | |
tatsächlich allein? | |
## Selbst gebaute Waffen | |
Der Hamburger Waffenexperte Lars Winkelsdorf erklärt, bei der | |
Maschinenpistole, mit der B. die Frau vor der Synagoge tötete, handele es | |
sich um ein Modell, das auf Baumarktteilen basiert und die der britische | |
Waffennarr Philipp A. Luty aus Protest gegen die britischen Waffengesetze | |
konstruiert hat. „Wäre er technisch etwas begabter gewesen, hätte die Waffe | |
wohl keine Störungen gehabt.“ Immer wieder würden solche Waffen | |
sichergestellt, die meist anstandslos funktionierten. „Die Anleitungen dazu | |
kursieren frei im Internet.“ | |
So gehe die selbstgebaute Schrotflinte, die B. abfeuerte, auf eine | |
Erfindung philippinischer Guerilla-Kämpfer zurück, so Winkelsdorf. Kaum | |
mehr als zwei Rohre seien nötig, um sie zu bauen. Gleiches gelte für die | |
selbst hergestellte Munition: Wer weiß, wie es geht, bekomme das Material | |
für das Schießpulver in jeder Drogerie, so Winkelsdorf. | |
Auch Generalbundesanwalt Frank räumt offene Fragen ein. Woher kam die | |
Radikalisierung von Stephan B.? Woher hatte er die Bauteile der Waffen? Gab | |
es Mitwisser, virtuelle Anstachler? „Dem werden wir nachgehen“, verspricht | |
Frank. | |
Stephan B. sitzt derweil weiter in Haft. Noch am Donnerstag beantragte die | |
Bundesanwaltschaft einen Haftbefehl. Die Vorwürfe lauten auf zweifachen | |
Mord und weitere Straftaten. | |
10 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Jean-Philipp Baeck | |
Pia Stendera | |
## TAGS | |
Rechtsextremismus | |
Halle | |
Antisemitismus | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Jörg Meuthen | |
Schwerpunkt Rechter Terror | |
Rechter Terror | |
Halle | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Terroranschlag in Halle: Waffen aus dem 3D-Drucker | |
Vor der Tat hat der Attentäter eine Dateiensammlung veröffentlicht, | |
inklusive Bauanleitungen seiner Waffen. Das gibt einen Einblick in seine | |
Welt. | |
Meuthen im ZDF zum Anschlag von Halle: Der langweiligste Interviewpartner | |
Es brennt und die geistigen Brandstifter erklären im Fernsehen ihre | |
Unschuld. Egal wie souverän das Interview geführt wird, das ist nicht | |
hilfreich. | |
Terror und die Mitte der Gesellschaft: Kollektiver Einzeltäter | |
Der antisemitische Anschlag in Halle kam nicht von ungefähr. Das Schweigen | |
der Mehrheitsgesellschaft ermutigt rechtsextreme Gewalttäter. | |
Halle nach dem Anschlag: Rausgehen, gegen die Angst | |
Nach dem rechtsextremen Anschlag in Halle ist die Stadt wie leer gefegt. | |
Doch einige Hallenser wollen sich von der Angst nicht unterkriegen lassen. | |
Rechtsextremer Anschlag in Halle: Bestürzung nach den Schüssen | |
Nach dem rechtsextremen Anschlag in Halle herrscht Fassungslosigkeit unter | |
Politikern und in der jüdischen Gemeinde. Die Tat war wohl lange geplant. |