# taz.de -- Rechte und linke Projektion auf Rojava: Durchs wilde Deutsch-Kurdis… | |
> Niemand hoppelt freiwillig durch die Berge. Und ein Befreiungskrieg ist | |
> mehr als Freizeitkommunismus mit Trommelmusik. | |
Bild: Wir wissen alles über Kurdistan – wir haben das Buch gelesen! | |
Sehr wild soll es zugehen in Kurdistan. Schwarzhaarige Frauen mit | |
geflochtenen Zöpfen hüpfen mit Kalaschnikows durch die Berge. Sie singen | |
und tanzen am Lagerfeuer. Manchmal schießen sie. Manchmal sterben sie. Aber | |
egal, Hauptsache, Revolution! Die deutsche Linke klatscht Beifall. | |
Revolution gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Die deutsche | |
Linke findet die Kurden ganz toll. Endlich jemand, der ihre | |
antiimperialistischen Sehnsüchte erfüllt. | |
Im Gegensatz dazu finden sie die Kurdische Autonomieregion Irak ganz | |
schlimm, weil kapitalistisch. Gibt sogar Shoppingmalls und Coca-Cola. Die | |
deutsche Linke ist entsetzt, im United State of Kurdistan geht man nur noch | |
zum Picknick in die Berge. Plötzlich sind die Kurden keine Opfer mehr. | |
Dabei sind die Deutschen so gerne auf der Seite der Opfer. Sie sind ja | |
selbst Opfer der Geschichte. Immer waren es die Deutschen, die unter | |
Systemen litten, für die sie nichts konnten. Als auch noch die YPG an der | |
Seite der Amerikaner gegen den IS kämpfte, fühlte sich die deutschen Linke | |
endgültig von den Kurden verraten. | |
## Kein Pfadfindercamp | |
Die antiimperialistischen Projektionen der deutschen Linken auf Rojava und | |
die kurdische „Revolution“ sagt weniger etwas über Rojava oder Kurdistan | |
aus. Welche Konflikte dort tatsächlich am Werk sind (die [1][Koalition | |
YPJ-YPG] mit oder gegen das Assad-Regime), wird genauso wenig kritisch | |
betrachtet wie die Tatsache, dass Rojava kein freies Kurdistan ist, sondern | |
immer noch in Assads Syrien liegt. | |
Rojava ist kein Pfadfindercamp für Freizeitkommunismus mit kurdischer | |
Trommelmusik, sondern eine von Krieg und Elend geprägte Region. Krieg ist | |
nicht eindimensional lesbar. Die tatsächlichen politischen Dynamiken und | |
Konflikte sind komplexer. Man hoppelt nicht freiwillig durch die Berge, es | |
geht ums Überleben. | |
Zuschreibungen gibt es nicht nur von links, sondern auch von rechts. Laut | |
AfD ist Karl Mays „Durchs wilde Kurdistan“ nach Berlin importiert worden. | |
Revolution diesmal ganz in der Nähe! | |
Ein Spätiverkäufer wurde vor einigen Wochen in Charlottenburg angeschossen. | |
Der syrische Kurde gab gerade einem kurdischen Sender ein Skype-Interview | |
zur aktuellen politischen Lage in Syrien und der Türkei, als ein Mann ihm | |
in den Oberkörper schoss. Ob politisch motiviert oder nicht, ist noch nicht | |
abschließend geklärt. Die AfD Berlin schreibt: „Wenn das wilde Kurdistan in | |
Charlottenburg heimisch wird, hilft nur Null-Toleranz Politik.“ | |
Sowohl die edlen Wilden, die gegen Kapitalismus kämpfen, als auch die | |
Figuren von Karl May, die zur Bedrohung des Abendlandes werden, sind | |
deutsche Projektionen. Sowohl die antiimperialistische Linke als auch die | |
Abendlandbeschützer benutzen die „Kurden“ für ihre Zwecke. Um über den | |
Nahen Osten zu sprechen, muss man zuallererst die festgeschriebenen | |
Narrative verstehen. Die Kurden sind keine kämpfende Folkloretanzgruppe, | |
sondern eine politisch, religiös und gesellschaftlich heterogene Ethnie im | |
Nahen Osten. | |
11 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Journalist-ueber-die-Kurdenmiliz-in-Syrien/!5479898/ | |
## AUTOREN | |
Cemile Sahin | |
Ronya Othmann | |
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